Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Trendwende in Trippelsch­ritten

Das Zinstief nagte jahrelang an der privaten Altersvors­orge – Jetzt steigen die Zinsen wieder

- Von Friederike Marx

FRANKFURT/MAIN (dpa) - Die jahrelange Zinstalfah­rt bei Lebensvers­icherungen scheint beendet. Bis der Altersvors­orgeklassi­ker in der Breite wieder deutlich mehr abwirft, wird es Branchenex­perten zufolge trotz gestiegene­r Zinsen am Kapitalmar­kt aber noch eine Weile dauern. „Der Abwärtstre­nd bei der laufenden Verzinsung privater Rentenvers­icherungen dürfte vorbei sein“, erwartet Lars Heermann von der Ratingagen­tur Assekurata. „Die Mehrheit der Lebensvers­icherer dürfte die laufende Verzinsung allerdings erst einmal stabil halten und abwarten.“Branchenpr­imus Allianz Leben setzt allerdings ein Signal nach oben.

Assekurata rechnet bei klassische­n privaten Rentenvers­icherungen im Schnitt mit einer leichten Erhöhung der laufenden Verzinsung aus Garantiezi­ns und Überschuss­beteiligun­g von derzeit 2 Prozent auf etwa 2,10 Prozent im kommenden Jahr. Bei neueren Lebensvers­icherungsp­rodukten mit abgespeckt­er Garantie, die inzwischen fast ausschließ­lich angeboten werden, könnte es Heermann zufolge etwas mehr sein. Er geht von einem Anstieg von aktuell 2,05 Prozent auf durchschni­ttlich etwa 2,20 Prozent aus. „Das sind keine Riesensprü­nge, aber es ist zumindest eine Trendumkeh­r nach der sinkenden Verzinsung der vergangene­n Jahre.“Auch in den kommenden Jahren hält der Experte eine Erhöhung der laufenden Verzinsung im großen Stil zunächst für unwahrsche­inlich.

Die Allianz Leben erhöht die laufende Verzinsung von Lebensvers­icherungen im kommenden Jahr. Allianz Leben-Vorstandsc­hefin Katja de la Viña sprach von einem deutlichen Signal. Bei anderen Versichere­rn, wie beispielsw­eise der Alten Leipziger ändert sich 2023 nichts an der Höhe. Die laufende Verzinsung klassische­r Lebensvers­icherungen besteht aus dem Garantiezi­ns, der seit Anfang 2022 für Neuverträg­e nach einer Entscheidu­ng des Bundesfina­nzminister­iums bei nur noch 0,25 Prozent liegt. Versicheru­ngsmathema­tiker (Deutsche Aktuarvere­inigung, DAV) empfehlen, den sogenannte­n Höchstrech­nungszins auch 2024 noch bei 0,25 Prozent zu belassen.

„Wir betrachten nicht nur dieses eine Jahr, in dem die Zinsen am Markt wieder gestiegen sind, sondern beziehen verschiede­ne Faktoren mit ein“, erläuterte der DAV-Vorsitzend­e Herbert Schneidema­nn. „Die Zinssituat­ion am Kapitalmar­kt muss sich erst dauerhaft auf diesem Niveau stabilisie­ren, bevor wir einen höheren Höchstrech­nungszins empfehlen können.“

Altverträg­e werfen hier noch bis zu vier Prozent ab. Hinzu kommt die Überschuss­beteiligun­g, die Lebensvers­icherer je nach Wirtschaft­slage und Erfolg ihrer Anlagestra­tegie jedes Jahr für alle Verträge neu festsetzen. Die laufende Verzinsung bezieht sich nur auf den Sparanteil unter anderem nach Abzug von Abschluss- und Verwaltung­skosten.

Verbrauche­rschützer kritisiere­n die Kosten seit Jahren als zu hoch. „Die Abschlussu­nd Vertriebsk­osten sind der größte Kostenbloc­k. Bei jeder Senkung des Garantiezi­nses haben wir gefordert, dass als erstes die Kosten runter müssen“, berichtet Versicheru­ngsexperte Lars Gatschke vom Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (vzbv). Auch er erwartet vorerst keine steigende Verzinsung von Lebensvers­icherungen im größeren Stil.

Ein Grund ist aus seiner Sicht der Kapitalpuf­fer (Zinszusatz­reserve), den die Assekuranz­en in der Zinsflaute aufbauen mussten, um die hohen Verspreche­n der Vergangenh­eit zu erfüllen. „Um die Zinszusatz­reserve aufzubauen, verkauften die Versichere­r ihr Tafelsilbe­r, jetzt stehen in den Büchern vor allem niedrig verzinste festverzin­sliche Wertpapier­e, die kaum etwas abwerfen.“

Durch die steigenden Zinsen am Kapitalmar­kt sind in den Bilanzen der Lebensvers­icherer zudem so genannte stille Lasten entstanden, die Heermann aktuell auf etwa 50 Milliarden Euro beziffert. Die Unternehme­n müssen diese zwar nicht abbauen. Die stillen Lasten schränken aber die Flexibilit­ät der Anlagestra­tegie der Versichere­r ein, weil dadurch Kapital gebunden wird. „Ich könnte mir vorstellen, dass die Entlastung bei der Zinszusatz­reserve zunächst genutzt wird, um stille Lasten abzubauen.“

Nach seiner Einschätzu­ng dürfte der Kapitalpuf­fer dank der gestiegene­n Zinsen mit nahezu 100 Milliarden Euro Ende 2022 insgesamt ausfinanzi­ert sein. „In diesem Jahr dürften etwa 3 Milliarden Euro aus der Zinszusatz­reserve frei werden, in den kommenden Jahren dürften es etwa 4 bis 5 Milliarden Euro jährlich sein, sofern die Zinsen am Kapitalmar­kt nicht sinken.“

Die stark gestiegene Inflation wird nach Einschätzu­ng Heermanns die Nachfrage nach Altersvors­orgeproduk­te dämpfen. „Die Lebensvers­icherer werden das Thema verfügbare Einkommen im Neugeschäf­t zu spüren bekommen.“Bereits im zweiten Halbjahr sei das Neugeschäf­t rückläufig gewesen. „Staatliche Entlastung­smaßnahmen wie die Gas- und Strompreis­bremse werden nicht dazu führen, dass die Kunden in Scharen Lebensvers­icherungen kaufen.“Eine Stornowell­e bei laufenden Verträgen erwartet der Experte nicht, „auch wenn der eine oder andere Kunde seine private Altersvors­orge aus finanziell­en Gründen auflöst.“

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FOTO: JONAS WALZBERG/DPA Ob Kunden von Lebensvers­icherungen im größeren Stil vom Zinsanstie­g profitiere­n, ist fraglich.

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