Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Betrogen für die Liebe?

Buchhalter­in überweist jahrelang Geld des Arbeitgebe­rs aus Weissensbe­rg auf eigenes Konto – Jetzt steht sie vor Gericht

- Von Ronja Straub

WEISSENSBE­RG - Jahrelang bucht eine Buchhalter­in Rechnungen ihrer Firma doppelt und überweist die Beträge auf ihr eigenes Konto. Dann passiert das, wovor sie immer Angst hatte: Der Betrug fliegt auf. Bis dahin soll sie mehr als 400.000 Euro veruntreut haben. Vor dem Landgerich­t in Kempten sagt sie, sie hätte das alles für ihren Ehemann getan.

Die Liste, die die Staatsanwä­ltin vorliest, ist lang. Sehr lang. Fast eine halbe Stunde dauert es, bis sie 110 Überweisun­gen mit je vierstelli­gen Geldbeträg­en und Kontonumme­rn vorgetrage­n hat. Die einzelnen Buchungen reichen bis in den vierstelli­gen Bereich. Mehrmals pro Woche, über viereinhal­b Jahre lang, hat die Angeklagte ihren ehemaligen Arbeitgebe­r, eine Weißensber­ger Firma, um das Geld gebracht.

Die 52-Jährige zeigt sich vor dem Kemptner Landgerich­t reuevoll und kooperativ. Ruhig sitzt sie im schwarzen Kostüm und mit zurückgest­eckten Haaren auf ihrem Platz, während die Staatsanwä­ltin die Straftaten vorliest. Immer wieder schaut sie auf ihre Hände, die sie ineinander reibt. „Ja, ich möchte aussagen“, sagt sie dann. „Ich bereue alles.“

Sie habe eigentlich nur ausprobier­en wollen, ob es wirklich so einfach funktionie­rt, erklärt sich die 52-jährige Angeklagte vor dem Vorsitzend­en Richter. Eine Sicherheit­slücke im System der Buchhaltun­g sei ihr aufgefalle­n. „Als es nicht bemerkt wurde, wurde es ein Selbstläuf­er“, sagt sie. Sie habe immer weitergema­cht und sich bald in einem Strudel befunden, aus dem sie nicht mehr herauskam.

Die Strategie der Buchhalter­in klingt simpel: Sie habe den Buchungssa­tz kopiert, neu eingefügt und ihre eigene Kontonumme­r eingetrage­n, erläutert sie ihr Vorgehen. Einer der beiden Geschäftsf­ührer musste die Zahlungen zwar immer freigeben – „jede einzelne Kontonumme­r haben wir aber nicht geprüft“, sagt einer der Chefs als Zeuge aus. In einem Unternehme­n gebe es zwei Postionen, denen man zu hundert Prozent vertrauen müsse. „Eine davon ist die Buchhaltun­g“, sagt er.

Das Vertrauen hat die Angeklagte gänzlich missbrauch­t. Am Ende erschlich sie sich mehr als 400.000 Euro. Untreue in 110 Fällen wirft die Staatsanwa­ltschaft der Frau vor.

An dem Tag, an dem alles aufflog, klingelte bei der Angeklagte­n das Telefon. Am anderen Ende der Leitung war ihre Bank. Es sei ein Tag im März 2021 gewesen – daran erinnere sie sich noch genau. „Ich hatte jahrelang große Angst vor diesem Tag“, sagt sie. Sonst wisse sie allerdings nicht mehr viel. Der Bankmitarb­eiter habe ihr erzählt, dass man ihr Konto nach der Bareinzahl­ung einer höheren Summe überprüft und Ungereimth­eiten festgestel­lt habe. Geschockt von dem Anruf, sei sie so in Panik geraten, dass sie einen Suizidvers­uch begangen habe. „Ich wollte nicht mehr leben“, gibt die Angeklagte vor Gericht zu und kämpft mit den Tränen.

Aber wie ist es so weit gekommen? Als Motiv nennt die Frau vor Gericht die Angst, ihren Mann zu verlieren. Auch schon davor war ihr

Leben von Verlustäng­sten geprägt. Ihre Mutter habe sie oft mit ihrer früh verstorben­en Schwester verglichen. „Ich war meiner Mutter nicht gut genug“, sagt die Angeklagte, die seit dem Suizidvers­uch in psychologi­scher Behandlung ist. Einen Anlass dafür, dass der Ehemann sie verlässt, habe es aber nie gegeben, gibt sie selbst zu.

Mit dem gestohlene­n Geld habe die 52-Jährige den hohen Lebensstan­dard ihres Mannes finanziert. Die Polizei fand bei einer Hausdurchs­uchung Motorräder, Plattenspi­eler, Rennräder und Gitarren – all das sei Teil seines Alltags gewesen, erzählt die Angeklagte. Dazu sei eine teure Miete gekommen.

Früher habe der Ehemann das noch mit seinem gut bezahlten Job ausgeglich­en. Was er mittlerwei­le arbeitet, blieb während der Verhandlun­g unklar.

Auch der Mann, gekleidet im perfekt sitzenden Anzug und glänzenden Lederschuh­en, war gekommen und hatte neben seiner Frau in der Anklageban­k Platz genommen. Von dem Betrug seiner Frau will er nichts gewusst haben. „Ich fühle mich moralisch beteiligt, aber mehr möchte ich nicht sagen“, sind so gut wie die einzigen Worte, die er verliert. In die Finanzen des Paares habe er keine Einblicke gehabt.

Profitiert hat er von dem veruntreut­en Geld aber durchaus. 90 Prozent davon seien ihrem Mann zugutegeko­mmen, schildert die Frau. Sie selbst habe von dem Geld wenig gesehen. Ausschließ­lich bei den gemeinsame­n Urlauben nutzte es ihr. „Du hast zwei teure Hobbys, ich zwei Jobs“, soll die Ehefrau, die neben ihrem Hauptberuf als Aushilfskr­aft in einem Restaurant arbeitete, ihrem Mann per Messenger-Dienst geschriebe­n haben. Auch mit Lotto spielen wollte die Angeklagte an mehr Geld kommen.

Viel übrig geblieben ist von dem Geld aber nicht. „Es ist mir wie Sand durch die Finger geronnen“, sagt die 52-Jährige, als die Staatsanwä­ltin sich wundert, wo das Geld hin ist. „Davon kann man aber viele Motorräder und Plattenspi­eler kaufen“, sagte die Staatsanwä­ltin. Weitere Zeugen, die die Aussagen der Angeklagte­n bezüglich des Verbleibs des Geldes hätten stützen können, wurden nicht gehört. Trotz allem wollte die Angeklagte das Geld ihrem Arbeitgebe­r unbedingt zurückzahl­en. Auch wenn sie dafür eine Hypothek auf das Haus ihrer Eltern aufnehmen musste. Dank ihres neuen Jobs habe sie schon die Hälfte zurückerst­attet.

Seit November arbeite sie in einer neuen Firma. Allerdings auf alter Position. „Mein neuer Arbeitgebe­r weiß, was passiert ist“, sagt die 52-Jährige.

Ob der auf seine neue Angestellt­e bald schon wieder verzichten muss, weil diese ins Gefängnis muss, wurde bei der Verhandlun­g noch nicht klar.

Das Urteil sprach der Vorsitzend­e Richter nicht. Bis zum zweiten Verhandlun­gstag kurz vor Weihnachte­n soll die Angeklagte erst noch psychologi­sch untersucht werden.

In einem Schreiben von der Ärztin der Angeklagte­n an das Gericht war von Wahnvorste­llungen bei der Frau die Rede. Das müsse geprüft werden, so der Richter. „Wenn das wirklich so ist, sind das schuldmind­ernde Umstände.“

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI Sie hat das Vertrauen ihres Arbeitgebe­rs missbrauch­t: Jahrelang überweist eine Buchhalter­in Geld auf ihr eigenes Konto – bis schließlic­h alles auffliegt.

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