Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Brasilianischer Zirkus verzaubert die Fußballwelt
Rekordweltmeister möchte für den schwer kranken Pelé den Titel holen – Freudentänze bei der Galavorstellung gegen Südkorea rufen Kritik hervor
DOHA (SID) - Kurz vor Mitternacht, am Ende einer mitreißenden und stimmungsvollen WM-Party in Doha, holten Neymar und die tanzenden Brasilianer ihren König in ihre Mitte. 12.000 Kilometer entfernt in einem Krankenzimmer in São Paulo sah Pele, wie seine Erben ihn mit einem Banner grüßten, und verspürte „eine Mischung aus Erleichterung und Glücksgefühl“. Das schwer kranke Sportidol der Nation ließ verbreiten: „Sie haben meinem Tag Freude gegeben.“
Die famosen Ballartisten hatten nicht nur „O Rei“verzückt, sondern auch ihren Landsleuten im Bangen um den Allergrößten einen unbeschwerten Fußball-Abend geschenkt – und die Freude am „Jogo Bonito“, dem schönen Spiel, zurückgegeben. Balljonglage mit dem Kopf, Fußballartistik in Perfektion, Tänzchen nach jedem Tor, Dompteur Tite als nickende „Taube“und Neymar als Clown: Auf dem Programm des „Circo do Brasil“standen allerbeste Unterhaltung und sprühende Lebensfreude.
„Ich hoffe, dass wir ihn mit dem Sieg und der Widmung ein bisschen aufmuntern konnten“, sagte Weltstar
Neymar nach dem begeisternden 4:1 (4:0) im WM-Achtelfinale gegen Südkorea. „Ich wünsche ihm alles erdenklich Gute, damit er schnellstmöglich gesund wird.“Die Krebsbehandlung schlage beim 82-Jährigen nicht mehr an, hatte es zunächst geheißen. Doch die Familie sprach zuletzt von einer Atemwegsinfektion als Folge einer Ansteckung mit dem Coronavirus. „Wir werden für ihn Weltmeister“, versprach Vinicius Junior.
Widersprechen mag nach der fulminanten Vorstellung von Doha kaum jemand. „Es ist wunderbar, ihnen zuzuschauen“, schrieb Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann, der ebenfalls im Stadion war, in seiner BBC-Kolumne.
Wie Stürmer Richarlison vor seinem dritten WM-Tor den Ball dreimal mit dem Kopf in der Luft hielt, erinnerte an Pelés große Zeiten vor über 50 Jahren. Der Angreifer von Tottenham Hotspur mit dem Spitznamen „O Pombo“, die Taube, tanzte anschließend mit nickendem Kopf und angelegten „Flügeln“– und Trainer Tite machte mit. Er versuche, erklärte der 61-Jährige später, sich „der Sprache der Spieler anzupassen, die eine des Tanzes ist“. Superstar Neymar, der nach auskurierter Knöchelverletzung pathetisch den Fans für ihre „Liebe“ dankte, streckte nach seinem Elfmetertor die Zunge raus und machte Faxen wie ein Clown, ehe er sich in die Samba-Viererkette seiner Mitspieler einreihte.
Das kam nicht überall gut an. „Ich kann nicht glauben, was ich sehe. Ich kann es einfach nicht“, motzte etwa Irlands Fußballlegende Roy Keane. All die Tanzerei sei „dem Gegner gegenüber sehr respektlos“. Die Brasilianer wiederum verteidigten ihre Samba-Aufführungen als Ausdruck der Freude. „Wir werden weiter tanzen“, kündigte Raphinha an – am liebsten bis nach dem Finale am 18.Dezember. Pelé würde sich freuen.