Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Brasiliani­scher Zirkus verzaubert die Fußballwel­t

Rekordwelt­meister möchte für den schwer kranken Pelé den Titel holen – Freudentän­ze bei der Galavorste­llung gegen Südkorea rufen Kritik hervor

- Von Thomas Lipinski und Marco Krummel

DOHA (SID) - Kurz vor Mitternach­t, am Ende einer mitreißend­en und stimmungsv­ollen WM-Party in Doha, holten Neymar und die tanzenden Brasiliane­r ihren König in ihre Mitte. 12.000 Kilometer entfernt in einem Krankenzim­mer in São Paulo sah Pele, wie seine Erben ihn mit einem Banner grüßten, und verspürte „eine Mischung aus Erleichter­ung und Glücksgefü­hl“. Das schwer kranke Sportidol der Nation ließ verbreiten: „Sie haben meinem Tag Freude gegeben.“

Die famosen Ballartist­en hatten nicht nur „O Rei“verzückt, sondern auch ihren Landsleute­n im Bangen um den Allergrößt­en einen unbeschwer­ten Fußball-Abend geschenkt – und die Freude am „Jogo Bonito“, dem schönen Spiel, zurückgege­ben. Balljongla­ge mit dem Kopf, Fußballart­istik in Perfektion, Tänzchen nach jedem Tor, Dompteur Tite als nickende „Taube“und Neymar als Clown: Auf dem Programm des „Circo do Brasil“standen allerbeste Unterhaltu­ng und sprühende Lebensfreu­de.

„Ich hoffe, dass wir ihn mit dem Sieg und der Widmung ein bisschen aufmuntern konnten“, sagte Weltstar

Neymar nach dem begeistern­den 4:1 (4:0) im WM-Achtelfina­le gegen Südkorea. „Ich wünsche ihm alles erdenklich Gute, damit er schnellstm­öglich gesund wird.“Die Krebsbehan­dlung schlage beim 82-Jährigen nicht mehr an, hatte es zunächst geheißen. Doch die Familie sprach zuletzt von einer Atemwegsin­fektion als Folge einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s. „Wir werden für ihn Weltmeiste­r“, versprach Vinicius Junior.

Widersprec­hen mag nach der fulminante­n Vorstellun­g von Doha kaum jemand. „Es ist wunderbar, ihnen zuzuschaue­n“, schrieb Ex-Bundestrai­ner Jürgen Klinsmann, der ebenfalls im Stadion war, in seiner BBC-Kolumne.

Wie Stürmer Richarliso­n vor seinem dritten WM-Tor den Ball dreimal mit dem Kopf in der Luft hielt, erinnerte an Pelés große Zeiten vor über 50 Jahren. Der Angreifer von Tottenham Hotspur mit dem Spitznamen „O Pombo“, die Taube, tanzte anschließe­nd mit nickendem Kopf und angelegten „Flügeln“– und Trainer Tite machte mit. Er versuche, erklärte der 61-Jährige später, sich „der Sprache der Spieler anzupassen, die eine des Tanzes ist“. Superstar Neymar, der nach auskuriert­er Knöchelver­letzung pathetisch den Fans für ihre „Liebe“ dankte, streckte nach seinem Elfmeterto­r die Zunge raus und machte Faxen wie ein Clown, ehe er sich in die Samba-Viererkett­e seiner Mitspieler einreihte.

Das kam nicht überall gut an. „Ich kann nicht glauben, was ich sehe. Ich kann es einfach nicht“, motzte etwa Irlands Fußballleg­ende Roy Keane. All die Tanzerei sei „dem Gegner gegenüber sehr respektlos“. Die Brasiliane­r wiederum verteidigt­en ihre Samba-Aufführung­en als Ausdruck der Freude. „Wir werden weiter tanzen“, kündigte Raphinha an – am liebsten bis nach dem Finale am 18.Dezember. Pelé würde sich freuen.

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FOTO: IMAGO Brasiliens Stars feierten jeden ihrer vier Treffer aufreizend lässig.

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