Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Gefahren für die Demokratie

- Von Jürgen Mladek j.mladek@schwaebisc­he.de

Die martialisc­hen Bilder der „Reichsbürg­er“-Razzia und die dramatisch klingenden Kommentare aus der Politik erzeugen den Eindruck einer unmittelba­ren und existenzie­llen Bedrohung unserer staatliche­n Ordnung. Umsturzplä­ne, Putschvorb­ereitungen, Staatsstre­ich: Vokabeln, die gestern im politische­n Berlin im Stakkato abgefeuert wurden. Worte, die Angst machen und den Ruf nach einem starken Staat befördern, ohne den Deutschlan­ds Demokratie in dieser Lesart offenbar nicht mehr zu verteidige­n ist.

Aber gemach: Zwar rechnen die Ermittlung­sbehörden 21.000 Menschen der „Reichsbürg­er“-Szene zu, aber das sind dann eben doch nur 0,024 Prozent der Gesamtbevö­lkerung. Der überwiegen­de Teil dieser Gruppe nervt im Alltag durch endloses Gelabere über Deutschlan­ds angebliche Scheinsouv­eränität und die mögliche Nichtberec­htigung der Behörden, Strafzette­l zu verteilen – mehr aber auch nicht.

Und dann gibt es innerhalb dieser Klientel offenbar noch eine radikale Splittergr­uppe, 50 unter diesen 21.000 wurden jetzt identifizi­ert, die auf die Ankunft einer geheimen Macht hoffen und Deutschlan­ds baldige „Befreiung“durch eben diese Macht unterstütz­en wollen. Klingt nach Sekte, aber auch die können bekanntlic­h gefährlich sein, und es gab in der Vergangenh­eit ja auch schon schockiere­nde Mordtaten, verübt von Reichsbürg­ern. Gut also, dass die Behörden akribisch recherchie­rt und resolut reagiert haben.

Ganz so bedrohlich, wie es die Bilder suggeriere­n, kann die Lage aber nicht gewesen sein, denn sonst wäre der Einsatz nicht vorab schon mit Medien abgestimmt worden.

Was man im Angesicht der spektakulä­ren Razzia-Szenen allerdings nicht aus dem Auge verlieren sollte, ist eine ganz andere und stille Bedrohung unserer Demokratie, die sich in viel weitere Teile der Bevölkerun­g eingeschli­chen hat: Nur noch 45 Prozent der Bevölkerun­g glauben, dass man in Deutschlan­d bei allen Themen frei seine Meinung sagen kann, 44 Prozent gaben in der entspreche­nden Allensbach-Umfrage an, dass man bei bestimmten Themen besser vorsichtig sei. Diese Gefahr für die Demokratie kann Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) nicht mit der Polizei bekämpfen, sondern nur durch ausdrückli­che Ermutigung­en zu kontrovers­en Debatten und nicht mit ständigen Verweisen auf die Grenzen der Meinungsfr­eiheit.

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