Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Gefahren für die Demokratie
Die martialischen Bilder der „Reichsbürger“-Razzia und die dramatisch klingenden Kommentare aus der Politik erzeugen den Eindruck einer unmittelbaren und existenziellen Bedrohung unserer staatlichen Ordnung. Umsturzpläne, Putschvorbereitungen, Staatsstreich: Vokabeln, die gestern im politischen Berlin im Stakkato abgefeuert wurden. Worte, die Angst machen und den Ruf nach einem starken Staat befördern, ohne den Deutschlands Demokratie in dieser Lesart offenbar nicht mehr zu verteidigen ist.
Aber gemach: Zwar rechnen die Ermittlungsbehörden 21.000 Menschen der „Reichsbürger“-Szene zu, aber das sind dann eben doch nur 0,024 Prozent der Gesamtbevölkerung. Der überwiegende Teil dieser Gruppe nervt im Alltag durch endloses Gelabere über Deutschlands angebliche Scheinsouveränität und die mögliche Nichtberechtigung der Behörden, Strafzettel zu verteilen – mehr aber auch nicht.
Und dann gibt es innerhalb dieser Klientel offenbar noch eine radikale Splittergruppe, 50 unter diesen 21.000 wurden jetzt identifiziert, die auf die Ankunft einer geheimen Macht hoffen und Deutschlands baldige „Befreiung“durch eben diese Macht unterstützen wollen. Klingt nach Sekte, aber auch die können bekanntlich gefährlich sein, und es gab in der Vergangenheit ja auch schon schockierende Mordtaten, verübt von Reichsbürgern. Gut also, dass die Behörden akribisch recherchiert und resolut reagiert haben.
Ganz so bedrohlich, wie es die Bilder suggerieren, kann die Lage aber nicht gewesen sein, denn sonst wäre der Einsatz nicht vorab schon mit Medien abgestimmt worden.
Was man im Angesicht der spektakulären Razzia-Szenen allerdings nicht aus dem Auge verlieren sollte, ist eine ganz andere und stille Bedrohung unserer Demokratie, die sich in viel weitere Teile der Bevölkerung eingeschlichen hat: Nur noch 45 Prozent der Bevölkerung glauben, dass man in Deutschland bei allen Themen frei seine Meinung sagen kann, 44 Prozent gaben in der entsprechenden Allensbach-Umfrage an, dass man bei bestimmten Themen besser vorsichtig sei. Diese Gefahr für die Demokratie kann Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nicht mit der Polizei bekämpfen, sondern nur durch ausdrückliche Ermutigungen zu kontroversen Debatten und nicht mit ständigen Verweisen auf die Grenzen der Meinungsfreiheit.