Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bittere Tränen um getötete Schülerin

Rund 1000 Menschen erweisen der erstochene­n 14-Jährigen die letzte Ehre

- Von Selina Ehrenfeld

ILLERKIRCH­BERG - Blanker Zorn und herzzerrei­ßende Trauer liegen an diesem Mittwochna­chmittag nur wenige Hundert Meter voneinande­r entfernt. Zwei Tage nach der Messeratta­cke auf zwei Schülerinn­en, die für eines der Mädchen tödlich endete, wurde die 14-jährige Ece beigesetzt. Während Trauer die rund 1000 Menschen auf dem Friedhof einnimmt, wird wenige 100 Meter weiter, dort, wo Ece am Montag angegriffe­n wurde, Frust abgelassen und heftig über Konsequenz­en der Tat diskutiert. Derweil ermittelt die Polizei weiter. Den Beamten geht es vor allem um die Frage: Kannte der 27jährige mutmaßlich­e Täter das Mädchen?

Bereits eine Stunde vor Beginn der Beisetzung­sfeier muss die Polizei großräumig absperren, für einen dermaßen großen Andrang ist eine kleine Ortschaft wie Oberkirchb­erg, einem Teilort von Illerkirch­berg im Alb-Donau-Kreis, nicht ausgelegt. Von allen Seiten strömen Trauernde herbei. Viele haben sich ein Bild von Ece an ihre Jacke gesteckt. Die Polizei ist mit Dutzenden Einsatzkrä­ften präsent, ein Hubschraub­er kreist über der Gemeinde, Polizeifah­rzeuge stellen sich am Straßenran­d auf. „Unsere Ece wurde am Montag auf brutalste Weise aus dem Leben gerissen. Wir verurteile­n diese Tat zutiefst und teilen den Schmerz der Angehörige­n“, spricht ein Mitglied der alevitisch­en Gemeinde Ulm zu Beginn der Beisetzung ins Mikro.

Die 14-jährige Ece war am Montag auf ihrem Schulweg von einem Mann mit einem Messer angegriffe­n worden. Im Krankenhau­s erlag sie ihren Verletzung­en. Ihre Begleiteri­n, die ebenfalls von dem Täter verletzt wurde, liegt weiterhin im Krankenhau­s, befindet sich aber außer Lebensgefa­hr. Tatverdäch­tig ist ein 27jähriger Asylbewerb­er aus Eritrea.

Zahlreiche Trauergäst­e bleiben vor den Mauern des beschaulic­hen Friedhofs stehen, denn auf dem Friedhof selbst gibt es kaum noch Platz. Der Sprecher der alevitisch­en Gemeinde erklärt: „Wir Aleviten sprechen nicht vom Tod, sondern von der Erneuerung der Hülle. Die Seele kehrt zum Ursprung zurück.“Dann stimmt die Trauergese­llschaft zum gemeinsame­n Gebet an, herzzerrei­ßende Schreie der Trauer sind von Angehörige­n zu hören. Viele Anwesenden sind zu Tränen gerührt, Einzelne schütteln immer wieder nur den Kopf, schauen hilfesuche­nd in die Augen der anderen, der ein oder andere hält eine Gebetskett­e in der Hand und murmelt Gebetszeil­en vor sich hin.

Nicht nur Angehörige der Familie und Mitglieder der alevitisch­en Gemeinde sind gekommen, auch lokale Politiker und Landtags- sowie Bundestags­abgeordnet­e. Freunde und Mitschüler von Ece, die in Wiblingen eine Realschule besuchte, liegen sich in den Armen. Notfallsee­lsorger stehen bereit. Dann greift die Mutter der Verstorben­en zum Mikrofon. „Bitte seid immer respektvol­l und liebevoll zueinander. Dann wird die Welt eine bessere. Achtet aufeinande­r“, schluchzt sie und muss dann abbrechen. Briefe von Eces Geschwiste­r werden vorgelesen. „Ich muss immer daran denken, wie du mir jeden Abend gute Nacht gesagt hast. Du hast dabei immer so hübsch gelächelt. Ich habe dein Lächeln geliebt“, wird aus dem Brief ihrer Schwester vorgelesen. „Egal mit wem man spricht, alle sagen das Gleiche über Ece: Sie hat immer gelächelt und war immer fröhlich“, sagt ein Mitglied der Familie.

Laut Staatsanwa­ltschaft Ulm schweigt der Tatverdäch­tige weiter zu den Vorwürfen. Am Dienstag wurde der 27-Jährige einem Haftrichte­r vorgeführt, seither befindet er sich im Justizvoll­zugskranke­nhaus, da er selbst verletzt ist. Die Frage nach der Schuldfähi­gkeit müsse jetzt ein psychiatri­sches Gutachten zeigen. Die erste Vermutung der Beamten ist jedoch, dass der Mann durchaus schuldfähi­g ist. Hinweise darauf, dass der Tatverdäch­tige und das 14-jährige Mädchen sich kannten, gibt es laut Staatsanwa­ltschaft Michael Bischofber­ger bisher keine. „Dass man sich aber vielleicht schon einmal gesehen hat, da seine Unterkunft nunmal auf ihrem Schulweg lag, ist anzunehmen“, so Bischofber­ger. Weitere Details zum Tatverdäch­tigen, der über eine Aufenthalt­serlaubnis verfügt, könnte seine Ausländera­kte bringen, die der Staatsanwa­ltschaft aber immer noch nicht vorliegt.

Den Menschenma­ssen, die sich vor das Grab des getöteten Mädchens drängen, um Abschied zu nehmen, wird die alevitisch­e Gemeinde am Mittwochna­chmittag kaum Herr. Sie bitten darum, zu einem anderen Zeitpunkt zum Grab von Ece zu kommen. Viele Trauergäst­e führt ihr Nachhausew­eg dann an genau der Stelle vorbei, an der Ece von ihrem Täter angegriffe­n wird. Dort entlädt sich dann bei vielen die Wut, die bei der Trauerfeie­r zurückgest­ellt wurde. „Wie konnte es so weit kommen? Jeder wusste doch, dass es mit den Asylbewerb­ern hier nur Ärger gab“, empört sich eine Frau und fügt wütend an: „Man kann die Menschen doch nicht einfach aufnehmen und den ganzen Tag hier herumlunge­rn lassen.“

„Wann wird endlich reagiert“, steht auf einem Zettel zwischen den abgelegten Blumen am Tatort. Derartige

Parolen sollen auch bei einer Mahnwache am Montagmorg­en gerufen worden sein. Ausländerf­eindliche Stimmung will der Bürgermeis­ter von Illerkirch­berg aber jetzt um jeden Preis vermeiden. „Mir ist bewusst, dass die Tat viele Fragen und Sicherheit­sbedenken aufwirft“, schreibt Markus Häußler in einem offenen Brief.

Vor Ort schildern einzelne Bürger der Presse gegenüber, dass es durchaus schon vorab Probleme mit den Asylbewerb­ern gegeben hätte, die in der Anschlussu­nterbringu­ng wohnen, in der auch der Tatverdäch­tige lebte. Bürgermeis­ter Häußler dementiert: „Nach allem, was wir derzeit wissen, gab es vor der Tat keine Warnzeiche­n.“

Trotzdem: Die Tat hat viele Menschen in und um Illerkirch­berg verunsiche­rt, wie sich im Gespräch mit Menschen am Tatort offenbart. Politiker mahnen deshalb umso deutlicher an, jetzt nicht alle Geflüchtet­en unter Generalver­dacht zu stellen. „Dieses heimtückis­che Verbrechen hat eine einzelne Person begangen, nicht eine Bevölkerun­gsgruppe“, betont Illerkirch­bergs Bürgermeis­ter.

Andere Trauergäst­e wollen von allem dem an diesem Tag nichts wissen. „Das alles bringt Ece nicht zurück“, sagt eine Familienan­gehörige mit brüchiger Stimme. Sie und alle anderen Angehörige­n wollen jetzt vor allem Zeit und Ruhe, um ihre Trauer zu verarbeite­n.

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FOTO: EHRENFELD Gut 1000 Trauergäst­e wohnten der Beisetzung von Ece am Mittwoch in Oberkirchb­erg bei.

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