Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Seit einem Jahr regiert die Ampel-Koalition in Deutschland – Die einzelnen Ressorts auf dem Prüfstand
BERLIN - Entlastungspakete, Bürgergeld, 100 Milliarden für die Bundeswehr, Rolf Mützenich (SPD) Britta Haßelmann und Katharina Dröge (Grüne) sowie Christian Dürr (FDP) hätten noch lange über die gute Arbeit der Ampel reden können. Die Fraktionschefs sind zufrieden. Mit Recht? Die Ampel ist jetzt nicht nur eine „Fortschrittskoalition“, sondern auch eine „Arbeitskoalition“. Fast 100 Gesetze oder Gesetzesvorhaben seien erarbeitet worden, erklärten die Fraktionsvorsitzenden während eines gemeinsamen Auftritts aus Anlass des einjährigen Bestehens der Ampel. Die Bilanz ist aber eher gemischt, wie man an den folgenden Beispielen sieht.
Der Kanzler und die Koalition Gut: In aufgeregten Zeiten, in denen es um Fragen wie Krieg und Frieden geht, sollte man froh sein über einen Kanzler Olaf Scholz, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Schlecht: Grüne (Kernkraft) und FDP (Schuldenbremse) mussten in der Krise ideologische Positionen räumen. Die Liberalen versuchen dies in Schattenhaushalten zu vertuschen, die Grünen bewegten sich erst auf Druck des Kanzlers ausreichend.
Entlastungen
Gut: Drei Entlastungspakete wurden inzwischen beschlossen. Mit rund 300 Milliarden Euro soll den Bundesbürgern nochmal unter die Arme gegriffen werden. Die Bremsen für Gas- und Strompreis kommen im kommenden Jahr, im Dezember übernimmt der Staat einmalig die Abschlagszahlung für Gas und Fernwärme, das Kindergeld wurde erhöht, Steuererleichterungen beschlossen.
Schlecht: Für viele Vorhaben muss der Bund neue Kredite aufnehmen. Sie müssen irgendwann zurückgezahlt werden.
Verteidigung
Gut: Der Etat wird angesichts der neuen Lage durch den UkraineKrieg um ein 100 Milliarden-EuroSondervermögen ergänzt. Damit soll in dieser Legislaturperiode die Bundeswehr vor allem für die Landesverteidigung funktionsfähig gemacht werden.
Schlecht: Weder im Ministerium noch bei der Truppe bewegt sich sonderlich viel. Nach einem Jahr hat Ministerin Christine Lambrecht entdeckt, dass der Truppe Munition fehlt und verlangt noch mehr Geld. Bei dem F-35-Einkauf sieht das Ministerium plötzlich vor allem Risiken.
Wirtschaft
Gut: Nach der Corona-Krise, in der die Politik bereits vielen Branchen unter die Arme gegriffen hat, segelt ein Großteil der deutschen Wirtschaft immer noch vergleichsweise unbeschadet durch die Krise. Um immerhin 0,4 Prozent stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten Quartal.
Schlecht: Für wirkliche Zukunftsprojekte war bislang offenbar zu wenig Zeit. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen kommt genauso schleppend voran wie die Umstellung bürokratischer Wege auf digitale Kanäle.
Verkehr
Gut: Mit dem Regio an die Ostsee düsen oder mit Kegel-Freunden die Nachbarstadt auschecken: All das war schon vor dem 9-Euro-Ticket möglich. Mit der Fahrkarte wurde es aber billig.
Schlecht: Frühestens im April kommt das bundesweite 49-Euro-Ticket. Wenn die Bürger Glück haben, fahren dann trotz Personal- und Geldmangel ähnlich viele Busse und Bahnen wie heute.
Einwanderung
Gut: Das Migrationspaket, bestehend aus Chancen für integrierte abgelehnte Asylbewerber, erleichterter Einbürgerung und FachkräfteEinwanderung, ist auf dem Weg. Schlecht: Der vierte Teil, nämlich die Abschiebungsinitiative, hängt noch in der Abstimmungsschleife.
Gesundheitspolitik
Gut: Karl Lauterbach traut sich, was seit 20 Jahren kein Bundesgesundheitsminister mehr getan hat: die Krankenhauslandschaft zu reformieren. Mehr Medizin, weniger Ökonomie ist das Motto. Wenn denn Bundestag und Bundesrat zustimmen.
Schlecht: Lauterbach warnt weiter vor Corona. Das will niemand mehr hören, auch nicht der Koalitionspartner FDP. Das führte dazu, dass es eine Maskenpflicht im Fernzug, aber nicht im Flugzeug gibt. Nun gehen ihm auch immer mehr Bundesländer von der Fahne – etwa bei der Maske im Nahverkehr.