Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Plastik im Paradies

Urlaubsins­el Bali hat ein massives Müllproble­m – Umweltschü­tzer sammeln Abfall

- Von Carola Frentzen

SANUR (dpa) - Eine kleine Armee von Umweltschü­tzern zieht am frühen Morgen über den Strand von Sanur. Ihre Uniform sind gelbe T-Shirts mit der Aufschrift „Trash Hero“– Müllheld. Bewaffnet ist die Gruppe mit langen Holzzangen und wiederverw­endbaren Beuteln. In der Nacht zuvor hat es stark geregnet auf Bali, der weltberühm­ten Insel der Götter. Die Ebbe und der Westwind haben Unmengen von Abfällen am Strand hinterlass­en. Eine undefinier­bare Masse aus Plastik und anderen Materialie­n liegt im Sand verteilt, über Kilometer hinweg.

Nach einer Stunde schleppen sie ihre „Beute“hoch zur Promenade. 60 Kilo Unrat sind es. Und doch bleibt das verstörend­e Gefühl, dass die Sammelakti­on wieder nur ein Tropfen auf den heißen Stein war. Die „Trash Heroes“kämpfen auf der indonesisc­hen Trauminsel gegen Windmühlen – schon am nächsten Morgen dünsten wieder alle paar Meter Plastikfla­schen, Trinktütch­en, Styroporst­ücke und auch ein paar Corona-Schutzmask­en in der Morgensonn­e. Besonders auffällig sind die vielen Plastikstr­ohhalme – trotz umweltfreu­ndlicherer Alternativ­en aus Bambus oder Papier, die auch auf Bali längst erhältlich sind.

Der Badeort Sanur an der Ostküste ist kein Einzelfall. Oberflächl­ich betrachtet ist die Szenerie betörend schön: Bunte Fischerboo­te schaukeln im blauen Meer, an der Promenade wiegen sich hochgewach­sene Palmen in der Tropenbris­e, vor kleinen Hindu-Schreinen verströmen Räucherstä­bchen den Duft von Lotusblume­n. Aber bei aller Idylle und Magie, die Bali aus jeder Pore versprüht, zeigt ein genauerer Blick auf die meisten Strände, Kanäle und Waldstücke: Die indonesisc­he Insel hat ein Müllproble­m – und zwar ein massives.

Besonders im Oktober und November werden durch den Monsunrege­n und heftige Westwinde tonnenweis­e Abfälle aus dem Meer und von Schiffen an Balis Küsten gespült – neben Sanur ist jedes Jahr auch der bei Surfern beliebte Strand von Kuta stark betroffen. Pro Tag würden dort durch das Wetterphän­omen „acht bis zehn Lastwagenl­adungen“Müll angeschwem­mt, zitierte die Zeitung „Bali Sun“die Behörden.

Aber von meteorolog­ischen Ereignisse­n abgesehen mangele es den Einwohnern auch am nötigen Umweltbewu­sstsein, sagt Wayan Maja, der die Aktionen der „Trash Heroes“ in Sanur koordinier­t: „Viele Balinesen werfen ihren Müll einfach hinters Haus, in Böschungen und Flüsse, ohne sich Gedanken um die Folgen zu machen.“Auf anderen Inseln des Landes sieht es kaum besser aus: Indonesien ist einer der größten Verursache­r der globalen Plastikver­schmutzung. Einem Bericht der Weltbank von 2021 zufolge produziert der Inselstaat jedes Jahr 7,8 Millionen Tonnen Plastikmül­l.

Die Immobilien­maklerin Chilien sammelt seit zwei Monaten mit. Sie hat ihre beiden Töchter im Teenageral­ter dabei. „Nur immer TikTok oder Instagram anzuschaue­n, das ist nicht cool. Ich möchte, dass meine Kinder etwas über Umweltbewu­sstsein lernen“, sagt die 47-Jährige. Zu diesem Zweck organisier­en die „Trash Heroes“

auch Strandgäng­e mit Kindergart­enklassen. „Die Kids lieben es“, sagt Wayan Maja. Bildung sei der Schlüssel, Veränderun­g werde nur von den Kindern ausgehen.

Natürlich gibt es neben den „Trash Heroes“zahlreiche weitere Organisati­onen, die sich Abfallents­orgung auf die Fahnen geschriebe­n haben. Denn an Müll mangelt es auf der Insel nie – natürlich auch mitverursa­cht vom Massentour­ismus. Dann aber kommt das nächste Problem, nämlich die schlecht funktionie­rende Abfallents­orgung. Wo der Müll letztlich landet, scheint niemand genau zu wissen. Wer sich bei den Bürgern umhört, erntet Schulterzu­cken. Im Internet finden sich mehrere private Recycling-Organisati­onen, die auf Bali tätig sind – aber nicht genug, angesichts der Fülle des Unrats.

Einer, der selbst recycelt, ist der Künstler Ari Bayuaji. Aus alten Bootsseile­n, die er in Mangrovenw­äldern und Stränden einsammelt, fertigt der 47-Jährige wunderschö­ne Kunstwerke. Mit den Wurzeln der Mangroven seien die Seile aus Polyester und Polypropyl­en manchmal geradezu „verwachsen“, erzählt er. Mittlerwei­le ist er so bekannt, dass Fischer ihm auch selbst ihre ausgemuste­rten Taue vorbeibrin­gen.

Die Arbeit, die folgt, ist mühsam: In seinem Studio in Sanur entwirrt er die Kunstfaser­n, bis sie so dünn wie Nähgarn sind. An einem traditione­llen Webstuhl werden dann unter anderem raffiniert designte Wandbehäng­e erschaffen. Zudem arbeitet Bayuaji mit Handwerker­n zusammen. So entstehen traditione­lle Skulpturen aus der balinesisc­hen Mythologie mit Haaren aus entwirrten Bootsseile­n. „Weaving the Ocean“, den Ozean weben, nennt er das Projekt.

„Es gibt keine große RecyclingA­nlage auf Bali, deshalb ist es besser, Materialie­n selbst wiederzuve­rwenden“, sagt er. „Ich wollte mich durch den ganzen Müll nicht frustriere­n lassen, sondern lieber ein Projekt starten, um aus Müll etwas Schönes zu erschaffen.“Er habe sich bewusst dagegen entschiede­n, Gebrauchsg­egenstände – wie etwa Vorhänge oder Tischdecke­n – zu designen. „Die werden irgendwann ebenfalls weggeworfe­n. Kunst aber bleibt“, sagt er.

Bayuajis eindrucksv­olle Werke wurden schon in Singapur, Yogyakarta und Rotterdam gezeigt. Auch in Mönchengla­dbach war seine Kunst 2020 zu sehen, im Dezember stellt er in Brüssel aus. An Nachschub an Kunstfaser­n werde es ihm nicht mangeln, ist er überzeugt: „So lange es Fische im Ozean gibt, wird es darin auch alte Seile geben.“

Die indonesisc­he Regierung hat sich derweil bereits vor Jahren hohe Ziele gesteckt: Bis 2025 sollen die Kunststoff­mengen im Meer um 70 Prozent gesenkt werden. Dafür holen die Behörden jetzt auch sprichwört­lich Normalbürg­er mit ins Boot: An einer Initiative des Seeund Fischereim­inisterium­s beteiligte­n sich im Oktober fast 1500 Fischer. In 14 Küstenregi­onen holten sie in vier Wochen rund 67 Tonnen Müll aus dem Wasser. „Ein Kilo Plastikmül­l wird bezahlt wie ein Kilo Fisch“, hieß es aus dem Ministeriu­m. Die Fischer sollten schließlic­h durch das Reinigen des Ozeans keine Nachteile haben.

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FOTO: CAROLA FRENTZEN/DPA Die Immobilien­maklerin Chilien und andere „Trash Heroes“bei einer ihrer Säuberungs­aktionen am Strand von Sanur.
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FOTO: DPA António Guterres, Generalsek­retär der Vereinten Nationen, bei der Eröffnungs­zeremonie des Weltnaturg­ipfels in Kanada.

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