Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Syrische Drillinge wagen einen Neuanfang
Hasan, Mohamad und Ahmad wollen deutsche Staatsbürger werden – „Wir kamen als Unbekannte“
OBERTEURINGEN - Für die Drillinge Hasan, Mohamad und Ahmad geht es um die Zukunft. Und deshalb ist es nur verständlich, dass sie ein wenig ungeduldig darauf warten, dass ihre Geburtsurkunden aus Beirut endlich in Oberteuringen eintreffen. In wenigen Tagen soll es soweit sein. Dann können die drei ihre Einbürgerungsunterlagen vervollständigen, die der Ausländerbehörde im Landratsamt vorliegen.
Ausgestellt wurden die Dokumente in Syrien, wo die Brüder 1997 geboren wurden und ihre ersten 17 Lebensjahre verbracht haben. Einfach beantragen oder gar persönlich abholen können sie die Papiere nicht. Denn die drei jungen Männer sind 2015 vor dem Krieg geflohen. Sobald sie syrischen Boden betreten würden, zöge man sie sofort zum Militärdienst ein. Pässe besitzen sie nicht, denn die drei jungen Männer sind Kurden und keine Araber. „Für Kurden ist es in Syrien schwierig, einen Pass zu bekommen“, erklärt Mohamad.
„Wir haben eine Vermittlungsagentur beauftragt,“ergänzt Hasan. Die Brüder vermuten, dass sich die wichtigen Dokumente bereits in der deutschen Botschaft in Beirut befinden, wo sie geprüft und die Stempel anerkannt werden müssen. Warum sie Deutsche werden wollen? Wie auf alle Fragen, antworten sie auch auf diese miteinander, nacheinander und einander ergänzend. „Weil wir bleiben wollen und um hier eine Zukunft zu haben. Syrien ist zu unsicher“, sagt Mohamad. Die beiden anderen nicken. Ahmad fügt lächelnd hinzu, „um ein deutsches Gefühl zu haben“, und konkretisiert: „Mit einem deutschen Pass kann und darf man überall hin. Ich möchte gerne reisen und sammle schon jetzt meinen Urlaub dafür.“
Die Reisefreiheit und die Sicherheit, die ihnen Deutschland bietet, stecken im Schutz der deutschen Staatsbürgerschaft. Hasan fügt hinzu: „Für einen Bank-Kredit, um ein Haus zu kaufen zum Beispiel, braucht man einen deutschen Pass. Es geht um die Zukunft.“Im August haben die Brüder ihre Anträge auf Erteilung der deutschen Staatsbürgerschaft gestellt und sie hoffen, innerhalb von zwei Jahren die wertvollen deutschen Pässe in den Händen zu halten.
Im Oktober 2015 kamen Ahmad, Hasan und Mohamad als Siebzehnjährige mit ihrer Mutter Fatma und ihrer Schwester in der Gemeinschaftsunterkunft in Oberteuringen an. Die Angst vor dem Krieg hatte ihren Vater Hannan nach Schweden verschlagen, ein Bruder blieb in Syrien,
ein weiterer lebt in Biberach. Mittlerweile hat der Vater die schwedische Staatsbürgerschaft und lebt mit seiner Frau und den drei jüngsten Söhnen zusammen in einer Wohnung mit großem Garten in Oberteuringen.
Doch bis dahin war es ein Weg voller Kompromisse Trennungen und Umwege. Als Flüchtling durfte Hannan Schweden nicht verlassen, als Schwede schon. Seine Angehörigen in Deutschland wiederum durften nicht zu ihm weiterreisen, nicht einmal zum Bruder in Biberach wegen der dreijährigen Wohnsitzauflage. Als schwedischer Staatsbürger konnte der Vater dann zu Besuch kommen, durfte aber nicht bei der Familie übernachten, da weder in der Gemeinschaftsunterkunft noch in den Obdachlosenwohnungen, die die Gemeinde zur Verfügung stellte, Übernachtungsgäste erlaubt sind.
Die Familie berichtet, dass es sehr schwer gewesen sei, die jetzige Wohnung
zu bekommen. Zu viele Vorurteile seien ihnen begegnet. Geklappt hat es schließlich dieses Frühjahr, dem Zufall und der Fürsprache eines Kollegen von Ahmad sei Dank. Er arbeitet als Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik bei der Firma Keller. Dort hat er ab 2018 seine Ausbildung absolviert und im Februar 2022 den Gesellenbrief erhalten. Im April führte er in der Wohnung des jetzigen Vermieters eine Reparatur durch und hörte dabei, dass die Erdgeschosswohnung frei wird. Es habe noch eine deutsche Familie gegeben, die sich dafür interessierte, erzählt Ahmad. Denen sei aber der Garten zu groß gewesen und ein Kollege habe sich für Familie Hasan eingesetzt.
Als Siebzehnjährige hatten die Drillinge 2015 das Glück, sofort nach ihrer Ankunft, eine Vorbereitungsklasse an der Droste-Hülshoff-Schule in Friedrichshafen zu besuchen. Im Vabo abgekürzten „Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen“lernten sie nicht nur die Sprache, sondern auch die anderen Schulfächer und erhielten die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss zu machen. Eine Chance, die alle drei nutzten.
Es folgten verschiedene Praktika, für Hasan weitere Schuljahre mit Realschulabschluss und Fachabitur. Seit September absolviert er eine dreijährige Ausbildung zum Pflegefachmann am Klinikum in Friedrichshafen. Momentan arbeitet er in der Onkologie. Wo er sich in fünf Jahren sieht? Vielleicht als Krankenpfleger in der Kinderklinik, vielleicht aber auch an einer Hochschule als Student. „In Deutschland gibt es verschiedene Wege, man kann alles finden“, sagt Hasan.
Ahmad möchte in fünf Jahren verheiratet sein, eine eigene Wohnung in der Gegend haben und eine Familie gründen. Mohamads Ziele sind ähnlich. Er möchte mit den Eltern in der Wohnung in Oberteuringen bleiben. Seine Verlobte lebt noch in Syrien. „Aber jetzt habe ich eine Arbeit, einen festen, unbefristeten Vertrag, eine Wohnung und genügend Lohn für eine Familie.“Was sie in ihrer Freizeit machen? Früher hätten sie gerne Fußball gespielt, aber jetzt müssten sie jeden Samstag fünf Stunden Vater im großen Garten helfen, lautet die von Lachen begleitete Antwort.
Auf die Frage, wie sie es finden, dass ihre Jüngsten Deutsche werden wollen, antwortet Vater Hannan mit einem Achselzucken. Er ist schließlich Schwede. Zurück nach Syrien möchte er nicht. Anders ist es für Mutter Fatma. Hasan übersetzt ihre Antwort: „Die Jungs brauchen das, wenn sie hier leben wollen. Hauptsache meinen Kindern geht es gut.“Wenn alle verheiratet sind und arbeiten, möchte sie zurück zu ihrem in Syrien lebenden Sohn und zu ihrer Mutter.
„Wir kamen als Unbekannte. Deutschland hat uns viele Wege gegeben. Jetzt haben wir eine Zukunft. Der deutsche Pass gibt uns Sicherheit“, fasst Hasan die Erfahrungen der letzten sieben Jahre so zusammen.