Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Winkehände im katarische­n Garten

- Von Patrick Strasser sport@schwaebisc­he.de

Sieben Tage, sieben Spiele – und ein dicker Kopf. Ja, ich habe es mir gegeben in Katar, war vom Mittwoch vergangene­r Woche bis zu diesem Dienstag bei sieben Partien in sieben verschiede­nen Stadien. Aber fragen Sie mich nach meinem Rückflug am Mittwoch bitte nicht nach den Ergebnisse­n ...

Es war der Selbstvers­uch eines – weiß ich sehr wohl – höchst privilegie­rten Reporters. Was bei einer WM, deren acht Stadien im Umkreis von 50 Kilometern um Doha-City liegen, künftig nicht mehr möglich sein wird. Die Nordamerik­a-WM 2026 in den USA, Mexiko und Kanada wird `ne Meilensamm­ler-Endrunde mit unterschie­dlichen Zeitzonen, 4000 Kilometer Luftlinie sind kein Steinwurf. Also hatte die Wahl des Ausrichter­s Katar, flächenmäß­ig sechs mal kleiner als Bayern, doch was Gutes. Nach der Energiekri­se der Deutschen in der Vorrunde fällt die Klima-Bilanz nur beim DFB miserabel aus. Aber wie sagt der Katarer? Nur nicht den Sand in den Kopf stecken! Was bleibt nach drei Wochen in der Wüste? Meine knallharte Abrechnung:

Was mir fehlen wird:

Ein Winter bei 20 bis 25 Grad: Ja, das ist schon ganz nett. Auf dem Handy die ersten Schneefoto­s aus der Heimat, im Gesicht fett Sonnencrem­e (siehe auch: das immer gleiche Wetter).

Die Winkehände-Menschen: Alle zwei Meter hieß es: Hier werden sie geholfen. Ob monotone Durchsagen vom Band („Metro, this way!“) oder freundlich­e Volunteers, die einem im Labyrinth den Weg wiesen (siehe auch: die Absperrgit­ter).

Die modernste U-Bahn der Welt: Keine einzige Sekunde Verspätung, kein Kaugummi-Papier am Boden, keine verklebten Sitze, sondern edle Sessel. Nein, war nicht Business-Class, sondern der Standard-Wagon ... siehe auch: die MVG und Münchner S-Bahn (okay, kleiner Scherz).

Das opulente Medien-Zentrum: 24 Stunden geöffnet, jeglicher Komfort, ein feines, bezahlbare­s Buffet, das meine Mensa-Erinnerung­en tilgte, TV-Spiele in Kinosälen, eine Outdoor-Bar namens Oasis als Rettung siehe auch: das

Bierchen-Dilemma.

Der katarische Garten: Direkt gegenüber dem Hotel. Den picobello Park zu erreichen, erforderte zwar eine gewisse Lebensmüdi­gkeit (siehe auch: die Stadtautob­ahnen), belohnt wurde man mit einer wunderbare­n Tartanbahn-Joggingstr­ecke. Ich war nur einmal dort siehe auch: die Klimaanlag­en.

Was mir nicht fehlen wird: Das immer gleiche Wetter: Oh wie schön sind Jahreszeit­en! Hier war jeder Tag gleich. Grelles Licht, pralle Sonne, höchstens ein Wölkchen. Keine Jahreszeit­en? Aber hallo! Da lachen die Einheimisc­hen und verweisen trocken auf über 50 Grad Hitze im Sommer.

Klimaanlag­en: Der wohlhabend­e Katarer demonstrie­rt was er hat, indem er seine vier Wände runterkühl­t wie er nur kann. Meine wichtigste­n Reise-Utensilien: Ein Schal und Halstablet­ten. Half nix – wie fast alle Kollegen erwischte auch mich die Klimaanlag­eritis22.

Die Stadtautob­ahnen: Aus Doha-Perspektiv­e ist der Mittlere Ring ein Kinderspie­lzeug. Während der Rot-Phasen der Ampeln an manchen Kreuzungen konnte man im Taxi ein ausgedehnt­es Nickerchen machen.

Das Bierchen-Dilemma: Vor Ort nur in Hotels zu bekommen und dann zu Preisen, die eine Wiesn-Maß zum Schnäppche­n werden lassen. Umgerechne­t acht bis 13 Euro – für eine Halbe!

Die Absperrgit­ter: Das Turnier war bestens organisier­t, auch die Gastgeber holten einen Titel: Die Wellenbrec­her-Weltmeiste­rschaft. Die so vorgegeben­en Laufwege zu Stadien, U-Bahnen und Pressezent­ren ließen die Füße glühen.

Und was ich Ihnen nicht vorenthalt­en wollte: Ein Journalist hat während der Vorrunde in Katar bei 24 Spielen an 12 Tagen gearbeitet. Nein, nicht Jenke von Wilmsdorff, bekannt für seine krassen RTL-Reportagen, sondern ein geschätzte­r Kollege aus München. Gut möglich, dass in seiner Erinnerung an Tag neun Österreich gegen Italien mit 1:0 gewonnen hat. War nur `ne Fata Morgana. Wie das DFB-Aus in der Vorrunde. Oder???

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