Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Winkehände im katarischen Garten
Sieben Tage, sieben Spiele – und ein dicker Kopf. Ja, ich habe es mir gegeben in Katar, war vom Mittwoch vergangener Woche bis zu diesem Dienstag bei sieben Partien in sieben verschiedenen Stadien. Aber fragen Sie mich nach meinem Rückflug am Mittwoch bitte nicht nach den Ergebnissen ...
Es war der Selbstversuch eines – weiß ich sehr wohl – höchst privilegierten Reporters. Was bei einer WM, deren acht Stadien im Umkreis von 50 Kilometern um Doha-City liegen, künftig nicht mehr möglich sein wird. Die Nordamerika-WM 2026 in den USA, Mexiko und Kanada wird `ne Meilensammler-Endrunde mit unterschiedlichen Zeitzonen, 4000 Kilometer Luftlinie sind kein Steinwurf. Also hatte die Wahl des Ausrichters Katar, flächenmäßig sechs mal kleiner als Bayern, doch was Gutes. Nach der Energiekrise der Deutschen in der Vorrunde fällt die Klima-Bilanz nur beim DFB miserabel aus. Aber wie sagt der Katarer? Nur nicht den Sand in den Kopf stecken! Was bleibt nach drei Wochen in der Wüste? Meine knallharte Abrechnung:
Was mir fehlen wird:
Ein Winter bei 20 bis 25 Grad: Ja, das ist schon ganz nett. Auf dem Handy die ersten Schneefotos aus der Heimat, im Gesicht fett Sonnencreme (siehe auch: das immer gleiche Wetter).
Die Winkehände-Menschen: Alle zwei Meter hieß es: Hier werden sie geholfen. Ob monotone Durchsagen vom Band („Metro, this way!“) oder freundliche Volunteers, die einem im Labyrinth den Weg wiesen (siehe auch: die Absperrgitter).
Die modernste U-Bahn der Welt: Keine einzige Sekunde Verspätung, kein Kaugummi-Papier am Boden, keine verklebten Sitze, sondern edle Sessel. Nein, war nicht Business-Class, sondern der Standard-Wagon ... siehe auch: die MVG und Münchner S-Bahn (okay, kleiner Scherz).
Das opulente Medien-Zentrum: 24 Stunden geöffnet, jeglicher Komfort, ein feines, bezahlbares Buffet, das meine Mensa-Erinnerungen tilgte, TV-Spiele in Kinosälen, eine Outdoor-Bar namens Oasis als Rettung siehe auch: das
Bierchen-Dilemma.
Der katarische Garten: Direkt gegenüber dem Hotel. Den picobello Park zu erreichen, erforderte zwar eine gewisse Lebensmüdigkeit (siehe auch: die Stadtautobahnen), belohnt wurde man mit einer wunderbaren Tartanbahn-Joggingstrecke. Ich war nur einmal dort siehe auch: die Klimaanlagen.
Was mir nicht fehlen wird: Das immer gleiche Wetter: Oh wie schön sind Jahreszeiten! Hier war jeder Tag gleich. Grelles Licht, pralle Sonne, höchstens ein Wölkchen. Keine Jahreszeiten? Aber hallo! Da lachen die Einheimischen und verweisen trocken auf über 50 Grad Hitze im Sommer.
Klimaanlagen: Der wohlhabende Katarer demonstriert was er hat, indem er seine vier Wände runterkühlt wie er nur kann. Meine wichtigsten Reise-Utensilien: Ein Schal und Halstabletten. Half nix – wie fast alle Kollegen erwischte auch mich die Klimaanlageritis22.
Die Stadtautobahnen: Aus Doha-Perspektive ist der Mittlere Ring ein Kinderspielzeug. Während der Rot-Phasen der Ampeln an manchen Kreuzungen konnte man im Taxi ein ausgedehntes Nickerchen machen.
Das Bierchen-Dilemma: Vor Ort nur in Hotels zu bekommen und dann zu Preisen, die eine Wiesn-Maß zum Schnäppchen werden lassen. Umgerechnet acht bis 13 Euro – für eine Halbe!
Die Absperrgitter: Das Turnier war bestens organisiert, auch die Gastgeber holten einen Titel: Die Wellenbrecher-Weltmeisterschaft. Die so vorgegebenen Laufwege zu Stadien, U-Bahnen und Pressezentren ließen die Füße glühen.
Und was ich Ihnen nicht vorenthalten wollte: Ein Journalist hat während der Vorrunde in Katar bei 24 Spielen an 12 Tagen gearbeitet. Nein, nicht Jenke von Wilmsdorff, bekannt für seine krassen RTL-Reportagen, sondern ein geschätzter Kollege aus München. Gut möglich, dass in seiner Erinnerung an Tag neun Österreich gegen Italien mit 1:0 gewonnen hat. War nur `ne Fata Morgana. Wie das DFB-Aus in der Vorrunde. Oder???