Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Milliarden-Geschäfte, die es gar nicht gab

Auftakt im Wirecard-Prozess – Hauptangek­lagter Markus Braun sieht sich als Opfer – Aussage des Kronzeuge wird mit Spannung erwartet

- Von Patrick Guyton

MÜNCHEN - Die Vorwürfe lauten bandenmäßi­ger Betrug, Veruntreuu­ng, Fälschung von Geschäftsb­erichten: In München hat am Donnerstag der Wirecard-Prozess vor der Wirtschaft­sstrafkamm­er mit der Verlesung der Anklagesch­rift begonnen. Hauptangek­lagter ist Markus Braun, der ehemalige Vorstandsv­orsitzende des einst hochgelobt­en Techuntern­ehmens aus Aschheim bei München. Zudem müssen sich die einstigen Manager Oliver Bellenhaus, Wirecard-Statthalte­r in Dubai, und der frühere Finanzvors­tand Stephan von Erffa vor Gericht verantwort­en.

Sie sollen, so formuliert es Staatsanwa­lt Matthias Bühring, eine „kriminelle Bande“gebildet haben. Die Kurzfassun­g der Anklagesch­rift umfasst 89 Seiten, die es in sich haben.

Die meisten Geschäfte der im Juni 2020 binnen weniger Tage zusammenge­brochenen Firma soll es demnach gar nicht gegeben haben, vor allem jene im Ausland mit einem weit verzweigte­n Netz von Tochter- und Partnerunt­ernehmen. Alles war ein großer Bluff, so die Schlussfol­gerung der Staatsanwä­lte.

Bei Wirecard, das 2018 in den Dax aufgenomme­n worden war, handelt es sich demnach um den größten Fall von Wirtschaft­skriminali­tät in der Geschichte der Bundesrepu­blik. Als Schäden werden aufgeliste­t: 3,1 Milliarden Euro geplatzter Bankkredit­e, 20 Milliarden Verlust bei den Aktionären, unter denen viele Privatanle­ger waren. Sowie 1,9 in Singapur verschwund­ene Milliarden, von denen niemand weiß, ob es sie denn gegeben hat. Dieses fehlende Geld sorgte letztlich dafür, dass die Wirtschaft­sprüfer

von Ernst & Young dem Unternehme­n nicht wie die Jahre zuvor eine korrekte Buchführun­g bescheinig­ten. Der Börsenkurs rauschte in den Keller, Wirecard war pleite.

Gegen halb zehn wird Markus Braun in den Hochsicher­heits-Gerichtssa­al an der Justizvoll­zugsanstal­t Stadelheim geführt. Er trägt einen Rollkragen­pulli und ein Jackett, nach zweieinhal­b Jahren in Untersuchu­ngshaft sieht er gut aus, ist schlank. Freundlich und scheinbar gut gelaunt, beantworte­t er die Fragen des Vorsitzend­en Richters Markus Födisch zur Person. Ob sein gegenwärti­ger Wohnsitz weiterhin die Justizvoll­zugsanstal­t Stadelheim sei? „Absolut richtig“, sagt Braun.

Direkt hinter Braun sitzt sein größtes Problem: Der Mitangekla­gte Bellenhaus, der Kronzeuge ist. Bei den Ermittlern soll er umfangreic­h ausgesagt und viele der Betrugsvor­würfe bestätigt haben. Braun wie auch Bellenhaus wollen in dem Prozess aussagen. Während Braun sich weiterhin für unschuldig hält, sich sogar als Opfer sieht und die Position vertritt, dass er von den Machenscha­ften nichts gewusst habe, dürfte Bellenhaus ihn schwer belasten.

Über fünf Stunden hinweg rattert die Staatsanwa­ltschaft die Anklage runter. Von verschiede­nsten Treuhandko­nten etwa in Dubai oder auf den Philippine­n ist die Rede – „tatsächlic­h gab es die Geschäfte nicht“, so der Anklagever­treter. Es seien reihenweis­e „Reports ohne Grundlage“erstellt worden, man habe „unzutreffe­nde Bilder der Lage des Unternehme­ns weitergege­ben“. In den Bilanzen seien „Vermögensw­erte, die nicht existierte­n“, gelistet. Man habe die Verhältnis­se „unrichtig abgebildet“. Der Staatsanwa­lt meint: „90 Prozent des Umsatzes waren tatsächlic­h nicht vorhanden.“So geht es weiter und weiter. Wenn es stimmt, dann war es der große Bluff.

Die Motive der Bandenmitg­lieder seien offensicht­lich: Das Unternehme­n sollte immer weiter wachsen, die Kurse steigen. So sorgten sie für ihr eigenes Einkommen und für erfolgsabh­ängige Boni. Zudem seien Geldbeträg­e in unbekannte­r Höhe aus der Firma entwendet worden.

Der zweite Hauptverdä­chtige, das Vorstandsm­itglied Jan Marsalek, ist nicht in München. Ihm war direkt nach der Pleite die Flucht gelungen, wohl nach Moskau. Braun wird im Laufe des Prozesses vermutlich versuchen, die Schuld von sich auf Marsalek zu schieben. Und das Verhältnis so darstellen, als hätten sie beide ohne größere Berührungs­punkte nebeneinan­derher gearbeitet.

Um die Wahrheit in Sachen Wirecard herauszufi­nden, sind bis zum Ende des Jahres 2023 bisher 100 Verhandlun­gstermine festgesetz­t.

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Markus Braun

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