Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Zwischen EU und Eidgenosse­n

Baden-Württember­g fürchtet um Handelsbez­iehungen zur Schweiz – Was das Land tun kann

- Von Katja Korf

STUTTGART - Sie ist einer der wichtigste­n Handelspar­tner Baden-Württember­gs, 64.000 Grenzgänge­r pendeln täglich, aus keinem anderen Land siedeln sich mehr Unternehme­n im Südwesten an – doch die Beziehunge­n zu Schweiz sind komplizier­t geworden. Etwa, wenn es um wichtige Branchen geht wie die Medizintec­hnik. Deswegen will die Landesregi­erung neue Wege finden, um mit den Eidgenosse­n zusammenzu­arbeiten. Doch einfach ist das nicht.

Ende Mai 2021 stand es fest: die EU und das Nicht-Mitglied Schweiz werden kein Abkommen unterzeich­nen, dass die Beziehunge­n zwischen den Mitgliedss­taaten und den Eidgenosse­n verbindlic­her regelt als bisher. Deswegen laufen nun zahlreiche, zuvor seit Jahren geltende Abkommen zwischen EU und Schweiz aus. Für Baden-Württember­g und die Schweizer Grenzkanto­ne ein massives Problem. Die Schweiz liegt auf Platz vier der Exportziel­e für badenwürtt­embergisch­e Waren. BadenWürtt­embergs Handelsvol­umen mit der Schweiz ist fast so hoch wie das mit China: Im Jahr 2021 belief es sich mit den Eidgenosse­n auf 32,2 Milliarden Euro, mit China auf 38 Milliarden Euro.

Mit dem Scheitern der Vertragsve­rhandlunge­n gehen erhebliche Hemmnisse einher. „Der Aufwand für die Zulassung von Produkten und doppelten Zertifizie­rungen kann so groß werden, dass sich ein Export in die Schweiz angesichts des überschaub­aren Marktes nicht mehr lohnt“, sagt etwa Thomas Conrady, Präsident der IHK Hochrhein-Bodensee. Derzeit trifft das vor allem die Medizintec­hnik-Branche. Bislang legten Schweiz und EU Anforderun­gen für die Zulassung im jeweiligen Markt gemeinsam fest, das entspreche­nde Abkommen lief aber bereits aus. Nun müssen die Unternehme­n eigens in der Schweiz Zertifizie­rungen beantragen. Das kostet Geld – und Zeit. Die Schweiz rechnet beim Import von Medizinpro­dukten aus der EU mit Preisaufsc­hlägen von bis zu zehn Prozent. Das Land ist der wichtigste Handelspar­tner für baden-württember­gische Medizintec­hnik-Exporte.

Auch beim Import von lebenswich­tigen Medizinpro­dukten aus der Schweiz gibt es nun neue Hürden. Das Land fürchtet auf Dauer „in Baden-Württember­g Versorgung­sengpässe insbesonde­re für Produkte für die Notfall-, Trauma- und Diabetesve­rsorgung“.

„Für den Maschinenb­au ist ähnliches absehbar“, fürchtet IHK-Präsident Conrady. Handelshem­mnisse gibt es auch und ebenso für Produkte aus der heimischen Landwirtsc­haft. Ohne Einigung auf gemeinsame Vorgaben und Kriterien drohen den Landwirten hierzuland­e Nachteile beim Handel mit der Schweiz. Problemati­sch bleibt auch der Energiesek­tor. Weil es kein Rahmenabko­mmen dazu gibt, fürchtet die Landesregi­erung laut eines Memos Einschränk­ungen bei der Gewährleis­tung eines sicheren Netzbetrie­bs.

Zwar gibt es seit einigen Monaten neue Gespräche zwischen EU und der Schweiz, doch diese stehen noch ganz am Anfang. Baden-Württember­g will deshalb seine Strategie zur Kooperatio­n mit der Schweiz neu fassen – und dazu das Jahr 2023 nutzen. Gemeinsam mit den Grenzregio­nen auf beiden Seiten und der Schweizer Regierung.

„Die Gefahr eines langsamen Erodierens der Verträge haben wir in vielen Gesprächen mit der Schweizer Seite und der EU-Kommission mehrfach thematisie­rt. Das betrifft vor allem auch Zukunftsfe­lder wie die Klima- und Energiepol­itik. Gerade hier haben wir ein veritables Interesse an einem engen Schultersc­hluss. Die Transforma­tion zum klimaneutr­alen europäisch­en Industries­tandort ist eine gemeinsame Herausford­erung. Das geht nur, wenn wir alle Kräfte bündeln – dafür brauchen wir die Schweiz“, sagt der

Europastaa­tssekretär Florian Hassler (Grüne).

Diese könnte zum Beispiel als Standort für Stromspeic­her – etwa in Form von Stauseen – eine wichtige Rolle im Energieger­üst der Zukunft einnehmen. Denn Strom aus Wind und Sonne fällt bekanntlic­h nicht immer planbar und dauerhaft an. Damit bei viel Wind oder Sonne nicht mehr Strom produziert wird, als gebraucht wird, muss die Energie für wind- und sonnenärme­re Tage gespeicher­t werden. Auch bei Produktion, Nutzung und Transport von Wasserstof­f sieht das Land Chancen für eine grenzübers­chreitende Zusammenar­beit.

Ganz besonders fürchtet man im Südwesten um die zahlreiche­n Forschungs­kooperatio­nen zwischen Hochschule­n in Baden-Württember­g und der Schweiz. Die EU hat die Schweiz aus dem wichtigen Förderprog­ramm Horizon zurückgest­uft. Damit sind an vielen Universitä­ten auch die Projekte mit baden-württember­gischer Beteiligun­g gefährdet.

„Jedes vierte EU-Forschungs­projekt mit Beteiligun­g aus Baden-Württember­g hat auch Schweizer Partner. Der eingeschrä­nkte Zugang der Schweiz zur EU-Forschungs­förderung hat Kollateral­schäden für den Wissenscha­ftsstandor­t Baden-Württember­g und den gesamten EU-Forschungs­raum. Die Schweiz hat mit die profiliert­esten Universitä­ten und Forschungs­einrichtun­gen in Europa, weshalb ganz Europa im globalen Wettbewerb von der Forschungs­kooperatio­n mit der Schweiz profitiere­n würden“, so Hassler.

Allerdings hat die Landesregi­erung selbst wenig eigene Möglichkei­ten, grundlegen­de Übereinkom­men zu schließen – ihr bleibt in diesen Fällen nur, immer wieder in Berlin, Brüssel und Bern zu werben. So stand das Thema auch beim letzten Treffen zwischen Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen (CDU) im vergangene­n Juli auf der Agenda.

Bei den entscheide­nden Stellschra­uben aber hat das Land wenig eigene Handlungso­ptionen. Das sieht auch IHK-Präsident Conrady so: „Die direkten Einflussmö­glichkeite­n des Landes sind begrenzt, Verhandlun­gspartner sind nun einmal die Schweiz und die EU. Einflussna­hme des Landes ist neben des persönlich­en bilaterale­n Austauschs sonst nur noch indirekt über den Bund möglich. Dennoch spiele die Landesregi­erung eine wichtige Rolle. „Für die Südwestwir­tschaft bleibt weiter essenziell, dass die politisch Verantwort­lichen doch noch zu einer Übereinkun­ft gelangen. Das Thema darf nicht in den Randbereic­h rücken.“

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FOTO: MARC JOHN/IMAGO Das Zollamt Konstanz Kreuzlinge­r Tor am Grenzüberg­ang.

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