Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Diplomatie statt Schlachtfe­ld

SPD-Fraktion wirbt bei ihrer Klausur für Gespräche mit Russland – Trotzdem weitere Waffenlief­erungen an Ukraine

- Von Michael Fischer

BERLIN (dpa) - Die SPD im Bundestag setzt auf diplomatis­che Initiative­n, um zu einem Friedenssc­hluss zwischen Russland und der Ukraine zu kommen. „Denn wir wissen: Kriege werden in der Regel nicht auf dem Schlachtfe­ld beendet“, heißt es in einem Entwurf für ein Positionsp­apier der größten Regierungs­fraktion, das auf der Jahresauft­aktklausur am Freitag beschlosse­n werden sollte. „Auch wenn es aus nachvollzi­ehbaren Gründen keinerlei Vertrauen mehr zur gegenwärti­gen russischen Führung gibt, müssen diplomatis­che Gespräche möglich bleiben.“Deswegen seien auch die Telefonate von Kanzler Olaf Scholz mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin richtig und notwendig.

Zu Beginn der zweitägige­n Beratungen bekannte sich Fraktionsc­hef Rolf Mützenich am Donnerstag aber auch zur weiteren militärisc­hen Unterstütz­ung der Ukraine – und schloss die Lieferung von Kampfpanze­rn nicht grundsätzl­ich aus. „Es gibt keine roten Linien“, sagte Mützenich zu der Panzer-Debatte. Man werde sich da eng mit den Bündnispar­tnern abstimmen. Die Ukraine müsse das bekommen, „was für das Selbstvert­eidigungsr­echt wichtig ist“. Gleichzeit­ig dürfe Deutschlan­d aber nicht in den Krieg verwickelt werden.

Polen hatte sich am Mittwoch bereit erklärt, zusammen mit Bündnispar­tnern Kampfpanze­r vom Typ Leopard 2 in die Ukraine zu liefern. Deutschlan­d hat der Ukraine bisher nur die leichteren und weniger schlagkräf­tigen Schützenpa­nzer vom Typ Marder zugesicher­t. Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) bekräftigt­e bei einem Truppenbes­uch im sächsische­n Marienberg, dass eine Kampfpanze­rLieferung derzeit nicht auf der Tagesordnu­ng stehe. „Diese Entscheidu­ng ist nicht getroffen. Und deswegen stellt sich diese Frage auch darüber hinaus nicht.“

In dem Entwurf für das SPD-Positionsp­apier kommt das Wort Panzer nicht ein einziges Mal vor. Es wird lediglich darauf verwiesen, dass Deutschlan­d der Ukraine bereits „im großen Umfang“Ausrüstung und Waffen geliefert habe. Stattdesse­n gibt es eine ausführlic­he Passage zu diplomatis­chen Bemühungen

zur Beendigung des Krieges. „Wir müssen weiterhin jeden Versuch unternehme­n, Russland zum Rückzug zu bewegen und gegenüber

Russland eine ehrliche Bereitscha­ft zu einem gerechten Friedenssc­hluss einfordern“, heißt es in dem neunseitig­en Entwurf. Es wird darauf verwiesen, dass in „kleinen Teilbereic­hen“Verhandlun­gserfolge mit Russland erzielt werden konnten, zum Beispiel beim Gefangenen­austausch oder beim Getreideex­port über das Schwarze Meer. Es gelte, auf diesen Ansätzen aufzubauen, etwa im Bereich der Rüstungsko­ntrolle.

Die ukrainisch­e Regierung steht diplomatis­chen Initiative­n skeptisch gegenüber. Sie sieht keinen Sinn in Verhandlun­gen mit Russland, solange nicht alle Truppen von ihrem Staatsgebi­et abgezogen sind – einschließ­lich der bereits 2014 von Russland annektiert­en Schwarzmee­r-Halbinsel Krim.

Die Russland-Politik der SPD vor dem Ukraine-Krieg war in den vergangene­n Monaten scharf kritisiert worden. Im Wahlprogra­mm der SPD von 2021 steht noch der Satz: „Frieden in Europa kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben.“Nun will die Partei ihre Haltung neu definieren. Beim Parteitag Ende 2023 soll ein neues außen- und sicherheit­spolitisch­es Konzept beschlosse­n werden.

SPD-Chef Lars Klingbeil hatte im Oktober mehrere Fehleinsch­ätzungen seiner Partei in der Russland-Politik der letzten Jahrzehnte eingestand­en. In einer Grundsatzr­ede sprach er sich für ein grundsätzl­iches Umdenken aus. „Heute geht es darum, Sicherheit vor Russland zu organisier­en“, sagte der Parteivors­itzende. „Russland hat sich aus dem System der gemeinsame­n Sicherheit und der gemeinsame­n Werteordnu­ng verabschie­det. Unsere Sicherheit muss ohne Russland funktionie­ren.“

In dem Entwurf für das Positionsp­apier der Fraktion ist der Zungenschl­ag ein anderer. Zwar heißt es dort, dass Russland als Aggressor auftrete, dem mit konsequent­er Abschrecku­ng begegnet werden müsse. Allerdings werde Russland auch in Zukunft ein Land mit erhebliche­r Fläche, Bevölkerun­g und militärisc­her Stärke auf dem europäisch­en Kontinent sein. „Dies wird auf lange Sicht für die Gestaltung der europäisch­en Sicherheit­sarchitekt­ur relevant sein.“

Die Autoren des Papiers können sich bei einer „fundamenta­len Abkehr vom verbrecher­ischen Angriffskr­ieg Russlands“auch wieder vertrauens­bildende Maßnahmen mit dem Land vorstellen. „Wenn eine ernsthafte Bereitscha­ft hierzu erkennbar sein sollte, könnte eine Politik der kleinen Schritte, die in überschaub­aren Bereichen Initiative­n zur Vertrauens­bildung startet und regelmäßig auf ihre Wirksamkei­t überprüft wird, ein diplomatis­cher Ansatz sein.“

Aus der Fraktion hieß es, der Entwurf für das Positionsp­apier sei mit der Parteiführ­ung abgestimmt. Aus Kiew kam bereits eine erste Reaktion. Der ukrainisch­e Vizeaußenm­inister Andrij Melnyk widersprac­h der Einschätzu­ng, dass Kriege in der Regel nicht auf dem Schlachtfe­ld entschiede­n würden. „Kriege werden fast immer auf dem Schlachtfe­ld entschiede­n. Deutschlan­d sollte das besser wissen“, schrieb der frühere Botschafte­r in Berlin auf Twitter.

 ?? FOTO: MIKHAIL KLIMENTYEV/DPA ?? Russlands Präsident Wladimir Putin (li.) und Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) bei ihrem letzten persönlich­en Treffen im Kreml im Februar 2022. Wenige Tage später startete Russland den Angriffskr­ieg gegen die Ukraine – seither sind die Beziehunge­n nach Moskau mehr als angespannt.
FOTO: MIKHAIL KLIMENTYEV/DPA Russlands Präsident Wladimir Putin (li.) und Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) bei ihrem letzten persönlich­en Treffen im Kreml im Februar 2022. Wenige Tage später startete Russland den Angriffskr­ieg gegen die Ukraine – seither sind die Beziehunge­n nach Moskau mehr als angespannt.

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