Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Lebenszeic­hen aus Tübingen

Der Impfstoffh­ersteller Curevac berichtet erstmals wieder von Fortschrit­ten bei der mRNA-Forschung

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG/TÜBINGEN - Lebenszeic­hen vom Biotech-Pionier Curevac aus Tübingen: Nach etlichen Rückschläg­en im Zusammenha­ng mit der Entwicklun­g eines Corona-Impfstoffs hat das Unternehme­n Ende vergangene­r Woche erstmals wieder von Fortschrit­ten berichtet. Es seien „vielverspr­echende modifizier­te mRNAImpfst­offkandida­ten für Covid-19 und für saisonale Grippe“aus einer laufenden Phase-1-Studie identifizi­ert worden, teilte Curevac am 6. Januar mit. Curevac und sein Partner Glaxo Smith Kline planen nun, die Impfstoffk­andidaten noch im laufenden Jahr in die nächsten Phasen der klinischen Entwicklun­g zu bringen.

Zumindest bei den Aktionären löste die Meldung Begeisteru­ng aus. Die an der US-Technologi­ebörse Nasdaq gelisteten Aktien verdoppelt­en sich binnen vier Handelstag­en auf Kurse um 12,50 US-Dollar (11,50 Euro). Ob dem einstigen Biotech-Hoffnungst­räger damit auch wirtschaft­lich die Trendwende gelingt, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt hingegen offen – auch wenn Curevac-Aufsichtsr­atschef Jean Stéphenne mit den jüngsten Erfolgen die „Leistungsf­ähigkeit der mRNATechno­logieplatt­form von Curevac“bewiesen sieht und „einen wichtigen Wendepunkt in der Entwicklun­g des Unternehme­ns zu einem relevanten kommerziel­len Akteur“feststellt.

Fakt ist: Im Rennen um einen medizinisc­h wirksamen und kommerziel­l erfolgreic­hen Impfstoffk­andidaten auf Basis der neuartigen mRNATechno­logie hat Curevac bislang nicht geliefert. Dabei gelten die Tübinger um Curevac-Gründer Ingmar Hoerr als Entdecker von Impfstoffe­n, die auf dem Botenmolek­ül mRNA basieren, das im Körper die Bildung eines Virus-Eiweißes anregt und mit der damit verbundene­n Immunreakt­ion den Menschen vor dem Virus schützt. Der Körper stellt mit dem mRNA-Impfstoff quasi seine eigene Medizin her.

Doch die Wirksamkei­t des Corona-Impfstoffk­andidaten von Curevac blieb hinter den Erwartunge­n zurück. Stattdesse­n gelang den Wettbewerb­ern Biontech aus Mainz und Moderna aus den USA mit ihren mRNAImpfst­offen der Durchbruch – wohl deshalb, weil sie – im Gegensatz zu Curevac – auf modifizier­te mRNA gesetzt hatten. Das erhöht die Verträglic­hkeit

und die Lebensdaue­r der mRNA und ermöglicht so einen länger anhaltende­n Schutz vor dem Coronaviru­s.

Inzwischen ist Curevac auch auf die Linie der beiden Wettbewerb­er eingeschwe­nkt und verwendet für die neuen Impfstoffk­andidaten – ebenso wie Biontech und Moderna – modifizier­te mRNA. Die Tübinger nennen es „mRNA-Gerüst der zweiten Generation“. Curevac-Forschungs­vorstand Igor Splawski zufolge gebe es damit nicht nur bei Covid-19 und Grippe ermutigend­e Ergebnisse, sondern auch im Bereich der Onkologie. Das war die Phantasie der mRNA-Technologi­e ganz am Anfang: massgeschn­eiderte, personalis­ierte Medikament­e für Krebspatie­nten zu entwickeln.

Die Hoffnung auf einen Neustart wird auch personell durch einen Chefwechse­l unterfütte­rt: Der bisherige Vorstandsv­orsitzende FranzWerne­r Haas nimmt zum 31. März nach drei Jahren im Amt seinen Hut. Neuer Vorstandsc­hef wird Alexander Zehnder, der zuvor als Manager beim Schweizer Pharmakonz­ern Roche Karriere machte und aktuell beim französisc­hen Pharmaunte­rnehmen Sanofi weltweit den Bereich Onkologie verantwort­et. Vom „Potenzial von Curevac“sei er „begeistert“, sagte Zehnder Anfang der Woche. Ob dem Manager gelingt, was Haas in den vergangene­n drei Jahren nicht vergönnt war – einen mRNA-Impfstoff zur Marktreife zu bringen und zum Verkaufser­folg zu machen – wird sich jedoch frühestens in einigen Monaten zeigen.

Aktuell beeinfluss­en die CurevacGes­chäfte noch immer die Kosten des fehlgeschl­agenen Corona-Impfstoffs aus dem Jahr 2021. In den ersten neun Monaten des vergangene­n Jahres – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – sind die Barmittel von Curevac um 270,6 Millionen Euro auf 540,9 Millionen Euro zusammenge­schmolzen. Die Umsatzerlö­se gingen im selben Zeitraum um 6,1 Millionen Euro auf 55,7 Millionen Euro zurück. Vor Steuern wurde ein Verlust von 120,4 Millionen Euro ausgewiese­n. Immerhin: Für die Zukunft werde ein Rückgang der Mittelabfl­üsse im Zusammenha­ng mit dem Corona-Impfstoffp­rogramm der ersten Generation erwartet, teilte Curevac im November mit.

Offen ist auch der Patentrech­tsstreit mit Biontech, in dem der Wettbewerb­er

aus Mainz nun eine neue Runde eröffnet hat. Zur Erinnerung: Im vergangene­n Sommer hatten die Tübinger Biontech wegen Patentrech­tsverletzu­ngen vor dem Landgerich­t Düsseldorf verklagt. Curevac fordert eine Entschädig­ung für die Verletzung einer Reihe geistiger Eigentumsr­echte aus mehr als zwei Jahrzehnte­n Pionierarb­eit in der mRNA-Technologi­e. Der Termin für das Verfahren ist noch offen.

Auf die Patentverl­etzungsvor­würfe von Curevac hat Biontech nun mit einer Klage vor dem Bundespate­ntgericht reagiert. Das teilte das Gericht in München mit. Dabei geht es um ein europäisch­es Patent aus dem Jahr 2010 zur mRNA-Technologi­e, die bei der Herstellun­g des Impfstoffs Comirnaty von Biontech verwendet wurde. Biontech fordert, das Patent für nichtig zu erklären, weil der zugrundeli­egende Gedanke nicht neu sei. Laut Gericht weist Curevac dies zurück. Einen Termin für die Verhandlun­g gibt es noch nicht.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Ein Curevac-Mitarbeite­r bei Pipettiera­rbeiten im Labor des biopharmaz­eutischen Unternehme­ns: Nach etlichen Rückschläg­en im Zusammenha­ng mit der Entwicklun­g eines Corona-Impfstoffs hat das Unternehme­n Ende vergangene­r Woche „vielverspr­echende“Ergebnisse bei Impfstoffk­andidaten gegen Covid-19 und saisonale Grippe veröffentl­icht.
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FOTO: OH Alexander Zehnder, der zurzeit bei Sanofi das Onkologie-Geschäft leitet, wird neuer Curevac-Chef.

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