Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Lebenszeichen aus Tübingen
Der Impfstoffhersteller Curevac berichtet erstmals wieder von Fortschritten bei der mRNA-Forschung
RAVENSBURG/TÜBINGEN - Lebenszeichen vom Biotech-Pionier Curevac aus Tübingen: Nach etlichen Rückschlägen im Zusammenhang mit der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs hat das Unternehmen Ende vergangener Woche erstmals wieder von Fortschritten berichtet. Es seien „vielversprechende modifizierte mRNAImpfstoffkandidaten für Covid-19 und für saisonale Grippe“aus einer laufenden Phase-1-Studie identifiziert worden, teilte Curevac am 6. Januar mit. Curevac und sein Partner Glaxo Smith Kline planen nun, die Impfstoffkandidaten noch im laufenden Jahr in die nächsten Phasen der klinischen Entwicklung zu bringen.
Zumindest bei den Aktionären löste die Meldung Begeisterung aus. Die an der US-Technologiebörse Nasdaq gelisteten Aktien verdoppelten sich binnen vier Handelstagen auf Kurse um 12,50 US-Dollar (11,50 Euro). Ob dem einstigen Biotech-Hoffnungsträger damit auch wirtschaftlich die Trendwende gelingt, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt hingegen offen – auch wenn Curevac-Aufsichtsratschef Jean Stéphenne mit den jüngsten Erfolgen die „Leistungsfähigkeit der mRNATechnologieplattform von Curevac“bewiesen sieht und „einen wichtigen Wendepunkt in der Entwicklung des Unternehmens zu einem relevanten kommerziellen Akteur“feststellt.
Fakt ist: Im Rennen um einen medizinisch wirksamen und kommerziell erfolgreichen Impfstoffkandidaten auf Basis der neuartigen mRNATechnologie hat Curevac bislang nicht geliefert. Dabei gelten die Tübinger um Curevac-Gründer Ingmar Hoerr als Entdecker von Impfstoffen, die auf dem Botenmolekül mRNA basieren, das im Körper die Bildung eines Virus-Eiweißes anregt und mit der damit verbundenen Immunreaktion den Menschen vor dem Virus schützt. Der Körper stellt mit dem mRNA-Impfstoff quasi seine eigene Medizin her.
Doch die Wirksamkeit des Corona-Impfstoffkandidaten von Curevac blieb hinter den Erwartungen zurück. Stattdessen gelang den Wettbewerbern Biontech aus Mainz und Moderna aus den USA mit ihren mRNAImpfstoffen der Durchbruch – wohl deshalb, weil sie – im Gegensatz zu Curevac – auf modifizierte mRNA gesetzt hatten. Das erhöht die Verträglichkeit
und die Lebensdauer der mRNA und ermöglicht so einen länger anhaltenden Schutz vor dem Coronavirus.
Inzwischen ist Curevac auch auf die Linie der beiden Wettbewerber eingeschwenkt und verwendet für die neuen Impfstoffkandidaten – ebenso wie Biontech und Moderna – modifizierte mRNA. Die Tübinger nennen es „mRNA-Gerüst der zweiten Generation“. Curevac-Forschungsvorstand Igor Splawski zufolge gebe es damit nicht nur bei Covid-19 und Grippe ermutigende Ergebnisse, sondern auch im Bereich der Onkologie. Das war die Phantasie der mRNA-Technologie ganz am Anfang: massgeschneiderte, personalisierte Medikamente für Krebspatienten zu entwickeln.
Die Hoffnung auf einen Neustart wird auch personell durch einen Chefwechsel unterfüttert: Der bisherige Vorstandsvorsitzende FranzWerner Haas nimmt zum 31. März nach drei Jahren im Amt seinen Hut. Neuer Vorstandschef wird Alexander Zehnder, der zuvor als Manager beim Schweizer Pharmakonzern Roche Karriere machte und aktuell beim französischen Pharmaunternehmen Sanofi weltweit den Bereich Onkologie verantwortet. Vom „Potenzial von Curevac“sei er „begeistert“, sagte Zehnder Anfang der Woche. Ob dem Manager gelingt, was Haas in den vergangenen drei Jahren nicht vergönnt war – einen mRNA-Impfstoff zur Marktreife zu bringen und zum Verkaufserfolg zu machen – wird sich jedoch frühestens in einigen Monaten zeigen.
Aktuell beeinflussen die CurevacGeschäfte noch immer die Kosten des fehlgeschlagenen Corona-Impfstoffs aus dem Jahr 2021. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – sind die Barmittel von Curevac um 270,6 Millionen Euro auf 540,9 Millionen Euro zusammengeschmolzen. Die Umsatzerlöse gingen im selben Zeitraum um 6,1 Millionen Euro auf 55,7 Millionen Euro zurück. Vor Steuern wurde ein Verlust von 120,4 Millionen Euro ausgewiesen. Immerhin: Für die Zukunft werde ein Rückgang der Mittelabflüsse im Zusammenhang mit dem Corona-Impfstoffprogramm der ersten Generation erwartet, teilte Curevac im November mit.
Offen ist auch der Patentrechtsstreit mit Biontech, in dem der Wettbewerber
aus Mainz nun eine neue Runde eröffnet hat. Zur Erinnerung: Im vergangenen Sommer hatten die Tübinger Biontech wegen Patentrechtsverletzungen vor dem Landgericht Düsseldorf verklagt. Curevac fordert eine Entschädigung für die Verletzung einer Reihe geistiger Eigentumsrechte aus mehr als zwei Jahrzehnten Pionierarbeit in der mRNA-Technologie. Der Termin für das Verfahren ist noch offen.
Auf die Patentverletzungsvorwürfe von Curevac hat Biontech nun mit einer Klage vor dem Bundespatentgericht reagiert. Das teilte das Gericht in München mit. Dabei geht es um ein europäisches Patent aus dem Jahr 2010 zur mRNA-Technologie, die bei der Herstellung des Impfstoffs Comirnaty von Biontech verwendet wurde. Biontech fordert, das Patent für nichtig zu erklären, weil der zugrundeliegende Gedanke nicht neu sei. Laut Gericht weist Curevac dies zurück. Einen Termin für die Verhandlung gibt es noch nicht.