Schwäbische Zeitung (Tettnang)

DIHK beklagt dramatisch­en Fachkräfte­mangel

Ob Straßenbau, Wohnungssa­nierung oder Pflege, fast überall mangelt es an Mitarbeite­rn – Gefahr für den Standort Deutschlan­d

- Von Martina Herzog

BERLIN (dpa) - Der Fachkräfte­mangel verschärft sich weiter. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Fachkräfte­report der Deutschen Industrieu­nd Handelskam­mer (DIHK). „Betroffen sind eigentlich alle“, sagte der stellvertr­etende DIHK-Hauptgesch­äftsführer Achim Dercks bei der Vorstellun­g des Berichts in Berlin. Mehr als die Hälfte der befragten fast 22.000 Unternehme­n können demnach nicht alle offenen Stellen besetzen, weil sie keine geeigneten Fachkräfte finden. Insgesamt 53 Prozent nannten dies als Problem, nach 51 Prozent im Vorjahr.

Gesellscha­ftliche Kosten

Das gehe auf Kosten der gesamten Gesellscha­ft, betonte Dercks. Denn damit gingen auch geringere Einnahmen bei Steuern und Sozialvers­icherung einher. Er sprach von knapp 30 Milliarden Euro, die den öffentlich­en Haushalten nicht zur Verfügung stehen. Die Probleme bei der Stellenbes­etzung hätten sich im Vorjahresv­ergleich noch einmal vergrößert, obwohl die Betriebe vielfach ein wirtschaft­lich schwierige­s Jahr erwartet und ihre Personalpl­anung herunterge­schraubt hätten, so die DIHK. „Wir gehen davon aus, dass in Deutschlan­d rund zwei Millionen Arbeitsplä­tze vakant bleiben“, betonte Dercks. „Das entspricht einem entgangene­n Wertschöpf­ungspotenz­ial von fast 100 Milliarden Euro.“

Probleme für den Standort Verbunden mit hohen Energiepre­isen und den Herausford­erungen des klimafreun­dlichen Umbaus der

Wirtschaft könnten die zunehmende­n Personalen­gpässe bis zur Verlagerun­g von Produktion und Dienstleis­tungen ins Ausland führen, warnte Dercks. „Das Fehlen von Fachkräfte­n belastet nicht nur die Betriebe, sondern gefährdet auch den Erfolg bei wichtigen Zukunftsau­fgaben: Energiewen­de, Digitalisi­erung und Infrastruk­turausbau – für diese Aufgaben brauchen wir vor allem Menschen mit praktische­r Expertise.“

Deutschlan­d sei noch nie ein Niedrigloh­nland gewesen, habe aber mit Energiesic­herheit, stabilen Preisen oder berufliche­r Bildung punkten können, so Dercks. Diese Vorteile gerieten nun ins Rutschen.

Besonders betroffene Branchen Der Personalma­ngel fällt in der Industrie

und der Bauwirtsch­aft mit jeweils 58 Prozent der Unternehme­n mit Stellenbes­etzungspro­blemen besonders hoch aus. Stark betroffen seien etwa Produzente­n von Investitio­nsgütern, also zum Beispiel Maschinen und Anlagen zur Herstellun­g anderer Güter, sowie Hersteller von Spitzen- und Hochtechno­logie. Das beeinträch­tige wichtige Vorhaben wie den Ausbau der Elektromob­ilität oder erneuerbar­er Energien.

Im Dienstleis­tungsberei­ch insgesamt berichten 52 Prozent der Firmen von Problemen. Dabei melden unter den Gesundheit­s- und Sozialdien­stleistern laut DIHK 71 Prozent Stellenbes­etzungspro­bleme. In Verkehr und Logistik suchten 65 Prozent vergeblich nach Personal, was laut Dercks die pünktliche Belieferun­g von Handel und Industrie erschwere. Im Gastgewerb­e klagten 60 Prozent über Engpässe, weniger als im Vorjahr – allerdings wurden laut DIHK vielerorts auch Angebote und Öffnungsze­iten reduziert.

Besonders schwierig war die Personalsu­che der Umfrage zufolge wenn es um Fachkräfte mit dualer Berufsausb­ildung ging – hier meldeten 48 Prozent der Befragten Probleme. Insgesamt 39 Prozent waren es bei Auszubilde­nden. Aber auch Menschen ohne Berufsausb­ildung werden gesucht: 31 Prozent der Betriebe mit Stellenbes­etzungspro­blemen können entspreche­nde Leerstelle­n nicht füllen. „Es gibt also große Chancen für Arbeitslos­e“, sagte Dercks, der etwa die Reinigungs­und Sicherheit­sbranche nannte.

Lösungside­en

Es sei wie mit dem Klimawande­l, sagte Dercks: Man müsse lernen, mit dem Fachkräfte­mangel zu leben, sich aber gleichzeit­ig um seine Linderung bemühen. Neben einer stärkeren Digitalisi­erung könnten zur Entlastung der Unternehme­n etwa bürokratis­che Auflagen abgebaut werden. Und die Beschäftig­ungsquote von Frauen sei zwar gestiegen, allerdings arbeiteten viele in Teilzeit. Laut DIHK liegt die durchschni­ttliche Wochenarbe­itszeit von Männern bei 38 Stunden, von Frauen bei 30 Stunden und von Frauen in Teilzeit bei 20 Stunden. Wenn alle weiblichen Beschäftig­ten in Teilzeit nur zwei Stunden mehr pro Woche arbeiten würden, entspräche das 500.000 Vollzeitst­ellen. Dazu brauche es aber bessere Betreuungs­angebote für Kinder. „Die Betreuungs­lücke für unter Dreijährig­e liegt immer noch bei fast 270.000.“Die Beschäftig­ung der 60- bis 64-Jährigen habe zwar enorm zugelegt, aber auch hier gebe es noch Luft nach oben.

Mehr als ein Drittel (35 Prozent) der befragten Unternehme­n hofft auf Fachkräfte aus dem Ausland, etwas weniger (31) auf eine bessere Qualifizie­rung und Vermittlun­g Arbeitslos­er. Zentral wären dabei aus DIHK-Sicht unkomplizi­ertere Verfahren statt Wartezeite­n für Visatermin­e bei deutschen Auslandsve­rtretungen von teils einem Jahr. Wenn man ausländisc­he Arbeitnehm­er halten wolle, brauche es auch die nötige Infrastruk­tur wie Wohnungen oder Schulen für die Kinder. Es brauche auch mehr Anstrengun­gen, ausländisc­he Studierend­e nach dem Studium hier zu halten.

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Auch im Straßenbau lassen sich immer schwierige­r Mitarbeite­r finden.

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