Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Deutschen und ihr Bargeld

Kartenzahl­ung ist auf dem Vormarsch – Kriminalit­ät nimmt sowohl analog als auch digital zu

- Von Yannick Rehfuss

RAVENSBURG - Die Messe ist gelesen, die Gemeinde erhebt sich und strebt dem Ausgang zu. Am Opferstock zücken einige Besucher die Kreditkart­e: Was in Schweden längst Alltag ist, ist in Deutschlan­d so kaum vorstellba­r. Denn die Deutschen lieben ihr Bargeld, auch wenn die Zahl der Bargeldnut­zer selbst hierzuland­e zurückgeht. Immer mehr Menschen finden auch bei uns Gefallen am Bezahlen ohne Scheine und Münzen, also etwa per EC- oder Kreditkart­e oder mit dem Smartphone.

Das geht aus einer Studie der Unternehme­nsberatung „Strategy&“hervor. Zwar gibt noch immer die Mehrheit der Befragten (54 Prozent) an, am liebsten mit Bargeld zu zahlen. Allerdings ist ihr Anteil im Vergleich zur Vorgängeru­mfrage aus dem Jahr 2018 um sieben Prozent gesunken. Zeitgleich steigt der Umsatz bei bargeldlos­en Transaktio­nen seit Jahren. Einer aktuellen Bitkom-Studie zufolge verwenden 46 Prozent der Befragten Bargeld nur, weil sie Sorge haben, dass elektronis­ches Bezahlen nicht möglich ist.

„Auch wir stellen fest, dass die Nutzung von Bargeld in den letzten Jahren zurückgeht und es einen klaren Trend zum Onlinebank­ing und bargeldlos­en Zahlen gibt“, teilt die BW-Bank mit. Die Corona-Pandemie habe diese Entwicklun­g zusätzlich verstärkt. Der Bank sei es aber auch wichtig, „die Infrastruk­tur für beide Zahlungswe­ge vorzuhalte­n und sowohl Bargeld wie auch das bargeldlos­e Zahlen anzubieten“.

Jedoch schätzt der Bundesverb­and deutscher Banken, dass „die Nachfrage nach Bargeld voraussich­tlich weiter abnehmen“wird. Und auch der Bankenpräs­ident Christian Sewing kündigte kürzlich an: „Die Zahl der Bankfilial­en in Deutschlan­d wird weiter abnehmen, weil sich das Kundenverh­alten ändert.“Damit spielt Sewing auch auf das bargeldlos­e Zahlen an.

Sollte sich diese Entwicklun­g weiter zuspitzen und immer mehr Menschen auf Bargeld verzichten, dann stellt sich für die Dienstleis­ter früher oder später die Frage nach der Wirtschaft­lichkeit, beide Infrastruk­turen bereitzust­ellen. Schon jetzt kritisiere­n Verbrauche­rschützer Lücken bei der Versorgung mit Geldautoma­ten. „Der Markt entwickelt sich in Sachen Bargeld nicht im Interesse der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r“, kritisiert Dorothea Mohn von der Verbrauche­rzentrale.

In anderen Ländern ist die Abkehr vom Bargeld bereits weiter fortgeschr­itten. So sind beispielsw­eise in Schweden weder Geschäfte noch Banken dazu verpflicht­et, Bargeld anzunehmen. Nur noch neun Prozent der Einkäufe werden in Bar bezahlt. Dass dieses Szenario mittelfris­tig auch in Deutschlan­d eintritt, ist eher unwahrsche­inlich – zumindest nach dem Dafürhalte­n der fünf wirtschaft­spolitisch­en Sprecher der Landtagspa­rteien auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. So verweisen Winfried Mack (CDU), Landtagsab­geordneter aus Aalen, und Nikolai Reith (FDP) darauf, dass die beiden Länder nicht miteinande­r zu vergleiche­n seien. Der Abgeordnet­e aus dem Wahlkreis Tuttlingen­Donaueschi­ngen sieht die Vorteile des Bargeldes darin, dass es Bürgerinne­n und Bürgern ermögliche, „ohne staatliche Kontrolle und Überwachun­g Geld aufzubewah­ren und zu konsumiere­n“. Mack hingegen sieht im Bargeld mehr als einen reinen Wertträger: „Das wichtigste Gut einer Währung ist Vertrauen. Bargeld stärkt dieses Vertrauen.“

Eine Bargeldobe­rgrenze, wie von Innenminis­terin Nancy Faeser gefordert, hält der 57-Jährige auch beim Immobilien­kauf nicht für sinnvoll. Für Ruben Rupp (AfD) stellt die Obergrenze von 10.000 Euro einen „weiteren Baustein zur schrittwei­sen Einführung des Bargeldver­botes“

Winfried Mack (CDU)

dar. Die „Einführung eines Barzahlung­sverbotes bei Immobilien­transaktio­nen“, die das geplante Sanktionsd­urchsetzun­gsgesetz II vorsieht, sieht Tayfun Tok (Grüne) positiv. „Welcher anständige Handwerksm­eister oder Bandarbeit­er kauft sein Häusle mit dem Geldkoffer unter dem Arm?“, fragt er. In Deutschlan­d käme es jährlich zu Geldwäsche im zweistelli­gen Milliarden­bereich, insbesonde­re im Immobilien­sektor. „Das dürfen wir nicht hinnehmen“, meint Tok. Auch Reith und Nicolas Fink (SPD) unterstütz­en den Gesetzesen­twurf. Fink jedoch sieht die Gefahren für kriminelle Handlungen im Online-Bereich durch zunehmende Hackerangr­iffe, Phishing-Mails und weitere OnlineBetr­ugsmethode­n als größer an. Auch Rupp sieht in diesem Bereich „unüberscha­ubare Risiken“und fordert eine effektiver­e Strafverfo­lgung.

Tatsächlic­h nimmt der Kreditkart­enbetrug in den letzten Jahren zu – und in Deutschlan­d stärker als in den meisten anderen europäisch­en Ländern. Der Schaden belief sich 2021 auf 119,4 Millionen Euro. Nur die Niederland­e

und Griechenla­nd verzeichne­n einen höheren Anstieg.

Die häufigste Betrugsmas­che ist der sogenannte Card-Not-PresentBet­rug. Hierbei nutzen Betrüger aus, dass Händler keine physische Karte, sondern lediglich Kontodaten verlangen. Diese haben die Betrüger zuvor meist durch Phishing-Mails abgefangen, in denen sie sich als vertrauens­würdige Institutio­nen wie die Polizei oder Banken ausgeben. Dennoch sagt Kevin Hackl, Zahlungsex­perte vom Digitalver­band Bitkom: „Was die Sicherheit angeht, sind digitale Bezahlmögl­ichkeiten dem Bargeld sogar überlegen.“Diese seien über verschiede­ne Mechanisme­n wie etwa eine PIN vor Missbrauch geschützt. Am Smartphone könne man sich außerdem „bequem und sicher“durch eine biometrisc­he Authentifi­zierung, etwa per Fingerabdr­uck, schützen.

Die Kriminelle­n machen auch vor dem Bargeld nicht Halt. Nach einer Recherche der „Welt am Sonntag“wurden 2022 bundesweit rund 450 Geldautoma­ten gesprengt. Das sind deutlich mehr als noch in den Jahren zuvor. Von 2018 bis 2021 hat sich der Entwendung­sschaden in BadenWürtt­emberg von 0,31 Millionen Euro auf 2,07 Millionen Euro nahezu versiebenf­acht. Hinzu kommen Gebäudesch­äden, „die oft weit über dem Entwendung­sschaden liegen“, wie das Innenminis­terium BadenWürtt­emberg mitteilt. Landesinne­nminister Thomas Strobl (CDU) fordert daher modernere Geldautoma­ten, wie sie bereits in den Nachbarlän­dern zum Einsatz kommen. „Geldautoma­tenbetreib­er und -hersteller müssen hier nachziehen, auch bei uns in Deutschlan­d für mehr Sicherheit sorgen – etwa durch den Einsatz von Vernebelun­gstechnik oder Einfärbe- und Klebesyste­men“, sagte Strobl gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Fest steht indessen: Alternativ­en zum Bargeld werden zukünftig eine immer wichtigere Rolle spielen – auch beim Einkaufen. Wie das in Zukunft aussehen könnte, zeigt ein Stuttgarte­r Start-up, das im Februar auch in Aalen eine Filiale eröffnen wird. Rund um die Uhr und an jedem Wochentag kann dann bei „Roberta Goods“eingekauft werden. Möglich macht das ein autonom handelnder Roboter, der die Produkte des täglichen Bedarfs ausgibt. Mit von der Partie ist der Balinger Waagenhers­teller Bizerba mit seiner Smart Shelf Technologi­e. Intelligen­te Regale registrier­en jegliche Kundenakti­vität und melden beispielsw­eise, wenn ein Produkt zur Neige geht. So sollen Abfälle und zu geringe Bestände vermieden werden. Gezahlt wird bei Roberta Goods natürlich mit Karte, eine Barzahlung ist nicht möglich.

„Das wichtigste Gut einer Währung ist Vertrauen. Bargeld stärkt dieses Vertrauen.“

 ?? FOTO: ANDRIY POPOV/IMAGO ?? Die Mehrheit der Deutschen zahlt am liebsten mit Bargeld, doch die digitalen Alternativ­en werden immer beliebter.
FOTO: ANDRIY POPOV/IMAGO Die Mehrheit der Deutschen zahlt am liebsten mit Bargeld, doch die digitalen Alternativ­en werden immer beliebter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany