Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Wo Müllberge zu grünen Skipisten werden
Kopenhagen darf sich in diesem Jahr Welthauptstadt der Architektur nennen
openhagen● ist die Kleine Meerjungfrau. Kopenhagen ist d i e Fahrradstadt in Europa. Kopenhagen ist die Designmetropole. Und Kopenhagen ist in diesem Jahr auch die Welthauptstadt der Architektur.
Die Unesco hat diesen Titel nach Rio de Janeiro 2020 jetzt an Dänemarks Hauptstadt vergeben. Unter der Überschrift „Copenhagen in Common“(gemeinsames Kopenhagen) gibt es zwölf Monate lang ein vielfältiges Programm. Zu den rund 300 Veranstaltungen gehören unter anderem das Open House (25. und 26. März), bei dem 50 besondere Gebäude wie Paläste, Industriebauten und Privathäuser der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, ein riesiges Picknick in der gesamten Innenstadt (11. Juni), Ausstellungen im Danish Architecture Center (DAC) sowie der Weltkongress der Architektur (2. – 6. Juli).
Auch wer keines dieser besonderen Events besucht, stößt bei einer Reise nach Kopenhagen an vielen Stellen in der Stadt auf architektonische Glanzlichter. An der Hafenfront ragt zum Beispiel ein Bauwerk namens Blox aus zusammengeschobenen Boxen ins Wasser hinaus. Es sind Würfel aus farbigem Glas, in denen sich die Umgebung spiegelt; grün wie die Kupferdächer der Stadt, blau wie der Himmel und das Meer. Der Entwurf stammt von OMA, Rem Koolhaas’ renommiertem Architekturbüro in Rotterdam. Hier geht es weniger um das Gebäude als vielmehr um die Umgebung – und vor allem um deren Reflexion. Die Gebäude von Koolhaas sind oft schon für sich genommen kleine Städte. Im Blox sind Büros, Wohnungen, CoWorking-Plätze, Fitnessstudio, Restaurant, Café, Spielplatz und eben das DAC ineinander verschachtelt. Eine doppelte Brückenkonstruktion überbaut eine Schnellstraße und verwendet dabei mehr Stahl als der Eiffelturm.
Das DAC, zentraler Treffpunkt dieses Architekturjahres, hat im innen liegenden Atrium seine Ausstellungsfläche. „Die Sammlung hier ist die gesamte Stadt im Kleinen“, sagt Camilla van Deurs, Stadtarchitektin von Kopenhagen. „Wir wollen möglichst viele Menschen dafür sensibilisieren, wie Architektur unser tägliches Leben beeinflusst.“
Erst seit 1990 holt die Stadt bei der Stadtplanung auf. Zwischen 1960 und 1990 hatte sich die Bevölkerung Kopenhagens fast halbiert. Die S-Bahnlinien wurden ausgebaut und das Umland für Wohnquartiere erschlossen, gleichzeitig entstanden Vorortsiedlungen mit viel höherem Wohnstandard als in der Innenstadt. Die City blutete aus. Auf einer großen Brachflächen direkt am Hafen hatten sich Camper niedergelassen.
Nach und nach sind viele neue beeindruckende Bauten entstanden, darunter das Blox und der sogenannte schwarze Diamant, ein Anbau der Königlichen Bibliothek. Von hier aus hat man den schönsten Blick auf die spektakuläre Brücke Cirkelbroen des in Berlin und Kopenhagen lebenden Künstlers Olafur Eliasson. Fünf von weißen Masten abgehängte runde
KPlattformen schweben über dem Wasser.
Kopenhagens neue Waterfront ist zu einem beliebten Hotspot geworden. Hier wird gelebt, gearbeitet, gefeiert – und sogar gebadet. Das Wasser ist sehr sauber, Stege laden überall zum Schwimmen ein, selbst im Winter. Man bekommt eine Ahnung davon, warum Kopenhagen im vergangenen Jahr nach Wien auf Platz zwei der lebenswertesten Städte der Welt gewählt wurde.
Die breiten Fußgängerwege sind gesäumt von Trauben abgestellter Fahrräder. Das Ideal der „autogerechten Stadt“, wie es einst Le Corbusier vertrat, ist längst keines mehr – das hat Kopenhagen früh verstanden. In 15 Minuten soll alles mit dem Rad erreichbar sein. Fahrradwege werden bei der Planung bevorzugt, Brücken für Fahrzeuge gesperrt. „Wenn Fahrradfahren erleichtert wird, steigt die Nachfrage danach“ sagt Sophie Haestorp Andersen, Kopenhagens Bürgermeisterin. Ziel sei, dass von zehn Menschen sieben das Auto stehen ließen.
Zurück zur Architektur. Wo früher Lagerhallen für Zeitungspapier standen, entsteht gerade The Paper Island, ein Mischquartier im Herzen des Hafens, neben der Königlichen Oper und gegenüber des Schauspielhauses. Inspiriert von den Dachformen der historischen Warenhäuser schafft das Architekturbüro COBE markante trapezförmige Baukörper als nachhaltigen Wohnraum in bester Lage. In Nordhavn, dem ehemaligen Industriehafen, hat COBE in einem umgebauten Lagerhaus sein Architekturbüro. Es ist verantwortlich für den Masterplan des neuen nachhaltigen Stadtviertels, das Wohnraum und Arbeitsplätze für 40.000 Menschen umfasst. Wo die Flächen von ehemaligen Containerterminals enden, wird aufs Wasser hinausgebaut. Nordhavn wird in den kommenden Jahrzehnten eine künstliche Insel nach der anderen dem Wasser abringen.
Ein Abstecher führt ins mit dem Fahrrad zehn Minuten von der Innenstadt entfernte Industriegebiet Amager. Hier steht der Copenhill: eine Skipiste auf einer Müllverbrennungsanlage. 440.000 Tonnen Müll im Jahr werden zu Strom und Wärme für 150.000 Haushalte verbrannt. Gleichzeitig ziehen Skifahrer auf dem größten Dach Kopenhagens ihre Kurven auf einer 500 Meter langen Abfahrt auf Kunststoff, ganz ohne Schnee. Abseits der grünen Piste gibt es einen kleinen Wanderweg, der ganz nach oben führt. Oder man nimmt den verglasten Aufzug, der kurz Einblicke in die sauberste Müllverbrennungsanlage der Welt bietet. Entworfen wurde dieser Bau von BIG, Bjarke Ingels Architekturbüro – ein Superstar in der Szene. Quasi als
Abfallprodukt ist an der 85 Meter hohen Gebäudefassade aus Aluminium und Stahl die größte künstliche Kletterwand der Welt befestigt. Oben bietet sich zwischen einem Tellerlift, Bäumen und dem gefilterten Rauch des brennenden Mülls der Blick bis rüber nach Schweden.
Von der Rooftop-Bar aus sieht man Richtung Innenstadt und wer Bescheid weiß, kann einen Blick aufs Noma erhaschen. Das wurde viermal zum besten Restaurant der Welt gekürt – Reservierung zwölf Monate im Voraus. In einem Jahr will es allerdings für Gäste schließen und sich in die große Testküche Noma 3.0 verwandeln. Auch das Geranium, Sieger von 2022, liegt in Blickrichtung. Wer gut und nicht ganz so teuer speisen möchte, macht das am Besten in der günstigeren Hart Brød + Bar, natürlich an der Hafenpromenade. Der Bäcker Richard Hart arbeitet eng mit dem Noma zusammen. Die ehemalige Lagerhalle der dänischen Marine ist zweiter Standort der Bäckerei: Tagsüber wird hier Brot verkauft, abends dann vom Noma kurierter Wein.
Das hippe Architekturbüro Spacon & X hat die Räumlichkeiten designed. Das mehr als 200 Jahre alte, denkmalgeschütze Gebäude Maersehuset wurde 2009 renoviert. Alles ist bis ins kleinste Detail durchdacht, Tische, Stühle, die Kunst an den Wänden und die Lampe über dem Kopf – alles aus einem Guss. Es sieht nicht nur gut aus, es schmeckt auch richitg gut. Kopenhagen kann eben nicht nur Architektur und Design, Kopenhagen kann auch Kulinarik.
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