Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Schlafe lieber ungewöhnlich
Im Eishotel in Schwedisch Lappland gestalten Künstler die Räume Jahr für Jahr aufs Neue
Wie baut man ein Hotel? In Jukkasjärvi bei Kiruna, etwa 200 Kilometer nördlich des Polarkreises, verwendet man Eisblöcke aus dem Fluss Torne, Kettensägen, Schaufeln, Pickel und Schmirgelpapier. So entsteht hier in Schwedisch Lappland jährlich aufs Neue das Icehotel, das 1989 das weltweit erste seiner Art war.
„Das Eishotel ist mein zweites Zuhause“, strahlt Tjåsa Gusfors, die seit 2000 Teil des Künstlerteams ist. Um eine Suite komplett aus Eis und Schnee zu gestalten, darf man nicht gerade zimperlich sein. Gemeinsam mit ihrer Künstlerkollegin Ulrika Tallving arbeitet sie schätzungsweise zwölf Stunden täglich in der Kälte, damit nach zweieinhalb Wochen ein einzigartiges Zimmer fertig ist. „Eis ist ein organisches Material“, schwärmt sie von den Möglichkeiten. Ausgestattet mit etlichen Lagen Thermokleidung, schweren Stiefeln, dicken Handschuhen sowie Schutzhelm und Stirnlampe arbeiten die beiden an ihrer Vision. Tritte und Gerüste helfen ihnen dabei, an die zu bearbeitenden Stellen zu kommen. Tallving schmirgelt an der Decke. „Tatsächlich kann man mit vielen Werkzeugen am Eis arbeiten, mit denen man auch am Holz arbeitet“, sagt Bildhauerin Gusfors, die sich zu anderen Zeiten des Jahres auch Stein und Sand vorknöpft.
Die „Art Suites“entstehen Jahr für Jahr aufs Neue. Kein Design wurde vorher bereits verwendet. Im Sommer reichen Kreative aus aller Welt ihre Entwürfe ein. Das Icehotel setzt sich zum Ziel, etwa die Hälfte der Aufträge an Künstler zu vergeben, die noch nicht im Icehotel tätig waren. „Natürlich ist es immer auch ein Risiko, mit neuen Leuten zu arbeiten“, gesteht Luca Roncoroni, der Creative Director im Icehotel, ein. Aber diese verschiedenen Einflüsse machen auch den Charme und die Vielfalt des Icehotels aus. Man muss nicht Bildhauer sein wie Tjåsa Gusfors und Ulrika Tallving. „Es bewerben sich auch Designer und Fotografen“, berichtet Tallving. Meistens sind auch ein, zwei Künstler oder Teams dabei, die bislang noch gar nie mit Eis und Schnee gearbeitet haben. „Entschieden wird nach der Qualität der Designs – und der Machbarkeit“, erklärt Luca Roncoroni. Wer zum Kreis der Auserwählten gehört, hat rund 15 Tage Zeit, seinen Entwurf vor Ort umzusetzen. Wer Hilfe beim Hauen, Schaufeln und Bohren benötigt, erhält Unterstützung.
Neben dem jährlich wechselnden Teil des Icehotels gibt es auch einen ganzjährig überdauernden mit 18 Zimmern. Tjåsa Gusfors hat hier die Suite „Dancers in the Dark“mitgestaltet. Kreise, Kugeln und Spiralen sind die bestimmenden Elemente. Zwei Tänzer scheinen in Ekstase. Hier ging es Gusfors und Mitstreiter Patrick Dallard darum, einen Raum voller positiver Energie zu gestalten, „einen sinnlichen Raum, der Glückseligkeit ausstrahlt“.
Und wie hält man es nun über Nacht in minus fünf bis minus acht Grad Celsius aus? Auf einem ins Eis eingelassenen Holzrahmen ruht eine dicke Matratze, belegt mit Rentierfell und Kissen. Geschlafen wird im Zwiebelprinzip: Gekleidet mit einer
Strumpfhose und einem Langarmshirt aus Merinowolle und Mütze auf dem Kopf, schlüpft der Gast in den bereitgestellten Expeditionsschlafsack. Nur ein kleiner Teil des Gesichts soll aus dem Schlafsack gucken, sodass die Atemluft nicht in den Schlafsack abgegeben wird. Wie gut das mit dem Einschlafen klappt? Na ja, ... Schnee und Eis, die die Geräusche dämpfen, und die kühle, klare Luft strahlen etwas Surreales aus.
Deutlich weniger komfortabel dürften jedenfalls die Kirchgänger einst in Gammelstad in der Kälte geschlafen haben. Rund 330 Kilometer südlich von Jukkasjärvi in Luleå befindet sich diese traditionelle nordskandinavische Kirchstadt, die vermutlich Mitte des 16. Jahrhunderts ihre Anfänge nahm und seit 1996 zu den Welterbestätten der Unesco zählt. Zu Zeiten, als der Kirchenbesuch verpflichtend war, entstanden diese Holzhütten als Unterkünfte für weit gereiste Gemeindemitglieder. Gammelstad ist mit mehr als 400 Häuschen die am besten erhaltene der einst 71 schwedischen Kirchstädten.
In früheren Jahrhunderten weit vor der Erfindung von Expeditonsschlafsäcken mussten sich die Menschen anders warm halten. Matilda Long öffnet mit einem großen Schlüssel die Tür zu einer rotgetünchten „kyrkstugar”. Wenn es Zeit für die Nachtruhe war, zogen sich die Kirchgänger in die Schlafboxen der Holzhütten zurück. Was zunächst wie ein Schrank anmutet, stellt sich nach Öffnen der Türen als stockbettartige Schlafgelegenheit heraus. „Da hält sich die Wärme“, erklärt Long. In den beiden schließfachähnlichen Boxen fanden bis zu vier Schläfer Platz. Eine weitere Klappe offenbart den Nachttopf.
Interessante Kirchengeschichten gibt es auch in Kiruna, im Norden Schwedisch Lapplands. Der Auftraggeber, Stadtchef Hjalmar Lundbohm, hatte verfügt, dass die Kirche an eine Kote, die traditionelle Behausung aus Holz und Fellen der Sámi erinnern soll. Architekt Gustaf Wickmann versuchte, dies mit entsprechenden Balkenkonstruktionen, einfallendem Licht und dunklen Wänden abzubilden. 1912 wurde die Holzkirche eingeweiht.
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