Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Respektloses Verhalten und Angriffe auf Einsatzkräfte
Zwischen Aggressivität und Wertschätzung – Was Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte erleben
LINDAU/BODENSEEKREIS - In Hinterhalte gelockte Feuerwehrautos, Angriffe auf Polizisten, verletzte Sanitäter: Die Silvesternacht hat in Berlin erschreckende Bilder geliefert. Lindau und der Bodenseekreis sind von Übergriffen in diesem Ausmaß verschont geblieben. Trotzdem spricht die Polizei von mangelndem Respekt und immer mehr Angriffen. Bei Feuerwehr und Rettungssanitätern hält sich das Problem noch in Grenzen – aber auch sie können von Situationen berichten, die zu denken geben.
Wenn die Lindauer Feuerwehr den Verkehr sperrt, kommt es hin und wieder zu unangenehmen Vorfällen. Einmal ging es so weit, dass ein Autofahrer einen Feuerwehrmann anfuhr, um ihn beiseitezuschieben, berichtet der Kommandant der Lindauer Feuerwehr, Max Witzigmann. Der Autofahrer wollte die Absperrung nicht akzeptieren. Und der Kommandant der Tettnanger Feuerwehr erzählt von Böllern, mit denen Einsatzfahrzeuge beschossen wurden.
Das sind Einzelfälle. Aber auch die Angriffe auf Beamtinnen und Beamte der Polizei nehmen zu. Von blauen Flecken, die Polizistinnen und Polizisten sich in einer Auseinandersetzung zugezogen haben, berichtet Holger Stabik, Sprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/ West, zu dem der Landkreis Lindau gehört. Er erzählt auch von einem Vorfall, bei dem einem Polizisten mit der Faust ins Gesicht geschlagen wurde. Angreifer seien meistens Männer, die Alkohol getrunken haben und die die Polizei schon kennt. „Das ist nichts, was nur in der Silvesternacht passiert, sondern tagtäglich“, sagt Stabik.
Die Silvesternacht an sich verlief für Einsatzkräfte in der Region ruhig – sagt auch BRK-Kreisgeschäftsführer Roman Gaißer. Die Mehrheit sei den Einsatzkräften des Bayerischen Roten Kreuzes im Kreis Lindau gegenüber wohlgesinnt. Aber ab und zu kommt es zu Situationen, mit denen die Einsatzkräfte zu kämpfen haben. Die Schärfe an verbalen Attacken nehme vor allem zu, sagt Gaißer. „Der Respekt lässt zu wünschen übrig.“Attacken passierten meist in Verbindung mit Alkohol oder Drogen.
Der DRK-Rettungsdienst Bodensee-Oberschwaben berichtet von Angriffen und Anfeindungen gegenüber Mitarbeitern in der Integrierten Leitstelle und im Fahrdienst sowie von körperlichen Angriffen auf die Rettungskräfte. Die Zahlen blieben auf gleichem Niveau.
Auch bei den Johannitern komme es immer wieder zu Angriffen, berichtet Claudia Bangnowski, Referentin für Kommunikation des Regionalverbandes Oberschwaben/Bodensee. „Es gibt Androhungen von Gewalt und körperliche Angriffe. Die kommen das Jahr über immer wieder aus welchen Gründen auch immer vor.“
Polizeisprecher Stabik hat eine Vermutung: Er geht davon aus, dass der Respekt gegenüber Einsatzkräften weniger wird. Menschen hätten Beamten in Uniform gegenüber weniger Achtung, sagt er. „Wenn das Polizeiauto um die Ecke fährt, zählt das nicht mehr viel.“
Auch Zahlen machen das Problem deutlich. Im Jahr 2016 waren es 164 Fälle, bei denen Polizisten im Gebiet des Präsidiums Schwaben Süd/West
Polizeisprecher Holger Stabik verletzt wurden. Vier Jahre später zählen die Beamten schon mehr als 240 Fälle. Im Jahr darauf sind die Zahlen zwar gesunken – das führt die Polizei allerdings auf die CoronaPandemie und die damit verbundenen Beschränkungen zurück. Im Bodenseekreis
haben sich die Gewalttaten gegenüber Polizeibeamten seit 2012 nahezu verdoppelt. Das steht im aktuellen Sicherheitsbericht.
„Die Angriffe auf Polizei und Rettungskräfte sind seit Jahren angestiegen“, bestätigt Oliver Weißflog vom
Ravensburger Polizeipräsidium. Die Lage im Bodenseekreis sei jedoch anders als die in Metropolen wie Berlin, so der Polizeisprecher. „Hier ist es nicht so, dass Streifen in den Hinterhalt gelockt werden.“Dennoch begegnen Beteiligte den Beamten im Einsatz zunehmend mit aggressivem Verhalten.
Besonders schlimm findet Polizeisprecher Holger Stabik, dass mittlerweile auch Einsatz- und Rettungskräfte angegangen werden. „Wir sind immerhin noch ausgebildet und ausgerüstet“, sagt er. Eine Ausbildung zur Selbstverteidigung bekomme jeder Polizist. Die Helfer bei der Feuerwehr und im Rettungsdienst hingegen weniger. Es scheint deshalb wenig verwunderlich, dass sich Feuerwehrleute sicherer fühlen, wenn auch Polizisten am Einsatzort sind, sagt Felix Engesser, Kommandant der Friedrichshafener Wehr.
Mit körperlichen Angriffen gegen Einsatzkräfte hat die Häfler Feuerwehr – genauso wie die in Lindau und Tettnang – in den vergangenen Jahren keine Erfahrungen gemacht. Trotzdem spürt auch der Friedrichshafener Kommandant eine Veränderung: „Im Hinblick auf die schwindende Akzeptanz von uniformierten Einsatzkräften.“
„Wenn das Polizeiauto um die Ecke fährt, zählt das nicht mehr viel.“