Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Planung für das letzte große Fest
RAVENSBURG - Vor zehn Jahren hat es mit einem Besuch auf einem Friedhof angefangen. Seither planen Maria und Georg Liebs (Namen von der Redaktion geändert) Georgs Bestattung. Der heute 100-Jährige hat genaue Vorstellungen: Ein Rasengrab soll es werden, keine Urne. Eine Trauerrednerin soll eine persönliche Rede halten, ein Trompeter „Feieromd“spielen – ein altes Volkslied aus der Heimat im Erzgebirge. Alle Abläufe sind genau geplant, alle Formalitäten geregelt. Wie das Ehepaar Liebs planen immer mehr Menschen ihre letzte große Zeremonie selbst. Die Gründe dafür sind vielfältig – und es gilt, einiges zu beachten.
„Wir haben das alles schon vorbereitet, damit sich die Kinder nicht verkopfen müssen“, sagt Maria Liebs. Sie ist knapp 20 Jahre jünger als ihr Mann und pragmatisch: Wenn jemand 90 oder 100 Jahre alt ist, dann lauert das Thema Tod hinter mancher Ecke. „Wir wissen alle, dass der Mensch nicht ewig lebt“, sagt Liebs. „In unserem Alter sind also Gedanken zur Beerdigung normal.“Dennoch habe es am Anfang etwas Überwindung gekostet, darüber zu sprechen und zu planen. „Aber je länger man sich damit beschäftigt, desto positiver wird der Umgang damit“, sagt Liebs. Allein auf vorgegebene Abläufe zu vertrauen, kommt für das Ehepaar nicht mehr infrage.
„Früher haben sich die meisten Menschen auf die festgesetzten kirchlichen Rituale verlassen, die durchaus Orientierung und Sicherheit bieten und sehr stimmig sein können“, sagt Katrin Denzel vom Bestattungsinstitut „Lichtweg“. „Doch heute finden sich viele darin nicht mehr wieder. Für diejenigen gibt es jetzt viel mehr individuelle Freiheiten.“Es müssten nicht immer nur Kirchenlieder gespielt oder schwarze Kleidung getragen werden. „Kulturelle Einflüsse und eigene Ideen können heute eine viel größere Rollen spielen.“Denzel bietet Gespräche zur Bestattungsvorsorge in einem kleinen, in hellen Farben ausgestatteten Zimmer im Ravensburger Ortsteil Fidazhofen an. Auf dem Tisch im Jugendstil stehen frische Blumen, auf einer Kommode mit Stoff verzierte Urnen. Sie gemahnen zwar daran, dass hier über den Tod gesprochen wird, doch das den Raum durchflutende Licht trägt etwas von der Schwere des Themas fort. „Oft haben die Gespräche fast schon eine heitere Stimmung. Manche haben richtiggehend Spaß daran, ihre eigene Bestattung zu organisieren“, sagt Denzel.
In solchen Gesprächen entstünden häufig kreative Ideen. „Eine Kundin hat gemeinsam mit ihren Enkeln zu ihrem 80. Geburtstag den eigenen Sarg bemalt“, erinnert sich die Bestatterin. Besonders die individuellen Ideen gelte es, auszuarbeiten und zu berücksichtigen. Etwa, wenn eine 98-Jährige sich extra Kleidung für die eigene Bestattung genäht hat. „Man kann auch bei der Beerdigung etwas Gutes für sich tun. Daraus entstehen besonders berührende Trauerfeiern, in denen viel Herzblut steckt.“
Doch zur Planung gehören nicht nur kreative Ideen, auch Formalien wollen geklärt werden. „Viele Kunden wollen sich zuerst einmal ein Bild davon machen, was es alles zu beachten und zu bedenken gibt. Es geht um Abläufe, darum ob aufgebahrt werden soll oder darum, wer eine Trauerrede abhalten könnte.“Denzel empfiehlt, sich dazu eine Mappe anzulegen, auch damit Angehörige wissen, wo sie im Fall des Falles alle Wünsche und Regelungen finden können.
„Ich bin praktisch auch so etwas wie ein Eventmanager“, sagt Thomas Pohl vom Bestattungshaus Pohl in Friedrichshafen über diese Mischung aus kreativen und organisatorischen Impulsen. Auch er erkennt einen Trend zu mehr Individualität als in früheren Jahrzehnten. Der Vergleich zu Hochzeitsplanern drängt sich beinahe schon auf, wenn er von Menüwünschen berichtet, von der Organisation von Musikern oder speziellen Wünschen für Outfits und Blumendeko. Dass die Gespräche besonders bedrückend wären, kann auch er nicht behaupten. Im Gegenteil: „Es wird auch mal gelacht.“
Übers Jahr verteilt hat Pohl nach eigenen Angaben etwa 30 bis 40 Kunden zur Bestattungsvorsorge. „In den 1980ern hatten wir 80 bis 90 Prozent Erdbestattungen, heute wird die Urne immer beliebter – und viele Kunden wollen immer mehr Abläufe selbst steuern.“Oft sei die Entlastung der Kinder ein Hauptmotiv. Andere,
die niemanden mehr hätten, würden gerne „nicht von Amts wegen“beerdigt werden, sondern auf persönlich gestaltete Weise.
Für Maria und Georg Liebs ist dieser Aspekt ein entscheidender Punkt bei der Bestattung. Die Trauerrednerin, die Georg einmal verabschieden soll, haben beide kennengelernt, sich über den Lebensweg und die Wünsche für die Ansprache ausgetauscht. „Wenn nur ein Ritus gesprochen wird, bleibt das Persönliche auf der Strecke“, sagt Maria Liebs.
Sie verspüre Erleichterung darüber, dass das Thema geklärt ist. Dass es einen universellen idealen Zeitpunkt für die Bestattungsvorsorge gibt, glaubt Liebs aber nicht. „Es gibt sicher Anlässe, die zum Nachdenken anregen“, aber das unterscheide sich von Mensch zu Mensch.
Zu Hans-Peter Wetzel kommen meist Menschen um die 70, um über ihre eigene Bestattung und die juristischen Belange dabei zu sprechen. Wetzel ist Anwalt für Erbrecht in Überlingen und berät in seiner Kanzlei bei der Vorbereitung von Testamenten und rechtlichen Fragen zur Bestattung. „Ich sage aber auch offen, dass der richtige Zeitpunkt mit 25 Jahren sein kann“, sagt er. „Wir wissen schließlich nie, ob wir morgen noch leben.“Wetzel rät dazu, „nichts dem Zufall zu überlassen“. „Wenn ich nicht selbst Regelungen im Voraus treffe, gelten gesetzliche Bestimmungen“, mahnt er. Im Hinblick auf die Bestattung selbst bedeute das, dass die Erben den Ablauf regeln müssen. Eigene Wünsche – wie etwa zur Frage, ob eine Feuer- oder Erdbestattung erfolgen soll, blieben dann im schlimmsten Fall auf der Strecke.
Manchen Anliegen muss Wetzel eine Absage erteilen. „Häufig soll die Urne bei Angehörigen zu Hause aufbewahrt werden, das ist in Deutschland aber nicht erlaubt. Am Bodensee gibt es oft den Wunsch nach einer Seebestattung, das ist allerdings nur in der Schweiz möglich“, sagt er.
Grundsätzlich stelle er „einen Trend fest, dass die Leute die Dinge lieber selbst in die Hand nehmen“. Dafür empfiehlt der Anwalt eine sogenannte Bestattungsverfügung mit den Wünschen und Vorgaben.
Glaubt man den Beobachtungen von Elke Herenberger, Sprecherin des Bundesverbandes Deutscher Bestatter,
nimmt der Trend zur Beschäftigung mit dem eigenen Ableben seit der Coronavirus-Pandemie noch zu. Wenn etwa jemand aus dem nahen Umfeld plötzlich an Corona verstorben sei, trete „der mementomori-Effekt“ein, und man werde sich der eigenen Sterblichkeit bewusst, sagte sie jüngst der katholischen Nachrichtenagentur KNA.
Auch ein Gefühl der Unsicherheit durch den Ukraine-Krieg und Naturkatastrophen trage dazu bei. Die Menschen werden aus ihrer Erfahrung aktiv, wenn die Bestattung einer nahestehenden Person durch vorausschauende Planung des Verstorbenen besonders gut gelaufen – oder aber durch fehlende Absprachen der Trauerfall für die Hinterbliebenen sehr anstrengend gewesen sei. „Manche sagen dann: Bei mir soll das nicht passieren.“Herenberger rät, das Thema rechtzeitig mit Freunden, Familie oder dem Partner zu erörtern, „damit es nicht zu Fehlannahmen kommt“. „Es gilt immer der – schriftlich fixierte – Wunsch des Verstorbenen“, erklärt Herenberger. So sei es auch möglich, den Hinterbliebenen bei der Trauerfeier „Immaterielles“wie Lieblingslieder oder -speisen mit auf den Weg zu geben.
Herenberger weist darauf hin, dass dabei auch die Kostenfrage im Blick behalten werden sollte. „Wer bestellt, bezahlt“– das gelte auch beim Thema Beisetzung. Deshalb sollten die Hinterbliebenen mit dem Bestatter „offen über die Kosten sprechen“. Habe der Betreffende für die Beerdigung kein Geld hinterlegt, werde die Rechnung nämlich über das Erbe beglichen. Wenn der Verstorbene zu Lebzeiten „einen großen Bahnhof“bestellt habe, könnten „Wunsch und Wirklichkeit kollidieren“– etwa wenn der letzte Wunsch lautet, „dass Helene Fischer am Grab singt“.
Alexander Helbach, Sprecher der Verbraucherinitiative Aeternitas, rät auch Angehörigen, das Thema Beerdigung nicht zu umschiffen. Alte Menschen möchten aus seiner Beobachtung ihren Kindern oft „nicht zur Last fallen und deshalb vielleicht anonym bestattet werden“, sagte er der KNA. Aber die meisten Hinterbliebenen „hätten schon gerne einen Ort, wo sie hingehen können“. Solche Fragen sollten „so früh wie möglich“geklärt werden: „Das Thema kann immer akut werden.“
Bestatterin Katrin Denzel glaubt, dass der erste Schritt bei der Vorbereitung der schwierigste ist: die innere Bereitschaft. „Ist der Impuls einmal verspürt und der Entschluss gefasst, ist der Aufwand nicht besonders groß“, sagt sie. Ein Beratungsgespräch bei ihr dauere etwa eine Stunde. „Die Beschäftigung mit den Planungen und juristischen Überlegungen dauert vielleicht drei Stunden, danach sollte man die Mappe einmal im Jahr, zum Beispiel an Silvester, kontrollieren. Schließlich können sich Wünsche immer wieder ändern.“
Diese stehen für Maria und Georg Liebs nach zehn Jahren der Planung mittlerweile recht fest. Gemeinsam haben sie schon einige Bestattungen erlebt, persönliche und unpersönliche. Wenn dereinst der eigene Abschied ansteht, soll die minutiöse Planung alles leichter machen – für alle Beteiligten. Und vielleicht auch Trost spenden, wenn der „Feieromd“aus der Trompete erklingt. „Gar manches Herz hat ausgeschlagen, vorbei ist Sorg und Müh“, heißt es in der letzten Strophe. Maria Liebs glaubt, dass die Bestattungsvorsorge auch ihr einmal helfen wird, „nicht in ein Loch zu fallen“und die Trauer zu bewältigen, wenn der ältere Partner stirbt. „Ich kann heute nicht sagen, wie genau ich reagieren werde, aber die frühe Beschäftigung mit dem Thema hilft mir sicher, damit zurechtzukommen“, sagt die 81-Jährige.
Ob für den individuellen Touch oder um die Angehörigen zu entlasten: Die eigene Beerdigung zu organisieren, liegt im Trend. Wie ein eigentlich schweres Thema an Leichtigkeit gewinnen kann.