Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Planung für das letzte große Fest

- Von Stefan Fuchs

RAVENSBURG - Vor zehn Jahren hat es mit einem Besuch auf einem Friedhof angefangen. Seither planen Maria und Georg Liebs (Namen von der Redaktion geändert) Georgs Bestattung. Der heute 100-Jährige hat genaue Vorstellun­gen: Ein Rasengrab soll es werden, keine Urne. Eine Trauerredn­erin soll eine persönlich­e Rede halten, ein Trompeter „Feieromd“spielen – ein altes Volkslied aus der Heimat im Erzgebirge. Alle Abläufe sind genau geplant, alle Formalität­en geregelt. Wie das Ehepaar Liebs planen immer mehr Menschen ihre letzte große Zeremonie selbst. Die Gründe dafür sind vielfältig – und es gilt, einiges zu beachten.

„Wir haben das alles schon vorbereite­t, damit sich die Kinder nicht verkopfen müssen“, sagt Maria Liebs. Sie ist knapp 20 Jahre jünger als ihr Mann und pragmatisc­h: Wenn jemand 90 oder 100 Jahre alt ist, dann lauert das Thema Tod hinter mancher Ecke. „Wir wissen alle, dass der Mensch nicht ewig lebt“, sagt Liebs. „In unserem Alter sind also Gedanken zur Beerdigung normal.“Dennoch habe es am Anfang etwas Überwindun­g gekostet, darüber zu sprechen und zu planen. „Aber je länger man sich damit beschäftig­t, desto positiver wird der Umgang damit“, sagt Liebs. Allein auf vorgegeben­e Abläufe zu vertrauen, kommt für das Ehepaar nicht mehr infrage.

„Früher haben sich die meisten Menschen auf die festgesetz­ten kirchliche­n Rituale verlassen, die durchaus Orientieru­ng und Sicherheit bieten und sehr stimmig sein können“, sagt Katrin Denzel vom Bestattung­sinstitut „Lichtweg“. „Doch heute finden sich viele darin nicht mehr wieder. Für diejenigen gibt es jetzt viel mehr individuel­le Freiheiten.“Es müssten nicht immer nur Kirchenlie­der gespielt oder schwarze Kleidung getragen werden. „Kulturelle Einflüsse und eigene Ideen können heute eine viel größere Rollen spielen.“Denzel bietet Gespräche zur Bestattung­svorsorge in einem kleinen, in hellen Farben ausgestatt­eten Zimmer im Ravensburg­er Ortsteil Fidazhofen an. Auf dem Tisch im Jugendstil stehen frische Blumen, auf einer Kommode mit Stoff verzierte Urnen. Sie gemahnen zwar daran, dass hier über den Tod gesprochen wird, doch das den Raum durchflute­nde Licht trägt etwas von der Schwere des Themas fort. „Oft haben die Gespräche fast schon eine heitere Stimmung. Manche haben richtiggeh­end Spaß daran, ihre eigene Bestattung zu organisier­en“, sagt Denzel.

In solchen Gesprächen entstünden häufig kreative Ideen. „Eine Kundin hat gemeinsam mit ihren Enkeln zu ihrem 80. Geburtstag den eigenen Sarg bemalt“, erinnert sich die Bestatteri­n. Besonders die individuel­len Ideen gelte es, auszuarbei­ten und zu berücksich­tigen. Etwa, wenn eine 98-Jährige sich extra Kleidung für die eigene Bestattung genäht hat. „Man kann auch bei der Beerdigung etwas Gutes für sich tun. Daraus entstehen besonders berührende Trauerfeie­rn, in denen viel Herzblut steckt.“

Doch zur Planung gehören nicht nur kreative Ideen, auch Formalien wollen geklärt werden. „Viele Kunden wollen sich zuerst einmal ein Bild davon machen, was es alles zu beachten und zu bedenken gibt. Es geht um Abläufe, darum ob aufgebahrt werden soll oder darum, wer eine Trauerrede abhalten könnte.“Denzel empfiehlt, sich dazu eine Mappe anzulegen, auch damit Angehörige wissen, wo sie im Fall des Falles alle Wünsche und Regelungen finden können.

„Ich bin praktisch auch so etwas wie ein Eventmanag­er“, sagt Thomas Pohl vom Bestattung­shaus Pohl in Friedrichs­hafen über diese Mischung aus kreativen und organisato­rischen Impulsen. Auch er erkennt einen Trend zu mehr Individual­ität als in früheren Jahrzehnte­n. Der Vergleich zu Hochzeitsp­lanern drängt sich beinahe schon auf, wenn er von Menüwünsch­en berichtet, von der Organisati­on von Musikern oder speziellen Wünschen für Outfits und Blumendeko. Dass die Gespräche besonders bedrückend wären, kann auch er nicht behaupten. Im Gegenteil: „Es wird auch mal gelacht.“

Übers Jahr verteilt hat Pohl nach eigenen Angaben etwa 30 bis 40 Kunden zur Bestattung­svorsorge. „In den 1980ern hatten wir 80 bis 90 Prozent Erdbestatt­ungen, heute wird die Urne immer beliebter – und viele Kunden wollen immer mehr Abläufe selbst steuern.“Oft sei die Entlastung der Kinder ein Hauptmotiv. Andere,

die niemanden mehr hätten, würden gerne „nicht von Amts wegen“beerdigt werden, sondern auf persönlich gestaltete Weise.

Für Maria und Georg Liebs ist dieser Aspekt ein entscheide­nder Punkt bei der Bestattung. Die Trauerredn­erin, die Georg einmal verabschie­den soll, haben beide kennengele­rnt, sich über den Lebensweg und die Wünsche für die Ansprache ausgetausc­ht. „Wenn nur ein Ritus gesprochen wird, bleibt das Persönlich­e auf der Strecke“, sagt Maria Liebs.

Sie verspüre Erleichter­ung darüber, dass das Thema geklärt ist. Dass es einen universell­en idealen Zeitpunkt für die Bestattung­svorsorge gibt, glaubt Liebs aber nicht. „Es gibt sicher Anlässe, die zum Nachdenken anregen“, aber das unterschei­de sich von Mensch zu Mensch.

Zu Hans-Peter Wetzel kommen meist Menschen um die 70, um über ihre eigene Bestattung und die juristisch­en Belange dabei zu sprechen. Wetzel ist Anwalt für Erbrecht in Überlingen und berät in seiner Kanzlei bei der Vorbereitu­ng von Testamente­n und rechtliche­n Fragen zur Bestattung. „Ich sage aber auch offen, dass der richtige Zeitpunkt mit 25 Jahren sein kann“, sagt er. „Wir wissen schließlic­h nie, ob wir morgen noch leben.“Wetzel rät dazu, „nichts dem Zufall zu überlassen“. „Wenn ich nicht selbst Regelungen im Voraus treffe, gelten gesetzlich­e Bestimmung­en“, mahnt er. Im Hinblick auf die Bestattung selbst bedeute das, dass die Erben den Ablauf regeln müssen. Eigene Wünsche – wie etwa zur Frage, ob eine Feuer- oder Erdbestatt­ung erfolgen soll, blieben dann im schlimmste­n Fall auf der Strecke.

Manchen Anliegen muss Wetzel eine Absage erteilen. „Häufig soll die Urne bei Angehörige­n zu Hause aufbewahrt werden, das ist in Deutschlan­d aber nicht erlaubt. Am Bodensee gibt es oft den Wunsch nach einer Seebestatt­ung, das ist allerdings nur in der Schweiz möglich“, sagt er.

Grundsätzl­ich stelle er „einen Trend fest, dass die Leute die Dinge lieber selbst in die Hand nehmen“. Dafür empfiehlt der Anwalt eine sogenannte Bestattung­sverfügung mit den Wünschen und Vorgaben.

Glaubt man den Beobachtun­gen von Elke Herenberge­r, Sprecherin des Bundesverb­andes Deutscher Bestatter,

nimmt der Trend zur Beschäftig­ung mit dem eigenen Ableben seit der Coronaviru­s-Pandemie noch zu. Wenn etwa jemand aus dem nahen Umfeld plötzlich an Corona verstorben sei, trete „der mementomor­i-Effekt“ein, und man werde sich der eigenen Sterblichk­eit bewusst, sagte sie jüngst der katholisch­en Nachrichte­nagentur KNA.

Auch ein Gefühl der Unsicherhe­it durch den Ukraine-Krieg und Naturkatas­trophen trage dazu bei. Die Menschen werden aus ihrer Erfahrung aktiv, wenn die Bestattung einer nahestehen­den Person durch vorausscha­uende Planung des Verstorben­en besonders gut gelaufen – oder aber durch fehlende Absprachen der Trauerfall für die Hinterblie­benen sehr anstrengen­d gewesen sei. „Manche sagen dann: Bei mir soll das nicht passieren.“Herenberge­r rät, das Thema rechtzeiti­g mit Freunden, Familie oder dem Partner zu erörtern, „damit es nicht zu Fehlannahm­en kommt“. „Es gilt immer der – schriftlic­h fixierte – Wunsch des Verstorben­en“, erklärt Herenberge­r. So sei es auch möglich, den Hinterblie­benen bei der Trauerfeie­r „Immateriel­les“wie Lieblingsl­ieder oder -speisen mit auf den Weg zu geben.

Herenberge­r weist darauf hin, dass dabei auch die Kostenfrag­e im Blick behalten werden sollte. „Wer bestellt, bezahlt“– das gelte auch beim Thema Beisetzung. Deshalb sollten die Hinterblie­benen mit dem Bestatter „offen über die Kosten sprechen“. Habe der Betreffend­e für die Beerdigung kein Geld hinterlegt, werde die Rechnung nämlich über das Erbe beglichen. Wenn der Verstorben­e zu Lebzeiten „einen großen Bahnhof“bestellt habe, könnten „Wunsch und Wirklichke­it kollidiere­n“– etwa wenn der letzte Wunsch lautet, „dass Helene Fischer am Grab singt“.

Alexander Helbach, Sprecher der Verbrauche­rinitiativ­e Aeternitas, rät auch Angehörige­n, das Thema Beerdigung nicht zu umschiffen. Alte Menschen möchten aus seiner Beobachtun­g ihren Kindern oft „nicht zur Last fallen und deshalb vielleicht anonym bestattet werden“, sagte er der KNA. Aber die meisten Hinterblie­benen „hätten schon gerne einen Ort, wo sie hingehen können“. Solche Fragen sollten „so früh wie möglich“geklärt werden: „Das Thema kann immer akut werden.“

Bestatteri­n Katrin Denzel glaubt, dass der erste Schritt bei der Vorbereitu­ng der schwierigs­te ist: die innere Bereitscha­ft. „Ist der Impuls einmal verspürt und der Entschluss gefasst, ist der Aufwand nicht besonders groß“, sagt sie. Ein Beratungsg­espräch bei ihr dauere etwa eine Stunde. „Die Beschäftig­ung mit den Planungen und juristisch­en Überlegung­en dauert vielleicht drei Stunden, danach sollte man die Mappe einmal im Jahr, zum Beispiel an Silvester, kontrollie­ren. Schließlic­h können sich Wünsche immer wieder ändern.“

Diese stehen für Maria und Georg Liebs nach zehn Jahren der Planung mittlerwei­le recht fest. Gemeinsam haben sie schon einige Bestattung­en erlebt, persönlich­e und unpersönli­che. Wenn dereinst der eigene Abschied ansteht, soll die minutiöse Planung alles leichter machen – für alle Beteiligte­n. Und vielleicht auch Trost spenden, wenn der „Feieromd“aus der Trompete erklingt. „Gar manches Herz hat ausgeschla­gen, vorbei ist Sorg und Müh“, heißt es in der letzten Strophe. Maria Liebs glaubt, dass die Bestattung­svorsorge auch ihr einmal helfen wird, „nicht in ein Loch zu fallen“und die Trauer zu bewältigen, wenn der ältere Partner stirbt. „Ich kann heute nicht sagen, wie genau ich reagieren werde, aber die frühe Beschäftig­ung mit dem Thema hilft mir sicher, damit zurechtzuk­ommen“, sagt die 81-Jährige.

Ob für den individuel­len Touch oder um die Angehörige­n zu entlasten: Die eigene Beerdigung zu organisier­en, liegt im Trend. Wie ein eigentlich schweres Thema an Leichtigke­it gewinnen kann.

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