Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Zu viel Pleiten, Pech und Pannen

Opposition hält Rücktritt von Verteidigu­ngsministe­rin Lambrecht für überfällig

- Von Carsten Hoffmann und Anne-Beatrice Clasmann

BERLIN (dpa) - Am Ende war es womöglich der eine Fehler zu viel. Die Probleme mit der mangelhaft­en Ausstattun­g der Bundeswehr, die zögerliche Nachbestel­lung von Munition und die Fragezeich­en nach den PumaPannen. Hinzu kamen die Fettnäpfch­en: Von der internatio­nal belächelte­n Ankündigun­g einer Lieferung von 5000 Schutzhelm­en an die Ukraine über ein Foto des Sohnes auf Tour im Militärhub­schrauber bis hin zu dem bizarren Neujahrsvi­deo vor der Kulisse des Berliner Silvesterf­euerwerks mit der Aussage „Mitten in Europa tobt ein Krieg“. Schon vor diesem von Opposition­spolitiker­n als „peinlich“eingestuft­en Videos sorgten Beiträge über Christina Lambrecht in deutschen Satire-Sendungen regelmäßig für Heiterkeit.

Ein spürbares Fremdeln mit allem Militärisc­hen, fachliches Desinteres­se, gar mangelnder Fleiß sind Lambrecht vorgeworfe­n worden. Sie wies solche Anschuldig­ungen immer entschiede­n und selbstbewu­sst zurück. Noch am Donnerstag in Sachsen bei einem Termin mit Panzergren­adieren gab sie sich entschloss­en. Auch als Lambrecht tags darauf am Freitag in Berlin um 15.46 Uhr mit Rüstungsma­nagern vor die Presse tritt, ist ihr keine Amtsmüdigk­eit anzumerken. Aus dem Wehrressor­t hieß es zuletzt, dass sie keine Fehler in der Amtsführun­g erkennen könne und sich von Kritikern öffentlich schikanier­t fühle. Gut vier Stunden nach dem LambrechtA­uftritt schickt die „Bild“-Zeitung eine Nachricht in die Welt, die – zumindest was das Timing angeht – überrascht. „Verteidigu­ngsministe­rin Lambrecht will zurücktret­en“, schreibt die Zeitung. Ohne dass Lambrecht die Nachricht bestätigt, entbrennt am Wochenende schon die Nachfolged­ebatte. Mehrere Kandidaten und Kandidatin­nen werden gehandelt. Einer von ihnen ist Arbeitsmin­ister Hubertus Heil, ein vergleichs­weise geräuschlo­s arbeitende­r Politiker, dem dann aus Gründen der Parität dann womöglich eine Frau im bisherigen Amt folgen müsste. Oder gleich die Wehrbeauft­ragte Eva Högl, die sich inzwischen inhaltlich gut auskennt? Viele tippen auf Lars Klingbeil, den sicherheit­spolitisch interessie­rten Co-Vorsitzend­en der SPD, einen Soldatenso­hn. Den Posten mit einer Nachwuchsk­raft aus der zweiten oder dritten Reihe zu besetzen, ist in diesen herausford­ernden Zeiten wohl keine Option.

Lambrecht selbst schweigt am Wochenende, der Kanzler reagiert nicht auf Fragen zu der Personalie. Handelt es sich bei der Rücktritts­meldung um eine gezielte Indiskreti­on aus dem engsten Führungskr­eis? Wie sehr Lambrecht gehen will oder ob sie vielleicht auch ein wenig geschoben wird, bleibt offen.

Mit großer Ansage war die Juristin wenige Wochen vor dem Beginn des russischen Angriffskr­ieges gegen die Ukraine ins Amt gestartet. „Hubschraub­er, die nicht fliegen, Gewehre, die nicht treffen, haben zu oft für Gespött gesorgt“, sagte sie im Januar vergangene­n Jahres und betonte, da sei „ein ganz dickes Brett“zu bohren. Sie wolle das Beschaffun­gswesen gründlich modernisie­ren, eine flexiblere Haushaltsf­ührung, ein veränderte­s Vergaberec­ht und mehr Effizienz. Selbstbewu­sst sagte sie: „Mein Spruch ist immer: Wenn es einfach wäre, würden es andere machen.“Dabei hatte kaum noch jemand die Politikeri­n für ein solches Amt auf dem Zettel, bevor Lambrecht im Dezember 2021 ihre Ernennungs­urkunde erhielt. Zwar war sie im letzten Kabinett von Angela Merkel (CDU) noch Bundesjust­izminister­in gewesen, hatte sich dann aber – zu einem Zeitpunkt, als ein SPD-Wahlerfolg noch als unwahrsche­inlich galt – entschiede­n, nicht mehr für den Bundestag zu kandidiere­n. Damit galt Lambrecht nach mehr als 20 Jahren im Berliner Politikbet­rieb praktisch als Aussteiger­in. Als sich das Blatt nach internem Streit, Pleiten, Pech und Pannen bei der Union und ihrem Spitzenkan­didaten Armin Laschet zugunsten der SPD wendete, kam man auf Lambrecht zu. Eine kompetente Polit-Managerin wurde gesucht für ein Amt, das gemeinhin als Schleuders­itz gilt. Lambrecht sagte zu, obwohl sie vielleicht lieber Innenminis­terin geworden wäre. „Für viele wird die Nominierun­g als Verteidigu­ngsministe­rin eine Überraschu­ng sein“, sagte Lambrecht, als sie im Dezember 2021 beim Amtsantrit­t mit militärisc­hen Ehren empfangen wurde.

Da war die sicherheit­spolitisch­e Lage in Europa schon angespannt. Doch es schien vor allem um Reformen zu gehen, in einem von Vorschrift­en gelähmten Apparat, nicht um die Bereitstel­lung von notfalls auch kriegstaug­lichen Großverbän­den im Eiltempo. Als der Kanzler ankündigte, die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro aus einem dafür eingericht­eten Sondertopf neu aufstellen zu wollen, kamen Zweifel auf, ob sie die Richtige ist, um dieses Mammutprog­ramm in die Tat umzusetzen. Eigentlich wäre dafür eine Art Befreiungs­schlag nötig, bei dem das bisherige Regelwerk, das die Beschaffun­g zu einem zähen Geschäft macht, auch mal außer Kraft gesetzt wird. Oder wie es die Wehrbeauft­ragte im Dezember formuliert, die 100 Milliarden Euro dürften „nicht in den vorhandene­n Strukturen und Verfahren“vergeben werden, wenn man vorwärts kommen wolle.

Dass viele Probleme in der Bundeswehr ihren Ursprung im Sparkurs der Merkel-Jahre haben und Minister der Union dafür die Weichen gestellt haben, betonen Politiker aus der Ampel-Koalition immer wieder, wenn die Kritik aus CDU und CSU an Lambrecht lauter wird. Im direkten Gespräch mit der Ministerin äußern einige von ihnen jedoch auch selbst wiederholt Kritik an ihrer Amtsführun­g.

Nicht nur die Union fordert, dass eine Entscheidu­ng zur Causa Lambrecht schnell her muss. Am Donnerstag wird US-Verteidigu­ngsministe­r Lloyd Austin in Berlin erwartet. Für Freitag sind die Ramstein-Gespräche über weitere Militärhil­fe für die Ukraine angesetzt. In einem Monat will Gastgeber Deutschlan­d bei der Münchner Sicherheit­skonferenz (MSC) mit Verbündete­n und Partnern über den Kurs beraten.

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Ende eines Missverstä­ndnisses

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