Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Neujahrsempfang hebt Rolle der Gesellschaft hervor
Beigeordneter Schwarz fordert Kultur der Eigenverantwortung – Gastredner Gassert sagt, was Menschen antreibt
TETTNANG - Die größte Besonderheit beim Tettnanger Neujahrsempfang im Rittersaal dürfte am Freitag in der Abwesenheit von Bürgermeister Bruno Walter gelegen haben. Durch dessen Erkrankung konnte die traditionelle Neujahrsrede eben nicht zu einer großen, persönlichen Bilanz am Ende seiner Amtszeit werden. Sein Stellvertreter, der Beigeordnete Gerd Schwarz, thematisierte gestrafft die Herausforderungen dieser Zeit und bedankte sich bei den zahlreichen Akteuren in der Stadt.
Der Rittersaal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Darunter neben Bürgern viele Vertreter von Unternehmen, Vereinen und Organisationen. Und auch (in der Reihenfolge der Bewerbung) Christof Ronge, Regine Rist und Thomas Maier, die am 12. März bei der Bürgermeisterwahl antreten wollen. Sie waren beim anschließenden Stehempfang in den Nebenräumen in Gespräche vertieft.
Eine gute Zusammenfassung der aktuellen Lage in der Stadt gab Gerd Schwarz in der Neujahrsrede. Der erste Teil ging gerade für weiter hinten Sitzende zuerst wegen Tonproblemen unter, später wurde es besser. Schwarz blickte zurück und sagte, dass die letzten drei Jahre deutlich gezeigt hätten, dass Strategie und Planung wichtig seien, diese aber „auch sehr schnell durch die Realität überholt sein“könnten.
Nach zwei Corona-Jahren habe es etwa Hoffnung auf mehr Normalität und Begegnungen gegeben. Die finanzielle Situation in der Stadt sei durch die Stärke der Wirtschaft nicht wie befürchtet eingebrochen. Und dann sei der „nicht für möglich gehaltene Krieg“in der Ukraine ausgebrochen, der seit nunmehr fast elf Monaten Realität sei.
Gerd Schwarz stellte fest, dass es in Tettnang einen guten gesellschaftlichen Zusammenhalt gebe. So seien Geflüchtete sehr schnell in vielen privat bereitgestellten Wohnungen untergekommen: „Diese spontane Hilfsbereitschaft ist etwas Besonderes.“Er bedankte sich auch bei den Kauern dafür, dass Menschen in der Seldnerhalle unterkommen konnten.
Gleichwohl nannte er die Entscheidung wichtig, dass die Halle ab 1. Mai wieder durch die Kauer selbst genutzt werden kann. „Um aber auch künftig ohne Hallen als Flüchtlingsunterkunft auskommen zu können, brauchen wir weitere Vermieter, die uns ihren Wohnraum zur Verfügung stellen“, appellierte Schwarz.
Als weiteres Zeichen der Stärke beschrieb Gerd Schwarz, dass es gelungen sei, nach dem Krisenmodus auch „das normale Zusammenleben wie vor Corona wieder zu reaktivieren“. Als Beispiele nannte er diverse Feste, Veranstaltungen und Konzerte. Das Zusammenkommen sei Grundlage für eine funktionierende und stabile Gesellschaft.
Als wichtige Eckpunkte nannte der Beigeordnete die Fertigstellung des Kindergartens Loreto, den weiteren Ausbau im Bereich der Obdachlosen
und Anschlussunterbringungen im Loretoquartier oder die Digitalisierung der Schulen. Als Großprojekte der Zukunft bezeichnete Schwarz die neue Sporthalle oder ein Schulentwicklungskonzept, aber auch Themen wie Nachhaltigkeit und ein Nahwärmekonzept.
Angesichts des Bevölkerungswachstums sei es ein Kernziel, die notwendige Infrastruktur auszubauen und zu erhalten. Da es immer mehr Aufgaben ohne eine ausreichende Finanzierung durch Bund und Land gebe, sei es wichtig, bei einer kommunalen Gesamtstrategie auch über Standards zu sprechen.
Angesichts zunehmend schwieriger finanzieller und personeller Möglichkeiten der Kommune müsse wieder mehr „eine Kultur der Eigenverantwortung“
in der Gesellschaft entstehen. Positive Beispiele hierfür nannte er etwa mit Blick auf das KiTT oder die Tafel, aber auch mit Blick auf den „beispiellosen Einsatz des Familienzentrums Spatzennest“bei der Kita-Ganztagsbetreuung.
Auch wenn Gerd Schwarz zentrale Herausforderungen darstellte, ließ er in seiner Rolle als Stellvertreter die große politische Agenda für die Zukunft aus und beschränkte sich auf das Aktuelle. Es konnte sich lediglich um einen recht sachlichen Rück- und Ausblick mit dem abschließenden Appell handeln, die Zukunft gemeinsam zu gestalten.
Eine weitere Erkenntnis war die, dass die Qualität der Ausbildung in der Musikschule hoch ist. Mathilda Schöllhorn und Aleksandra Dimitrijevic
brillierten am Flügel. Gastredner Marco Gassert ging wie auch das Publikum sichtlich darin auf.
Dafür sorgte auch er beim Publikum, als er sehr lebendig darstellte, wie man motiviert an Aufgaben herangehen kann. Hin und wieder Adrenalin sei gut, aber Dauerstress ein Fehler. Liebe und Empathie sorgten für Glückshormone, die ein großer Antrieb seien. Und eben der Sinn: Dass man sich in den Dienst einer Sache stelle, sich bei dem Ausüben einer Tätigkeit wohlfühle oder Härten des Lebens zumindest mit Würde nehme. Das ernste Thema brachte Gassert kurzweilig und mit dem ein oder anderen physikalischen Trick rüber, indem er einer Wasserflasche den Boden ausschlug oder einen Zaubertrick einbaute.