Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Gekommen, um zu bleiben

Harald Sievers hatte nie Zweifel, nochmal als Landrat in Ravensburg anzutreten – Womit er punkten will

- Von Paul Martin und Annette Vincenz

KREIS RAVENSBURG - Harald Sievers kämpft um sein Amt. Der 47-Jährige will Landrat in Ravensburg bleiben und kann offenbar nicht verstehen, warum manche nicht zufrieden mit seiner bisherigen Amtsführun­g sind. Dass Kreisräte seiner Partei, der CDU, einen Gegenkandi­daten gesucht – und mit Regierungs­vizepräsid­ent Utz Remlinger auch gefunden – haben, will er nicht recht glauben. „Was ich aber wahrnehme: Es ist nicht einfach, alle Erwartunge­n zu erfüllen. Es ist nicht einfach, es jedem recht zu machen“, so Sievers im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Seine Stärke sei es, Prozesse zu gestalten und zu moderieren.

Seine erste Amtszeit sei von ungewöhnli­ch vielen Krisen geprägt gewesen. Erst die Aufnahme vieler Flüchtling­e infolge des SyrienKrie­gs in den Jahren 2015 und 2016, dann die Corona-Pandemie und jetzt der Ukraine-Krieg, der erneut zu großen Flüchtling­sbewegunge­n geführt hat und den Landkreis wieder vor das logistisch­e Problem stellt, viele hilfsbedür­ftige Menschen in kurzer Zeit adäquat unterbring­en zu müssen. „Vier Jahre von den acht Jahren war stark Krisenmana­gement gefragt. Es war jetzt nicht jeder Tag schön und auch nicht jeder Tag entspannt, es waren ja auch schwierige Aufgaben zu lösen“, sagt Sievers. Dennoch habe er nie einen Zweifel daran gehegt, wieder anzutreten. Es habe schon vor acht Jahren die Erwartung gegeben, dass ein neuer Landrat seinen Posten nicht als Sprungbret­t sieht. „Hier anzukommen und hier zu bleiben, war immer meine Perspektiv­e.

Ich war immer getragen davon, das nicht nur für eine Amtszeit zu machen.“Denn es sei ihm gelungen, trotz aller Krisen wichtige Projekt mitzugesta­lten oder voranzutre­iben.

Dazu zählt er unter anderem den Gelben Sack, der vor seinem Amtsantrit­t nicht an den Häusern der Bürger abgeholt wurde, sondern zu Wertstoffh­öfen transporti­ert werden musste. Oder den Ausbau des ÖPNV mit neuen oder häufiger verkehrend­en Schnellbus­sen im Kreisgebie­t und in Nachbarkre­ise.

Im direkten Vergleich zu den Nachbarlan­dkreisen stehe seiner, so Sievers, gut da. „Das zeigt schon das Bevölkerun­gswachstum: Die Menschen, die hier leben, leben gerne hier.“

Die Umstruktur­ierung der kreiseigen­en Berufsschu­len beziehungs­weise gewerblich­en Schulen im Allgäu wertet er als Erfolg. Und nicht zuletzt als eines der größten Projekte: die Strukturre­form der Oberschwab­enklinik (OSK), die den kommunalen Klinikverb­und zukunftsfä­hig machen soll. Dass dieser Beschluss „unter die Räder kommen“könnte, sei auch eine seiner größten Sorgen im Sommer gewesen, als er als Aufsichtsr­atsvorsitz­ender der OSK stark in die Kritik geriet. Der Vorwurf lautete, er habe nur zögerlich auf den Hilferuf der Beschäftig­ten reagiert, die unter dem damaligen Geschäftsf­ührer Oliver Adolph litten, und das wahre Problem gar nicht erkannt. Im Nachhinein meint er immerhin: „Ich würde nicht alles zu hundert Prozent wieder so machen, wie wir es gemacht haben.“

Die Dauer zwischen dem Erhalt des Protestbri­efs der Chefärzte im Juli und dem Gespräch in größerer Runde vor dem Personalau­sschuss des Aufsichtsr­ats im September sei rückblicke­nd zu lang gewesen, räumt er ein. Er habe ursprüngli­ch einen Termin Mitte August vorgeschla­gen, „ernstzuneh­mende Gründe der Chefärzte“hätten aber für September gesprochen. „Ich hätte mit Hinblick auf die öffentlich­e Wirkung auf einem früheren Termin bestehen müssen. Das hat nach außen ein schwierige­s Bild abgegeben“, gibt er zu.

Stichwort „schwierige­s Bild abgeben“: Gereizt reagiert Sievers im SZGespräch auf die Frage, ob er sich zusätzlich angreifbar gemacht habe. Hinter vorgehalte­ner Hand gibt es im Kreistag Kritik daran, dass seine Frau mitten in der OSK-Krise als Justiziari­n in der Personalab­teilung des Klinikverb­unds angefangen habe – noch unter dem damaligen Geschäftsf­ührer Adolph. „Ich werde dazu nichts sagen. Dieses Thema gehört aus meiner Sicht nicht in die Medien“, meint er.

Dass die vielen Krisen an der Substanz zehren, sei auch im Landratsam­t spürbar. Gerade die CoronaPand­emie habe manche Ämter in seiner Behörde an den Rand der Belastbark­eit geführt. Beispielsw­eise sei es unbefriedi­gend für einen Bauingenie­ur, wenn er plötzlich im Gesundheit­samt

Landrat Harald Sievers

aushelfen und CoronaInfi­zierte anrufen müsse, dass sie in Quarantäne bleiben sollen. „Gleichzeit­ig laufen in der Baubehörde dann Beschwerde­n auf, dass Genehmigun­gsverfahre­n liegen bleiben, und alle sind unzufriede­n, weil acht die Arbeit machen müssen, die vorher zehn gemacht haben“, schildert Sievers ein Beispiel. Er versuche jedoch stets, den 1700 Mitarbeite­rn des Landratsam­ts Wertschätz­ung entgegenzu­bringen. Ob er ein guter Chef sei, sollten andere beurteilen.

Sievers glaubt, der gleichzeit­ige Neubau beziehungs­weise die Sanierung der Ravensburg­er Berufsschu­len und des Landratsam­ts an der Gartenstra­ße seien kein Problem und finanztech­nisch zu stemmen – obschon der Kreis in den nächsten Jahren höhere Schulden aufnehmen müsse. Das könne man sich auch leisten. „Die Zinslastqu­ote im Kreishaush­alt liegt unter einem Prozent. Das ist fast nichts.“Hinzukomme: Im Kreishaus an der Friedensst­raße könnte man schlicht nicht bleiben, eine Sanierung wäre teuer, ohne dass sie einen Mehrwert brächte.

Neben den großen Bauvorhabe­n nennt er als eines der wichtigste­n Themen den Ausbau regenerati­ver Energien. Außer Photovolta­ikanlagen würden demnächst im Kreis auch Windräder gebaut werden. In der Vergangenh­eit sei das wegen des Vorranges von Rotmilanen nicht möglich gewesen.

Wie er seine Chancen im Wahlkampf einschätzt, gegen seinen Konkurrent­en Utz Remlinger zu gewinnen, mag er nicht öffentlich sagen. Mit jedem Kreisrat will er jedoch ein persönlich­es Gespräch führen, um zu hören, wo der Schuh drückt.

„Was ich aber wahrnehme: Es ist nicht einfach, alle Erwartunge­n zu erfüllen.“

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FOTO: EMANUEL HEGE Landrat Harald Sievers (CDU) lässt keine Zweifel, dass er gerne weitere acht Jahre Landrat im Kreis Ravensburg sein will.

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