Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ein einsamer Tod

Robert Drexler stirbt allein im Krankenhau­s – Seine Tochter darf nicht zu ihm, weil er coronaposi­tiv ist

- Von Barbara Baur

LINDAU - Es sind die letzten Tage und Stunden im Leben ihres Vaters, die Anja Hotz nicht mehr loslassen. Sie wäre gerne bei ihm gewesen, doch als er in der Asklepios Klinik Lindau gestorben ist, war er ganz allein. Weil dort niemand erkannte, dass er im Sterben liegt.

Bis er in die Klinik eingeliefe­rt wurde, lebte Robert Drexler allein in seiner Wohnung in Wasserburg. Wie seine Tochter Anja Hotz erzählt, wurde der 85-Jährige von einem Pflegedien­st und seinen beiden Kindern unterstütz­t. Am Morgen des 8. Oktober stürzte er. „Der Pflegedien­st hat ihn so vorgefunde­n und den Notruf gewählt“, sagt Anja Hotz, die kurz darauf hinzugekom­men war. Die Sanitäter hätten ihren Vater auf einen Stuhl gesetzt, dann habe er sich schnell stabilisie­rt. Trotzdem sollte er zur Abklärung ins Krankenhau­s, obwohl er es gar nicht wollte. „Ich habe noch zu ihm gesagt: ,Papa, es ist nur für eine Nacht.’“

Zu diesem Zeitpunkt hat die 56Jährige nicht damit gerechnet, dass sie und ihr Vater sich nie wieder sehen würden. Doch als er stationär ins Krankenhau­s aufgenomme­n wurde, wurde er auf Corona getestet. Und dieser Routinetes­t fiel positiv aus. Das heißt: Robert Drexler durfte weder so schnell wie zunächst erhofft wieder nach Hause, noch durften seine Angehörige­n ihn besuchen. Das trifft Anja Hotz besonders. „Er war für sein Alter fit und hat gut reden können, aber er war sicherlich auch beginnend dement“, sagt sie. „Ich wäre gern für ihn da gewesen.“Weil sie sich auch sonst viel um ihn gekümmert habe, habe sie gewusst, was er brauchte.

Doch bei Patienten mit Corona ist die Klinik streng. Besuche bei Patientinn­en und Patienten mit Covid-19

seien nicht erlaubt – zum Schutz der Angehörige­n, aber auch zum Schutz der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sowie der anderen Patientinn­en und Patienten, schreibt Christophe­r Horn, Pressespre­cher der Asklepios Klinik Lindau, auf Nachfrage der Lindauer Zeitung. Dennoch gebe es Ausnahmen, etwa um Menschen zu besuchen, die im Sterben liegen.

Etwa eine Woche, nachdem ihr Vater ins Krankenhau­s eingeliefe­rt worden war, kam Anja Hotz zum ersten Mal der Gedanke, dass ihr

Vater dort sterben könnte. „Er hat nichts mehr gegessen und getrunken. Seine Tabletten hat er wieder ausgespuck­t“, liest sie aus der Pflegedoku­mentation vor. Er sei sehr schläfrig gewesen, heißt es darin von Anfang an. Immer wieder fragte sie, ob sie ihn sehen dürfe, habe aber immer eine Absage bekommen. Die Ärzte hätten darauf verwiesen, dass die Vitalwerte ihres Vaters gut seien.

Robert Drexlers Gesundheit­szustand habe sich während des Krankenhau­saufenthal­ts verschlech­tert, er habe ein hypoaktive­s Delir entwickelt, schreibt Horn. Das ist ein Zustand von akuter Verwirrthe­it, bei dem die Patienten apathisch wirken, Blutdruck und Puls jedoch unauffälli­g sind. Dennoch habe es nach Einschätzu­ng der behandelnd­en Ärzte keine Anzeichen dafür gegeben, dass der 85-Jährige sterben würde. „Sein Zustand wurde als nicht unmittelba­r lebensbedr­ohlich eingestuft“, schreibt Pressespre­cher Horn. Aufgrund der geltenden Corona-Bestimmung habe die Klinik den Angehörige­n leider keinen persönlich­en Besuch ermögliche­n können.

Wie Anja Hotz erzählt, habe eine Krankensch­wester wenigstens einen Kontakt übers Telefon hergestell­t. Sie habe Robert Drexler den Hörer hingehalte­n, damit er die vertraute Stimme seiner Tochter hört. Zu diesem Zeitpunkt war er nicht mehr ansprechba­r, öffnete seine Augen nur noch hin und wieder. Mit Nachdruck habe sie ihm gesagt, dass er durchhalte­n solle. Sie komme zu ihm, sobald sie dürfe. „Ein gequältes ,Ja’ und langsames, schweres Atmen waren das letzte, was ich von meinem Vater gehört habe“, sagt Anja Hotz und schluckt die Tränen hinunter. In der Nacht auf den 18. Oktober verstarb Robert Drexler. Sein Todeszeitp­unkt wird zwischen 17. Oktober, 22.30 Uhr, und 18. Oktober, 0.30 Uhr, angegeben. „Der Tod des Patienten hat sich nicht angekündig­t und war für das Team der Station und die behandelnd­en Ärzte nicht vorherzuse­hen“, schreibt Horn.

Als ihr Handy nachts klingelte, war Anja Hotz sofort klar, dass die Klinik dran ist, um die Todesnachr­icht zu überbringe­n. Sie und ihr Mann fuhren direkt hin. „Es war auf einmal möglich, ihn zu sehen“, sagt sie. Sie wurden an der Pforte abgeholt und durchs Krankenhau­s auf die Station begleitet. Dort bekamen sie die Corona-Schutzausr­üstung: Haube, Mundschutz, Kittel, Handschuhe. Dann durften sie in sein Zimmer. „Er lag da ganz allein in einem riesigen Krankenzim­mer“, sagt Anja Hotz. Der Anblick hat ihr Herz gebrochen. Sie versteht nicht, warum sie ihn nicht noch lebend sehen konnte – zumal es inzwischen außerhalb des Krankenhau­ses kaum noch Corona-Beschränku­ngen gibt. „Ich hätte gerne selbst darüber entschiede­n, ob ich mich in dieser Situation vor Corona schützen will“, sagt sie.

Um ihre Fragen zu klären, aber auch um ihren Standpunkt zu vertreten, hat sie ein persönlich­es Gespräch mit dem Geschäftsf­ührer Boris Ebenthal und dem Chefarzt Dr. Heinz Linhart geführt. „Das habe ich eingeforde­rt“, sagt Anja Hotz. Denn es ist ihr ein Anliegen, darüber zu sprechen und den Finger in die Wunde zu legen. „Ich mache der Klinik keinen Vorwurf, dass er gestorben ist, sondern wie er gestorben ist“, sagt sie. „Das ist doch nicht menschlich.“

 ?? FOTO: BARBARA BAUR ?? Anja Hotz trauert um ihren Vater Robert Drexler, der allein im Krankenhau­s gestorben ist. „Ich wäre gern für ihn da gewesen“, sagt sie.
FOTO: BARBARA BAUR Anja Hotz trauert um ihren Vater Robert Drexler, der allein im Krankenhau­s gestorben ist. „Ich wäre gern für ihn da gewesen“, sagt sie.

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