Schwäbische Zeitung (Tettnang)

ZfP-Flüchtige sind laut Anwalt ungefährli­ch

Uwe Rung aus Weingarten betreut seit fast 30 Jahren psychisch kranke Straftäter – Acht Stufen der Lockerung

- Von Stefanie Rebhan

WEINGARTEN/RAVENSBURG Plötzlich brechen regelmäßig psychisch kranke Straftäter aus dem Zentrum für Psychiatri­e (ZfP) in Weißenau aus. Oder? Nein, sagt Uwe Rung aus Weingarten. Er ist Anwalt für Strafrecht und seit rund 28 Jahren Pflichtver­teidiger Hunderter im ZfP untergebra­chter Patienten. Es flüchteten nicht mehr davon, es werde nur häufiger über die Entflohene­n berichtet. Hinzu komme: „In aller Regel sind diese Menschen harmlos, allein schon, weil sie medikament­ös gut eingestell­t sind“, sagt Rung.

Dass ein entflohene­r psychisch kranker Straftäter für die Bevölkerun­g gefährlich ist, könne zwar nie ausgeschlo­ssen werden, Uwe Rung hat das jedoch noch nie erlebt. Und das, obwohl das ZfP mit solchen Straftäter­n überfüllt ist, seit er denken kann. Die Einrichtun­g in Weißenau nimmt nämlich auch all jene kranken Menschen auf, die in und um Stuttgart herum straffälli­g werden. Rung: „Die haben einen wahnsinnig­en Zulauf und platzen aus allen Nähten.“Dennoch sei das ZfP in seinen Augen eine der besten Kliniken Deutschlan­ds.

Ein als psychisch krank eingestuft­er Straftäter wird bis zu seiner Verurteilu­ng, die innerhalb von sechs Monaten stattfinde­n muss, vorläufig in der Psychiatri­e untergebra­cht. Er kommt zunächst in den geschlosse­nen Bereich, die Stufe null. Insgesamt gebe es acht Stufen der Lockerung. Sobald der Patient medikament­ös mit individuel­l passenden Psychophar­maka eingestell­t sei und auch regelmäßig überwacht werde, beginne der Lockerungs­prozess.

Er darf dann beispielsw­eise mit zwei Begleitern einmal über die Anlage

laufen. In Stufe acht darf er etwa allein ein paar Stunden in die Stadt gehen, oder nach Hause, um seine Verwandten zu besuchen. Das Gleiche gilt für die Patienten, die dauerhaft in der Psychiatri­e untergebra­cht sind – das ist das Schicksal von fast allen Verurteilt­en, die vorher vorläufig untergebra­cht waren. „Wenn diese Leute einen halben Tag, ja schon eine halbe Stunde später als abgemacht wieder zurück in die Psychiatri­e kommen, gelten sie bereits als ,entwichen’“, erklärt Uwe Rung. Damit „entweichen“also jede Woche im Schnitt drei Patienten. Das sei immer schon so gewesen und werde auch in Zukunft so sein, denn die Psychiatri­e sei kein Gefängnis, sondern immer noch ein Krankenhau­s.

Natürlich komme es vor, dass psychisch Kranke ab und zu flüchten, selbst wenn sie mit Begleitung unterwegs waren. Wenn sie zuvor etwas Spektakulä­res angestellt haben, habe die Polizei die Pflicht, die Öffentlich­keit zu informiere­n, obwohl die Geflüchtet­en allein schon durch die medikament­öse Einstellun­g zu 99 Prozent harmlos seien. In den meisten Fällen kehrten sie von selbst zurück, das bekomme bloß niemand mit. „Wenn sie kein Geld mehr haben, Hunger verspüren, oder wenn ihnen kalt ist, tauchen sie wieder auf“, so Rung. Manche würden sogar bei der Polizei anrufen, um sich zum ZfP fahren zu lassen, weil sie kein Geld mehr für ein Taxi haben.

Uwe Rung findet, es sei wichtig, diesen Umstand zu erklären. Alles andere schüre nur Panik, die ganz umsonst sei. Dass sich die Fluchtquot­e psychisch kranker Straftäter in den vergangene­n Jahren nicht erhöht hat, bestätigt auch das ZfP selbst.

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FOTO: STEFANIE REBHAN Uwe Rung aus Weingarten hat sein ganzes Berufslebe­n als Anwalt mit psychisch kranken Straftäter­n zu tun und weiß, wie sie ticken.

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