Schwäbische Zeitung (Tettnang)
ZfP-Flüchtige sind laut Anwalt ungefährlich
Uwe Rung aus Weingarten betreut seit fast 30 Jahren psychisch kranke Straftäter – Acht Stufen der Lockerung
WEINGARTEN/RAVENSBURG Plötzlich brechen regelmäßig psychisch kranke Straftäter aus dem Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Weißenau aus. Oder? Nein, sagt Uwe Rung aus Weingarten. Er ist Anwalt für Strafrecht und seit rund 28 Jahren Pflichtverteidiger Hunderter im ZfP untergebrachter Patienten. Es flüchteten nicht mehr davon, es werde nur häufiger über die Entflohenen berichtet. Hinzu komme: „In aller Regel sind diese Menschen harmlos, allein schon, weil sie medikamentös gut eingestellt sind“, sagt Rung.
Dass ein entflohener psychisch kranker Straftäter für die Bevölkerung gefährlich ist, könne zwar nie ausgeschlossen werden, Uwe Rung hat das jedoch noch nie erlebt. Und das, obwohl das ZfP mit solchen Straftätern überfüllt ist, seit er denken kann. Die Einrichtung in Weißenau nimmt nämlich auch all jene kranken Menschen auf, die in und um Stuttgart herum straffällig werden. Rung: „Die haben einen wahnsinnigen Zulauf und platzen aus allen Nähten.“Dennoch sei das ZfP in seinen Augen eine der besten Kliniken Deutschlands.
Ein als psychisch krank eingestufter Straftäter wird bis zu seiner Verurteilung, die innerhalb von sechs Monaten stattfinden muss, vorläufig in der Psychiatrie untergebracht. Er kommt zunächst in den geschlossenen Bereich, die Stufe null. Insgesamt gebe es acht Stufen der Lockerung. Sobald der Patient medikamentös mit individuell passenden Psychopharmaka eingestellt sei und auch regelmäßig überwacht werde, beginne der Lockerungsprozess.
Er darf dann beispielsweise mit zwei Begleitern einmal über die Anlage
laufen. In Stufe acht darf er etwa allein ein paar Stunden in die Stadt gehen, oder nach Hause, um seine Verwandten zu besuchen. Das Gleiche gilt für die Patienten, die dauerhaft in der Psychiatrie untergebracht sind – das ist das Schicksal von fast allen Verurteilten, die vorher vorläufig untergebracht waren. „Wenn diese Leute einen halben Tag, ja schon eine halbe Stunde später als abgemacht wieder zurück in die Psychiatrie kommen, gelten sie bereits als ,entwichen’“, erklärt Uwe Rung. Damit „entweichen“also jede Woche im Schnitt drei Patienten. Das sei immer schon so gewesen und werde auch in Zukunft so sein, denn die Psychiatrie sei kein Gefängnis, sondern immer noch ein Krankenhaus.
Natürlich komme es vor, dass psychisch Kranke ab und zu flüchten, selbst wenn sie mit Begleitung unterwegs waren. Wenn sie zuvor etwas Spektakuläres angestellt haben, habe die Polizei die Pflicht, die Öffentlichkeit zu informieren, obwohl die Geflüchteten allein schon durch die medikamentöse Einstellung zu 99 Prozent harmlos seien. In den meisten Fällen kehrten sie von selbst zurück, das bekomme bloß niemand mit. „Wenn sie kein Geld mehr haben, Hunger verspüren, oder wenn ihnen kalt ist, tauchen sie wieder auf“, so Rung. Manche würden sogar bei der Polizei anrufen, um sich zum ZfP fahren zu lassen, weil sie kein Geld mehr für ein Taxi haben.
Uwe Rung findet, es sei wichtig, diesen Umstand zu erklären. Alles andere schüre nur Panik, die ganz umsonst sei. Dass sich die Fluchtquote psychisch kranker Straftäter in den vergangenen Jahren nicht erhöht hat, bestätigt auch das ZfP selbst.