Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Anwohner der B 308 kämpfen für Tempolimit

Die Gemeinde Sigmarszel­l will jetzt einen Fachanwalt einschalte­n

- Von Ruth Eberhardt

SIGMARSZEL­L - Brenzlige Situatione­n erleben und beobachten sie oft – bislang mit meist glimpflich­en Ausgang. „Zum Glück“, sagen die Anwohner der Alpenstraß­e, jenes Streckenab­schnitts der B 308 zwischen der Kinbach-Kreuzung bei Niederstau­fen und dem Rohrach. Sie fordern für diesen Bereich schon lange ein durchgängi­ges Überholver­bot und eine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung auf 70 Stundenkil­ometer. Bislang erfolglos. „Muss wirklich erst etwas Schlimmes passieren, bevor gehandelt wird?“, fragen sie. Rückendeck­ung erhalten sie von der Gemeinde Sigmarszel­l.

Es geht um die Bundesstra­ße zwischen Lindau und Scheidegg, die bei Niederstau­fen beidseits von mehreren vereinzelt stehenden Anwesen mit insgesamt zwölf Ein- und Ausfahrten gesäumt ist, dazu fünf Bushaltest­ellen. Hier wohnen Familien mit Kindern. Hier befinden sich Gewerbebet­riebe mit Kundenverk­ehr. Hier müssen Menschen jeden Tag für ihren Weg zur Arbeit oder zu anderen Zielen auf die B 308 einbiegen oder von ihr abfahren. Fünf Anwohner haben sich bereit erklärt, über ihre persönlich­en Erlebnisse und Beobachtun­gen zu berichten. Ihre Namen möchten sie jedoch aus Sorge vor möglichen Repressali­en nicht öffentlich nennen, zumal sie sich als Teil der IG Alpenstraß­e verstehen, die alle Anwohnerin­nen und Anwohner vertritt. Sie erzählen von Autos und Motorräder­n, die vom Rohrach her kommend die abschüssig­e Straße als Rennstreck­e nutzen. Sie beobachten, wie in umgekehrte­r Richtung manche Fahrer hangaufwär­ts überholen, obwohl sie kurz darauf wegen der Serpentine­n ohnehin ihr Tempo drosseln müssen. Sie erzählen von Schreckmom­enten, wenn plötzlich ein Auto auftaucht, dass soeben noch in einer Senke versteckt war. Sie schildern, wie Schulkinde­r auf dem Weg zur Bushaltest­elle die Bundesstra­ße überqueren und zum Teil an ihr entlanglau­fen müssen. Einen Geh- und Radweg gibt es hier nicht.

Einer der Anwohner erzählt, dass er auf dem Heimweg nach links von der B 308 abbiegen muss und dabei immer wieder Gefahr läuft, von hinten überholt zu werden. Bislang habe er Zusammenst­öße dank einer umsichtige­n Fahrweise vermeiden können. Ein anderer zückt sein Handy und zeigt Fotos von dem Schaden, den ein Auto angerichte­t hat, das wohl wegen überhöhter Geschwindi­gkeit von der Straße abgekommen und in einer Hecke direkt vor dem Kinderzimm­er gelandet ist. Der Familienva­ter hat das Zimmer daraufhin in einen anderen Raum des Hauses verlegt. Andere wissen von ähnlichen Vorfällen, von überfahren­en Katzen und sogar von einem toten Hund, der eines Tages auf der Fahrbahn lag. Ihre Kinder ermahnen sie ständig: „Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht!“

Kurzum: Die Anwohner der Alpenstraß­e sorgen sich um die Sicherheit ihrer Familien und ihrer Gäste, aber auch um die Sicherheit aller Verkehrste­ilnehmer, die hier umsichtig unterwegs sind. Und dies ist die überwältig­ende Mehrheit. „Die meisten fahren hier sogar langsamer als erlaubt. Sie erkennen von sich aus, dass man hier gar nicht schnell fahren sollte“, betont einer in der Runde und zeigt sich dankbar für diese Einsicht. Messungen der Gemeinde Sigmarszel­l von der letzten Maiwoche 2022 bestätigen dies. Der Anteil derer, die hier schneller als die maximal zulässigen 100 Stundenkil­ometer fahren, ist verhältnis­mäßig gering. Allerdings sind in jener Woche auch immer wieder mal Geschwindi­gkeiten von 163, 170, 177 und sogar 180 Stundenkil­ometer erfasst worden.

Die IG Alpenstraß­e möchte nicht nur solche Raser ausbremsen, sondern den Verkehr insgesamt entschleun­igen. Denn aus ihrer Sicht entstehen Probleme hier nicht nur wegen zu schnellem Fahren, sondern wegen der insgesamt zu hohen erlaubten Geschwindi­gkeit. „Die zulässige Höchstgesc­hwindigkei­t von 100 Stundenkil­ometer ist faktisch falsch ausgelegt“, argumentie­ren die Mitglieder die IG Alpenstraß­e. Sie fordert deshalb, dass das Tempolimit von 70 Stundenkil­ometer, das bisher an der Kinbach-Kreuzung gilt, bis zum Beginn des Rohrachs ausgedehnt wird. Zudem drängen sie auf ein durchgängi­ges Überholver­bot anstatt der bisher nur abschnitts­weise durchgezog­enen weißen Linie.

Neu sind diese Forderunge­n freilich nicht. Dutzende von E-Mails hat die IG Alpenstraß­e seit ihrer Gründung im Sommer 2019 an Behörden geschriebe­n. Doch aus deren Sicht liegen die Voraussetz­ungen für die Anordnung einer geringeren Geschwindi­gkeit und eines Überholver­bots nicht vor. Auch das ständige Nachhaken ändert daran nichts, solange keine neuen Sachverhal­te auftreten. Deshalb hat das Landratsam­t seine ablehnende Haltung zuletzt im November 2022 bekräftigt.

Doch die IG Alpenstraß­e lässt nicht locker, wandte sich erneut an die Gemeinde Sigmarszel­l und weiß den Gemeindera­t auf seiner Seite. Kurz vor Weihnachte­n sprach sich das Gremium für ein Tempolimit von 70 Stundenkil­ometer auf Höhe des Ortsteils Geislehen aus. Die Polizei Lindenberg, das Landratsam­t Lindau und das Staatliche Bauamt Kempten sollen nun erneut um Messungen und eine Verkehrssc­hau im Sommer während der Motorradsa­ison gebeten werden. Außerdem will die Gemeinde einen Fachanwalt einschalte­n, der prüft, ob die Verkehrssi­tuation durch Tempolimit­s und ein Überholver­bot verbessert werden kann. Bürgermeis­ter Jörg Agthe ist derzeit auf der Suche nach einem Juristen.

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