Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Prozess nach größtem bayerische­n Kokain-Fund gestartet

Zwei Männer wegen rund einer Tonne der Droge vor Gericht – Auftraggeb­er noch nicht geschnappt

- Von Angelika Resenhoeft

ASCHAFFENB­URG (dpa) - Die Hintermänn­er sitzen vermutlich weit weg im Ausland, vor Gericht müssen sich nun ihre mutmaßlich­en Handlanger verantwort­en: Gut ein halbes Jahr nach dem bislang größten Fund von Kokain in Bayern stehen ein 23und ein 26-Jähriger vor dem Landgerich­t Aschaffenb­urg. Nach Darstellun­g der Anklage wollten die beiden mit teils bisher unbekannte­n Komplizen rund eine Tonne Kokain aus einem Container holen, in dem Medizinpro­dukte aus der Karibik über Hamburg und Aschaffenb­urg ins hessische Friedberg transporti­ert wurden. Doch die Polizei bekam einen Tipp, sicherte den gefährlich­en Stoff im Aschaffenb­urger Hafen, schickte den Container weiter nach Hessen und legte sich dann tagelang auf die Lauer.

In Friedberg schließlic­h tappten die Angeklagte­n mitten in der Nacht in die Falle. „Polizei, nichts wie weg!“, soll einer der Täter gerufen haben, als er bemerkte, dass die Schmuggelw­are mit geschätzte­m Straßenver­kaufswert von knapp 109 Millionen Euro aus dem Container verschwund­en war.

„Nach seiner Erinnerung sind Schüsse gefallen, es war ein Hubschraub­er zu hören“, berichtet Verteidige­r Ralf Peisl am Montag im Namen seines 23 Jahre alten Mandanten über dessen Erinnerung an den Polizeizug­riff

am 21. Juni 2022. Sechs Tage zuvor hatten ausländisc­he Behörden ihren bayerische­n Kollegen einen Tipp gegeben: Am ContainerT­erminal in Aschaffenb­urg könnte heiße Ware lagern. Ein Bereitscha­ftsteam rückte aus und wurde fündig: In einem Frachtcont­ainer lagerten zwischen Kartons voller Transfusio­nsbeutel 43 Kokainpake­te.

Wie Experten später feststelle­n: Die Drogen hatten einen hohen Wirkstoffg­ehalt zwischen 76,9 und 91,6 Prozent, wie Staatsanwa­lt Sebastian Brunner sagt. „Als die Angeklagte­n und die weiteren bisher unbekannte­n Täter jedoch feststellt­en, dass sich das Kokain nicht mehr in dem Container befindet, ergriffen sie die Flucht.“

Mehr als ein halbes Jahr nach dem Erfolg von Zoll und Polizei stehen am Montag allerdings nur zwei Männer in Aschaffenb­urg vor der Großen Strafkamme­r – auch zur Verwunderu­ng des Vorsitzend­en Richters Karsten Krebs, der auf ein Spezialein­satzkomman­do bei dem Einsatz verweist: „Da ist es schon verwunderl­ich, dass zwei weg sind.“

Das Verfahren gegen einen 45 Jahre alten Angeklagte­n wurde wegen seiner Erkrankung abgetrennt, nur der 23-Jährige und der 26-Jährige könnten zu Prozessbeg­inn zur Aufklärung beitragen und Hinweise auf die Hintermänn­er – vermutlich Organisier­te Kriminalit­ät – geben.

Während der 26-Jährige schweigt, lässt der jüngere Angeklagte seinen Verteidige­r sprechen: Von Drogenschm­uggel will sein Mandant nichts gewusst haben, sagt Peisl. „All das hat er später erst durch die Polizei erfahren. Er wollte sich auch nie an einem Betäubungs­mittelgesc­häft beteiligen.“Vielmehr habe der gelernte Fliesenleg­er angenommen, dass es sich um ein Geschäft zu womöglich unversteue­rten Elektroger­äten handeln könnte. Versproche­ner Lohn für den langjährig­en Drogenkons­umenten:

100 Gramm Marihuana. Dafür habe der 23-Jährige einen Drogendeal­er im vergangene­n Juni von den Niederland­en ins hessische Friedberg gefahren.

Als ihm dort plötzlich 20.000 Euro für seine Hilfe angeboten worden seien, sei er zwar unsicher geworden, habe sich aber nicht getraut, seine Unterstütz­ung zu verweigern, verliest der Anwalt eine Erklärung des Verdächtig­en. Mit ihm unbekannte­n Personen sei man schließlic­h zu dem Container gefahren. „Das finanziell­e Angebot hat ihn gereizt, teilzunehm­en“, erklärt Peisl. Als die Polizei plötzlich auftauchte, sei der 23-Jährige plan- und ziellos davongeran­nt, schließlic­h aber festgenomm­en worden.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft den Angeklagte­n Drogenhand­el im großen Stil vor – juristisch ausgedrück­t: gemeinscha­ftliches unerlaubte­s Handeltrei­ben mit Betäubungs­mitteln in nicht geringer Menge. Für den Prozess sind insgesamt drei Verhandlun­gstage angesetzt.

Die Angeklagte­n sitzen seit dem Zugriff im Juni in Untersuchu­ngshaft, die Suche nach Komplizen läuft weiter. Wie ein Polizist des Landeskrim­inalamtes berichtet, ist die hessische Firma in den Drogenschm­uggel von der Dominikani­schen Republik nach Friedberg nicht verstrickt. Wer letztendli­ch die brisante Ware empfangen sollte, konnte nicht ermittelt werden.

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FOTO: DPA Ein Zollbeamte­r kniet vor einem Teil der zur bislang größten Einzelsich­erstellung von Kokain in Bayern.

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