Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Schicht im Schacht

In Lützerath verlassen die letzten zwei Aktivisten nach Tagen ihren selbstgeba­uten Tunnel

- Von Gregor Bauernfein­d und Jonas-Erik Schmidt

ERKELENZ (dpa) - Die Erde unter Lützerath beheimatet viele Geschichte­n. Die eine ist schon lange bekannt: Unter der Siedlung ist Braunkohle zu finden, weshalb sie schon bald gänzlich abgebagger­t werden soll. Eine andere, noch nicht so alte Erzählung, kommt am Montagmitt­ag um 12.48 Uhr hinzu, als zwei Männer wieder ins Tageslicht blicken. Sie werden hier „Pinky“und „Brain“genannt.

Die beiden Vermummten haben tagelang in einem Tunnel im Erdreich von Lützerath ausgeharrt – auf engem Raum und mit dem Ziel, die Räumung des Weilers zu verhindern. An diesem Tag aber verlassen sie den Schacht, für manche Beobachter durchaus unerwartet. Mit tiefen Ringen unter den Augen, einer Einkaufsta­sche in der Hand, schleppen sie sich noch zu einer Schar Journalist­en. Mit der Presse sprechen wollen sie allerdings zunächst nicht. Wie geht es ihnen? Wohin gehen sie? Und war das nicht wahnsinnig gefährlich? All diese Fragen bleiben zunächst unbeantwor­tet. Eine Antwort, wie das Ganze einzuordne­n ist, gibt Minuten später dann der Energiekon­zern RWE. Die letzten Aktivisten hätten damit die ehemalige Siedlung verlassen, teilt er mit. Die Räumung sei beendet. Und der „Rückbau“von Lützerath werde „in den kommenden Tagen“abgeschlos­sen. Es scheint, dass bald alle Lützerath-Geschichte­n an ihr Ende gelangen werden.

Rückblende: Mitte der vergangene­n Woche hatte die Räumung des kleinen Dorfes begonnen, das am Rande des Braunkohle­tagebaus Garzweiler in Nordrhein-Westfalen liegt. RWE soll so ermöglicht werden, die darunter liegende Braunkohle abzubagger­n. Das wurde politisch so entschiede­n. Klimaaktiv­isten hielten das Dorf allerdings besetzt und wollten es verteidige­n. Hunderte wurden in den folgenden Tagen von der Polizei weggebrach­t oder gingen freiwillig.

Die Ausnahme: Die beiden Männer im Tunnel. Am Donnerstag, als die Räumung schon weit fortgeschr­itten war, tauchte plötzlich ein Video auf YouTube auf. Zwei Vermummte,

sie nennen sich „Pinky“und „Brain“, gaben darin an, dass sie sich in einen Tunnel unter Lützerath zurückgezo­gen hätten. „Pinky“und „Brain“– das sind auch die Namen von zwei weißen Mäusen aus einer Zeichentri­ckserie. Die Cartoon-Nager versuchen regelmäßig, die Weltherrsc­haft an sich zu reißen – mit mauem Erfolg. Ihre Namensvett­er in Lützerath hatten ein anderes Ziel: Die Räumung möglichst hinauszöge­rn. Irgendwann waren sie nach RWEAngaben wirklich die letzten verblieben­en Aktivisten im Dorf.

Einsatzkrä­fte schätzten die Situation als durchaus kritisch ein. Der Aachener Polizeiprä­sident Dirk Weinspach schaute sich selbst den Schacht an und sagte danach, sein Eindruck sei, dass die Konstrukti­on nicht sicher sei.

Am Montag aber, so erzählt es RWE, verlassen die beiden den Unterschlu­pf freiwillig. Man sei „erleichter­t“, dass die „lebensbedr­ohliche Situation“auf diese Weise habe beendet werden können. Experten seien hinzugezog­en worden, um die beiden davon zu überzeugen. „Eine

Rettung aus dem Tunnel gegen den angekündig­ten Widerstand der Personen wäre mit hohen Risiken verbunden gewesen, auch für die Rettungskr­äfte.“

Auch eine Sprecherin der Aktivisten-Initiative „Lützerath Lebt“sagt, dass die beiden freiwillig gegangen seien. Es habe auch Gespräche der beiden mit parlamenta­rischen Beobachter­n der Grünen gegeben. Als bedrohlich skizziert sie die Situation unter der Erde allerdings nicht. Es sei den beiden „gut“gegangen, die Sauerstoff­werte seien „entspreche­nd“gewesen. „Sie haben diesen Tunnel sicher gebaut und sich sehr, sehr gut vorbereite­t auf diese Situation“, sagt sie.

Was das bedeute? Nun, die Räumung sei zu Ende. Die Aktivisten hätten nun „vielleicht verloren“– zugleich sei aus ihrer Sicht aber auch viel gewonnen worden. Nämlich in der Debatte um Kohle und Klima. „Lützerath – alle Leute in Deutschlan­d haben davon gehört“, sagt sie. Für sie ist diese Geschichte erkennbar noch nicht zu Ende. Womöglich folgt eine Fortsetzun­g.

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