Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Der letzte Pate

Mafia-Boss Denaro verhaftet – Behörden suchten Chef der Cosa Nostra mehr als 30 Jahre lang

- Von Manuel Schwarz

ROM (dpa) - Matteo Messina Denaro wird von zwei Carabinier­i in einen Kleinbus geschoben, dort warten schon Polizisten in Kampfmontu­r. Der Mann, der der meistgesuc­hte Mafioso Italiens war, versucht sein Gesicht unter einer Mütze und hinter dem Jackenkrag­en zu verstecken.

Nach drei Jahrzehnte­n der Fahndung nach dem letzten großen Boss der sizilianis­chen Cosa Nostra feiert Italien die Ergreifung des heute 60Jährigen. Messina Denaro (Fahndungsf­otos: AFP) wurde wegen einiger der furchtbars­ten Verbrechen der jüngeren Geschichte verurteilt. „Heute ist ein Tag zum Feiern“, sagt Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni in Palermo, „denn wir können unseren Kindern sagen, dass man die Mafia besiegen kann.“

Im Regen, der über der sizilianis­chen Hauptstadt niederging, endete am Montagmorg­en ein großes und für Italien so schmerzhaf­tes Kapitel des Kampfes gegen das organisier­te Verbrechen. Spezialkrä­fte der italienisc­hen Carabinier­i nahmen den Gesuchten in einer Privatklin­ik in Palermo fest. „Ich bin Matteo Messina Denaro“, sagte der überrascht­e Verbrecher, als er am Eingang des Krankenhau­ses von Agenten angesproch­en wird. Seine seit 1993 dauernde Flucht war vorbei. Dutzende Polizisten sicherten die Klinik. Als klar war, wer hier verhaftet wurde, applaudier­ten andere Patienten spontan.

Der am 26. April 1962 in der Kleinstadt Castelvetr­ano im Westen von Sizilien geborene Messina Denaro wurde in Abwesenhei­t wegen Dutzender Verbrechen zu lebenslang­er Haft verurteilt. Es sind abscheulic­he Taten darunter: Der Mann soll etwa die Bombenansc­hläge auf Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Jahr 1992 organisier­t haben, bei denen die zwei Mafia-Jäger sowie mehrere Begleiter starben.

Auch die Entführung des kleinen Giuseppe Di Matteo soll er mitgeplant haben: Der Junge war von November 1993 an von der Cosa Nostra mehr als zwei Jahre an unterschie­dlichen Orten und unter unmenschli­chen Umständen festgehalt­en worden. Die Mafia wollte erzwingen, dass sein Vater nicht vor Gericht aussagt. Nach 779 Tagen erdrosselt­en die Mafiosi den Jungen kurz vor dessen 15. Geburtstag und lösten seinen

Leichnam in Säure auf. Italien war geschockt von so viel Brutalität.

Zu jener Zeit begann Messina Denaro damit, zum Boss der Cosa Nostra aufzusteig­en. Er galt als Vertrauter und dann Nachfolger der ehemaligen Cosa-Nostra-Paten Salvatore „Totò“Riina und Bernardo Provenzano. Den brutalen und skrupellos­en Riina nannte man den Boss der Bosse in Sizilien. Er wurde am 15. Januar 1993 verhaftet, also fast auf den Tag genau 30 Jahre vor Messina Denaro. Riina und Provenzano starben 2017 beziehungs­weise 2016 im Gefängnis. Messina Denaro galt als letzter noch flüchtiger Top-Mafioso aus jener Zeit.

Seine Verhaftung löste in dem Mittelmeer­land große Freude und Genugtuung aus. Auf Handyvideo­s ist zu sehen, wie Passanten in Palermo nach dem Einsatz zu den Carabinier­i gehen und sich – teils unter Tränen – bedanken. Viele klatschen, als ein Komplize von Messina Denaro ebenfalls von der Klinik weggeführt wird. Regierungs­chefin Meloni kündigte eine Initiative an, damit der 16. Januar künftig als Tag zu Ehren der

Anti-Mafia-Ermittler und -Staatsanwä­lte gefeiert wird. „Italien ist stolz auf sie“, sagte die Rechtspoli­tikerin, die sofort nach Sizilien eilte und dort auch jene Stelle an der Autobahn besuchte, an der Falcone getötet wurde.

Unter den Jubel über die Verhaftung mischte sich aber auch Unglaube und gar Entsetzen, dass es so lange dauerte, bis der meistgesuc­hte Kriminelle des Landes festgenomm­en werden konnte. Der eigentlich untergetau­chte Messina Denaro ließ sich seit nicht weniger als einem Jahr wegen einer Krebserkra­nkung in der Privatklin­ik behandeln. Das Krankenhau­s teilte mit, dass er vor einem Jahr unter dem Namen Andrea Bonafede eincheckte und operiert wurde und auch danach immer wieder zu Nachkontro­llen kam. Angeblich hatte er einen offizielle­n Personalau­sweis und sogar eine Steuernumm­er unter dieser Identität.

Trotz der kritischen Stimmen sprachen viele von einem historisch­en Datum im Kampf gegen die Mafia. Mario Mori, der frühere Chef der Carabinier­i-Spezialein­heit Ros, meinte, die Ära der organisier­t operierend­en Mafia in Sizilien sei vorbei. „Einige Gegenden werden zwar vor der Mafia-Kultur ,befallen<# bleiben, aber die Cosa Nostra gibt es nicht mehr“, sagte Mori.

 ?? FOTO: CARABINIER­I/DPA ?? Dieses von den italienisc­hen Carabinier­i zur Verfügung gestellte Videostand­bild zeigt Matteo Messina Denaro (Mi.), Chef der sizilianis­chen Cosa Nostra, nach seiner Festnahme in Palermo, wo er sich behandeln lassen wollte.
FOTO: CARABINIER­I/DPA Dieses von den italienisc­hen Carabinier­i zur Verfügung gestellte Videostand­bild zeigt Matteo Messina Denaro (Mi.), Chef der sizilianis­chen Cosa Nostra, nach seiner Festnahme in Palermo, wo er sich behandeln lassen wollte.
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