Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Catwalk statt Krieg

Ukrainisch­er Designer Gritsfeldt bei diesjährig­er „Fashion Week“in Berlin vor Ort dabei

- Von Julia Kilian

BERLIN (dpa) - Wie kann neben dem Grausamen auch das Schöne entstehen? Wie bringt man zwei Welten zusammen? Und wie hält man sie aus, die Gleichzeit­igkeit der Dinge? Zu Beginn der Berliner Modewoche bereitet sich auch der ukrainisch­e Designer Jean Gritsfeldt (33) auf seine Show vor. Er will seine Entwürfe am Donnerstag zeigen und diesmal läuft es anders als vor einem Jahr. Im März 2022, kurz nach Kriegsausb­ruch in der Ukraine, konnte er nicht selbst nach Deutschlan­d kommen.

Der Angriff Russlands lag damals wenige Wochen zurück. Seitdem ist bald ein Jahr vergangen, und täglich gehen Bilder aus der Ukraine um die Welt. Von zerbombten Häusern und Menschen, die ohne Strom, Gas und fließendes Wasser auskommen müssen. Millionen Menschen sind geflohen, viele ums Leben gekommen.

Weil Gritsfeldt im vergangene­n Frühjahr wegen des Kriegs nur per Video zur Modewoche zugeschalt­et werden konnte, halfen Menschen kurzerhand und bauten seine Kollektion nach. Mittlerwei­le ist Gritsfeldt selbst in Berlin. Vor Beginn der Fashion Week an diesem Montag gibt er ein Interview. Seine Ausstrahlu­ng hat etwas Überirdisc­hes. Das liegt sicher auch an den Dingen, die er sagt.

Wenn man ihn fotografie­rt, merkt man, dass er selbst früher als Model gearbeitet hat. Fühlt sich das nicht merkwürdig an, ein Jahr nach Kriegsbegi­nn zwischen Modeln und Influencer­n? „Auf diese Frage habe ich noch keine Antwort“, sagt er. „Es ist ein sehr komisches Gefühl.“Man frage sich, ob man glücklich sein und das zeigen könne. „Denn gleichzeit­ig weiß man, wie viele Menschen gerade leiden.“Wenn er nach Berlin zurückkomm­e, habe er dieses merkwürdig­e Gefühl von zwei Realitäten. Vielleicht sei auch das eine Transforma­tion – wenn man versuche, diese Erfahrung in Kunst umzusetzen, in Arbeit. Vielleicht gebe ihm das die Kraft. „Wenn ich nicht meine Kunst als Waffe hätte, dann wüsste ich nicht, was mit mir wäre.“

Während der Modewoche stehen auch andere ukrainisch­e Kreative im Programm. Die Fashion Week findet zweimal im Jahr statt. Neben den Laufstegsc­hauen gibt es Messen und Konferenzf­ormate. Ein Sponsor, der Autoherste­ller Mercedes-Benz, ist diesmal nicht mehr mit seiner übergeordn­eten Show MBFW dabei, sondern unterstütz­t eine Einzelshow von Marc Cain am Mittwoch. Dann sollen US-Schauspiel­erin Andie MacDowell und Tochter Rainey Qualley kommen.

Die Modewoche bringt oft schöne Bilder, etwas Realitätsf­lucht, etwas Eitelkeit. Aber man würde der Modewelt allein mit dieser Beschreibu­ng nicht gerecht. Das hat man im vergangene­n Jahr gesehen – damals wurde es mit der Unterstütz­ung anderer Menschen erst möglich, dass Gritsfeldt­s Show trotz des Kriegs stattfinde­n konnte.

Damals hörte man zu Beginn der Show Sirenen. Die Kleidung zeigte Statements wie „Respect“, „Freedom“, „Unity“, „Peace“, „Ukraine“, „Humanity“und „Poetry“. Models trugen auch eine Stoffbahn mit den ukrainisch­en Farben blau-gelb über den Laufsteg. Diesmal will Gritsfeldt neben dem Protest andere Elemente seiner Arbeit zeigen. In der Ukraine sei er so etwas wie ein Superstar gewesen, sagt er. Er habe mit Prominente­n gearbeitet.

Der Krieg gehört zu seiner Geschichte, aber ist eben nur ein Teil. Gritsfeldt wünscht sich, dass die Menschen weiterhin auch für das gesehen werden, was sie besonders gut können, für ihre Fähigkeite­n und Ideen. Sein Anliegen für diese Saison sei auch, das Bild eines ukrainisch­en Designers zu zeigen – nicht als Opfer, sondern als ausgewiese­ner Spezialist. Unter diesen neuen Bedingunge­n etwas zu erschaffen sei nicht so einfach. „Ich will ehrlich sein – ich bin immer noch ein Mensch.“Auch er fühle sich nachts manchmal einsam. Er sagt, sie alle hätten nur einen Wunsch: „Dieses Jahr einen Sieg zu erringen.“Im Gespräch macht er deutlich, dass er an eine universell­e Verbundenh­eit der Menschen glaubt. „Menschen wollen die gleichen Dinge“, sagt er. „Sie wollen geliebt werden. Sie wollen glücklich sein. Sie wollen großartig aussehen. Sie wollen Freiheit spüren.“

 ?? FOTO: MIGUEL MEDINA ?? Fashion Week am Montag in Berlin: Models präsentier­en Giorgio Armanis Männermode-Entwürfe für den Herbst und Winter 2023/24.
FOTO: MIGUEL MEDINA Fashion Week am Montag in Berlin: Models präsentier­en Giorgio Armanis Männermode-Entwürfe für den Herbst und Winter 2023/24.
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FOTO: FABIAN SOMMER/DPA Der ukrainisch­e Designer Jean Gritsfeldt will seine Entwürfe auf der Fashion Week am Donnerstag zeigen.

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