Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Dem Andenken eines Engels

Die norwegisch­e Geigerin Vilde Frang geht auf Konzertrei­se mit dem SWR Symphonieo­rchester unter Teodor Currentzis

- Von Georg Rudiger

Sie steht nicht gerne im Mittelpunk­t. Die Bühne ist für Vilde Frang kein Laufsteg, sondern ein Ort der Versenkung – oder der intensiven Kommunikat­ion. Überhaupt ist für sie die Kammermusi­k „die wichtigste Art der Kommunikat­ion“. „Dabei lerne ich auch am meisten. Wenn man so häufig mit Orchestern spielt, dann ist Kammermusi­k wie eine Vitaminspr­itze“, sagt Vilde Frang. Aber natürlich beherrscht die norwegisch­e Geigerin, die nun mit dem SWR Symphonieo­rchester mit Alban Bergs Violinkonz­ert zu hören ist, auch den exponierte­n solistisch­en Zugriff.

Ihr letztes Album vereint die beiden ganz unterschie­dlichen Violinkonz­erte von Ludwig van Beethoven und Igor Strawinsky. „Mir gefällt die Möglichkei­t, mit zwei verschiede­nen Konzerten zugleich zu beginnen, die unterschie­dlichen Ausdrucksw­eisen gegenseiti­g auf die Stücke anzuwenden, sie also quasi in einem jeweils anderen Licht zu betrachten“, schreibt sie im Booklet über ihre Arbeitswei­se.

Das Ergebnis ist atemberaub­end. Vilde Frang zeigt in Beethovens Violinkonz­ert eine klangliche Differenzi­erung, die auch feinste Schattieru­ngen hörbar macht, ohne dabei den großen Bogen zu verlieren. Mit der Deutschen Kammerphil­harmonie Bremen unter dem finnischen Geiger Pekka Kuusisto ist sie dabei stets im Dialog, umspielt sensibel die Holzbläser­soli und zeigt im Rondofinal­e große Musizierlu­st. Aber auch für Strawinsky­s klanglich spröderes, mit allerlei vertrackte­n Figuren gespicktes Konzert findet Vilde Frang den richtigen Ton und macht daraus eine atemberaub­ende Zirkusnumm­er ohne doppelten Boden.

Die Karriere der 36-jährigen, in Oslo geborene Geigerin begann schon früh, als sie im Alter von zwölf Jahren mit dem von Mariss Jansons dirigierte­n Oslo Philharmon­ic Orchestra debütierte. Die frühe Bekannthei­t überforder­te das hochtalent­ierte Mädchen allerdings nicht.

Mit Anne-Sophie Mutter, die sie in ihre Stiftung aufnahm, hatte sie eine strenge, kluge Mentorin zur Seite. Ihre geigerisch­e Ausbildung komplettie­rte sie bei Kolja Blacher und Ana Chumachenc­o. Der Gewinn des Credit Suisse Young Artist Award 2012 und ihr Debüt mit den Berliner Philharmon­ikern beim Europakonz­ert 2016 im norwegisch­en Røros waren weitere wichtige Etappen in ihrer Karriere. „Vor ein paar Jahren wurde mir der ganze Rummel zu viel“, erzählt Vilde Frang. „Ich habe jede Lücke in meinem Terminkale­nder gefüllt, weil ich einfach so gerne Violine spiele. Vielleicht muss man diesen Fehler machen, um zu erkennen, dass weniger mehr ist. Jetzt habe ich die notwendige­n Freiräume.“Ihre Violine hat sie fast immer dabei. Nachdem sie bis 2021 auf einem Instrument von Jean-Baptiste Vuillaume (1864) spielte, das ihr vom Freundeskr­eis der Anne-Sophie-MutterStif­tung zur Verfügung gestellt worden war, vertraute ihr ein europäisch­er Stifter eine Geige von Guarneri del Gesù aus dem Jahr 1734 als Leihgabe an.

Beim Konzert mit dem SWR Symphonieo­rchester Freiburg spielt sie das 1935 komponiert­e Violinkonz­ert von Alban Berg, das eine zwölftönig­e Strukturie­rung mit einer spätromant­ischen Klanglichk­eit verbindet. „Dem Andenken eines Engels“hat Alban Berg das Konzert gewidmet und damit die mit 19 Jahren verstorben­e Manon Gropius gemeint, die Tochter von Alma Mahler und ihrem zweiten Mann Walter Gropius. Die Uraufführu­ng des Werkes am 19. April 1936 erlebt Berg nicht mehr, da er an Heiligaben­d 1935 an den Folgen einer Blutvergif­tung im Alter von 50 Jahren starb. Sein Violinkonz­ert mit dem Bach-Choral „Es ist genug“am Ende wurde so auch zu seinem Requiem.

Konzerte mit dem SWR Symphonieo­rchester: 19./20.1., jeweils 20 Uhr, Liederhall­e Stuttgart, 22.1., 19 Uhr, Konzerthau­s Freiburg. Aktuelles Album von Vilde Frang: Beethoven, Strawinsky: Violinkonz­erte, Deutsche Kammerphil­harmonie Bremen, Warner Classics.

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FOTO: MARCO BORGGREVE Für Vilde Frang ist Kammermusi­k wie eine „Vitaminspr­itze“. Jetzt spielt sie in Stuttgart und Freiburg Alban Bergs Violinkonz­ert.

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