Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Dem Andenken eines Engels
Die norwegische Geigerin Vilde Frang geht auf Konzertreise mit dem SWR Symphonieorchester unter Teodor Currentzis
Sie steht nicht gerne im Mittelpunkt. Die Bühne ist für Vilde Frang kein Laufsteg, sondern ein Ort der Versenkung – oder der intensiven Kommunikation. Überhaupt ist für sie die Kammermusik „die wichtigste Art der Kommunikation“. „Dabei lerne ich auch am meisten. Wenn man so häufig mit Orchestern spielt, dann ist Kammermusik wie eine Vitaminspritze“, sagt Vilde Frang. Aber natürlich beherrscht die norwegische Geigerin, die nun mit dem SWR Symphonieorchester mit Alban Bergs Violinkonzert zu hören ist, auch den exponierten solistischen Zugriff.
Ihr letztes Album vereint die beiden ganz unterschiedlichen Violinkonzerte von Ludwig van Beethoven und Igor Strawinsky. „Mir gefällt die Möglichkeit, mit zwei verschiedenen Konzerten zugleich zu beginnen, die unterschiedlichen Ausdrucksweisen gegenseitig auf die Stücke anzuwenden, sie also quasi in einem jeweils anderen Licht zu betrachten“, schreibt sie im Booklet über ihre Arbeitsweise.
Das Ergebnis ist atemberaubend. Vilde Frang zeigt in Beethovens Violinkonzert eine klangliche Differenzierung, die auch feinste Schattierungen hörbar macht, ohne dabei den großen Bogen zu verlieren. Mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter dem finnischen Geiger Pekka Kuusisto ist sie dabei stets im Dialog, umspielt sensibel die Holzbläsersoli und zeigt im Rondofinale große Musizierlust. Aber auch für Strawinskys klanglich spröderes, mit allerlei vertrackten Figuren gespicktes Konzert findet Vilde Frang den richtigen Ton und macht daraus eine atemberaubende Zirkusnummer ohne doppelten Boden.
Die Karriere der 36-jährigen, in Oslo geborene Geigerin begann schon früh, als sie im Alter von zwölf Jahren mit dem von Mariss Jansons dirigierten Oslo Philharmonic Orchestra debütierte. Die frühe Bekanntheit überforderte das hochtalentierte Mädchen allerdings nicht.
Mit Anne-Sophie Mutter, die sie in ihre Stiftung aufnahm, hatte sie eine strenge, kluge Mentorin zur Seite. Ihre geigerische Ausbildung komplettierte sie bei Kolja Blacher und Ana Chumachenco. Der Gewinn des Credit Suisse Young Artist Award 2012 und ihr Debüt mit den Berliner Philharmonikern beim Europakonzert 2016 im norwegischen Røros waren weitere wichtige Etappen in ihrer Karriere. „Vor ein paar Jahren wurde mir der ganze Rummel zu viel“, erzählt Vilde Frang. „Ich habe jede Lücke in meinem Terminkalender gefüllt, weil ich einfach so gerne Violine spiele. Vielleicht muss man diesen Fehler machen, um zu erkennen, dass weniger mehr ist. Jetzt habe ich die notwendigen Freiräume.“Ihre Violine hat sie fast immer dabei. Nachdem sie bis 2021 auf einem Instrument von Jean-Baptiste Vuillaume (1864) spielte, das ihr vom Freundeskreis der Anne-Sophie-MutterStiftung zur Verfügung gestellt worden war, vertraute ihr ein europäischer Stifter eine Geige von Guarneri del Gesù aus dem Jahr 1734 als Leihgabe an.
Beim Konzert mit dem SWR Symphonieorchester Freiburg spielt sie das 1935 komponierte Violinkonzert von Alban Berg, das eine zwölftönige Strukturierung mit einer spätromantischen Klanglichkeit verbindet. „Dem Andenken eines Engels“hat Alban Berg das Konzert gewidmet und damit die mit 19 Jahren verstorbene Manon Gropius gemeint, die Tochter von Alma Mahler und ihrem zweiten Mann Walter Gropius. Die Uraufführung des Werkes am 19. April 1936 erlebt Berg nicht mehr, da er an Heiligabend 1935 an den Folgen einer Blutvergiftung im Alter von 50 Jahren starb. Sein Violinkonzert mit dem Bach-Choral „Es ist genug“am Ende wurde so auch zu seinem Requiem.
Konzerte mit dem SWR Symphonieorchester: 19./20.1., jeweils 20 Uhr, Liederhalle Stuttgart, 22.1., 19 Uhr, Konzerthaus Freiburg. Aktuelles Album von Vilde Frang: Beethoven, Strawinsky: Violinkonzerte, Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Warner Classics.