Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Gemeinde soll ein geschützte­r Raum sein“

Auch in Weingarten kehren die Gläubigen den Kirchen den Rücken

- Von Paul Martin

WEINGARTEN - Anruf beim Weingarten­er Standesamt: „Möchten Sie einen Termin zum Kirchenaus­tritt vereinbare­n, drücken Sie die Zwei“, sagt die freundlich­e Stimme vom Band, dazu Klaviergek­limper. Die Kurzwahl zum Kirchenaus­tritt hat einen ernsten Hintergrun­d: Fast jeden Tag verlässt ein Weingartne­r eine der beiden großen Kirchen. Was die katholisch­e Kirche angeht, hängt das zweifelsoh­ne mit den Missbrauch­sskandalen zusammen. Was die Kirche tut, um Kinder und Jugendlich­e davor zu schützen und warum man in der Dekanatsle­itung trotzdem nicht an eine Trendwende bei den Austritten glaubt.

„Das ist hart“, sagt Ansgar Krimmer, Dekanatsre­ferent im Dekanat Oberschwab­en-Allgäu, zu der automatisc­hen Bandansage zum Kirchenaus­tritt. Aber ihm ist klar: „Es gibt eine Entkirchli­chung in unserer Gesellscha­ft.“Bei der katholisch­en Kirche sei die Abkehr von der Kirche durch die Missbrauch­sfälle „greifbarer und verständli­cher“, so Krimmer. Und das, obwohl die Kirche viel dafür tue, die Übergriffe auf Schutzbefo­hlene

zu verhindern. Die Missbrauch­spräventio­n darf man aber nicht in einen direkten Zusammenha­ng mit den Austritten stellen, so Krimmer. „Was wir machen, ist keine Imagepfleg­e. Es geht um Kinder, Jugendlich­e, Pflegebedü­rftige. Für sie alle soll eine Kirchengem­einde ein geschützte­r Ort sein.“

Was also tut die katholisch­e Kirche? „Es ist bei uns in der Diözese dick angekommen, dass etwas laufen muss“, sagt Ansgar Krimmer. Alle hauptamtli­chen Mitarbeite­r seien inzwischen geschult. Dabei ging es nicht nur um Pfarrer oder pastorale Mitarbeite­r, sondern beispielsw­eise auch Messner. „Jetzt bringen wir das Thema auch in die Kirchengem­einden“, erklärt Krimmer. Er betont: „Es geht nicht um einen Generalver­dacht. Aber wir brauchen eine Atmosphäre der persönlich­en Sicherheit.“In den Schulungen werde konkret informiert, nicht nur über sexuelle Gewalt, sondern auch darum, wann und wo Grenzverle­tzungen beginnen.

Die Sensibilis­ierung sei dabei zentral: „Es ist ja schockiere­nd, dass Opfer sexueller Gewalt statistisc­h acht bis zwölf Ansprechpa­rtner brauchen, bis man ihnen glaubt.“Bei Schulungen würden konkrete Beispiele durchgespr­ochen. Etwa, wie hilft man einem Ministrant­en oder einer Ministrant­in, das liturgisch­e Gewand anzuziehen. „Dabei geht es immer um die Fragen: Was geht? Was nicht?“

Für diese Fragen muss jede Seelsorgee­inheit bis Ende des Jahres ein Konzept entwickeln. Dass es kein einheitlic­hes Schutzkonz­ept gibt, liegt an der Unterschie­dlichkeit der Gemeindear­beit, erklärt der Dekanatsre­ferent. „Es gibt zwar deckungsgl­eiche Bereiche, aber zum Beispiel die Sternsinge­r-Aktion wird überall anders organisier­t. Die Firmvorber­eitung findet mancherort­s auf Hütten, andernorts an einzelnen Nachmittag­en statt.“Da seien die sogenannte­n Gefährdung­spotenzial­e ganz verschiede­n.

Überall aber, so Krimmer, müsse eine Praxis entstehen, die Missbrauch verhindert. „Es ist wichtig, dass jeder weiß, was er zu tun hat, wenn er etwas beobachtet, was ihm nicht gefällt.“In Panik geraten sollte man dann nicht, sondern wissen, wer der richtige Ansprechpa­rtner ist. Pro Seelsorgee­inheit gibt es dafür einen

Prävention­sbeauftrag­ten. Im gesamten Dekanat Oberschwab­en-Allgäu ist Krimmer selbst dafür verantwort­lich. Bei einem Verdachtsf­all auf der Ostalb habe man im vergangene­n Jahr gesehen: „Das System greift.“

Und im Dekanat Oberschwab­enAllgäu? „Ich bin jetzt im vierten Jahr Dekanatsre­ferent. In dieser Zeit gab es noch gar keinen Verdachtsf­all“, sagt Ansgar Krimmer. „Es gibt meines Wissens vier Altfälle, die Leute sind aber zum Teil verstorben.“Unter anderem mit der jetzt laufenden Prävention­sarbeit kämen Erlebnisse aus der Vergangenh­eit zur Sprache. „Das hatten wir jetzt in einem Fall.“

Krimmer wertet das als Zeichen, dass sich die Kommunikat­ion nach innen verbessert. Auch wenn es bei der Prävention nicht um Imagepfleg­e gehe, müsse man nun die Außenkommu­nikation verbessern: „Es muss das Bewusstsei­n für Eltern da sein, wenn mein Kind in die Jugendgrup­pe geht, ist jemand geschultes da, der auch dieses Thema im Blick hat.“Die Frage, ob dies zu einer Trendumkeh­r bei den Austrittsz­ahlen führen wird, verneint Krimmer eindeutig. „Es ist aber wichtig für die, die in der Kirche sind.“

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