Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Gemeinde soll ein geschützter Raum sein“
Auch in Weingarten kehren die Gläubigen den Kirchen den Rücken
WEINGARTEN - Anruf beim Weingartener Standesamt: „Möchten Sie einen Termin zum Kirchenaustritt vereinbaren, drücken Sie die Zwei“, sagt die freundliche Stimme vom Band, dazu Klaviergeklimper. Die Kurzwahl zum Kirchenaustritt hat einen ernsten Hintergrund: Fast jeden Tag verlässt ein Weingartner eine der beiden großen Kirchen. Was die katholische Kirche angeht, hängt das zweifelsohne mit den Missbrauchsskandalen zusammen. Was die Kirche tut, um Kinder und Jugendliche davor zu schützen und warum man in der Dekanatsleitung trotzdem nicht an eine Trendwende bei den Austritten glaubt.
„Das ist hart“, sagt Ansgar Krimmer, Dekanatsreferent im Dekanat Oberschwaben-Allgäu, zu der automatischen Bandansage zum Kirchenaustritt. Aber ihm ist klar: „Es gibt eine Entkirchlichung in unserer Gesellschaft.“Bei der katholischen Kirche sei die Abkehr von der Kirche durch die Missbrauchsfälle „greifbarer und verständlicher“, so Krimmer. Und das, obwohl die Kirche viel dafür tue, die Übergriffe auf Schutzbefohlene
zu verhindern. Die Missbrauchsprävention darf man aber nicht in einen direkten Zusammenhang mit den Austritten stellen, so Krimmer. „Was wir machen, ist keine Imagepflege. Es geht um Kinder, Jugendliche, Pflegebedürftige. Für sie alle soll eine Kirchengemeinde ein geschützter Ort sein.“
Was also tut die katholische Kirche? „Es ist bei uns in der Diözese dick angekommen, dass etwas laufen muss“, sagt Ansgar Krimmer. Alle hauptamtlichen Mitarbeiter seien inzwischen geschult. Dabei ging es nicht nur um Pfarrer oder pastorale Mitarbeiter, sondern beispielsweise auch Messner. „Jetzt bringen wir das Thema auch in die Kirchengemeinden“, erklärt Krimmer. Er betont: „Es geht nicht um einen Generalverdacht. Aber wir brauchen eine Atmosphäre der persönlichen Sicherheit.“In den Schulungen werde konkret informiert, nicht nur über sexuelle Gewalt, sondern auch darum, wann und wo Grenzverletzungen beginnen.
Die Sensibilisierung sei dabei zentral: „Es ist ja schockierend, dass Opfer sexueller Gewalt statistisch acht bis zwölf Ansprechpartner brauchen, bis man ihnen glaubt.“Bei Schulungen würden konkrete Beispiele durchgesprochen. Etwa, wie hilft man einem Ministranten oder einer Ministrantin, das liturgische Gewand anzuziehen. „Dabei geht es immer um die Fragen: Was geht? Was nicht?“
Für diese Fragen muss jede Seelsorgeeinheit bis Ende des Jahres ein Konzept entwickeln. Dass es kein einheitliches Schutzkonzept gibt, liegt an der Unterschiedlichkeit der Gemeindearbeit, erklärt der Dekanatsreferent. „Es gibt zwar deckungsgleiche Bereiche, aber zum Beispiel die Sternsinger-Aktion wird überall anders organisiert. Die Firmvorbereitung findet mancherorts auf Hütten, andernorts an einzelnen Nachmittagen statt.“Da seien die sogenannten Gefährdungspotenziale ganz verschieden.
Überall aber, so Krimmer, müsse eine Praxis entstehen, die Missbrauch verhindert. „Es ist wichtig, dass jeder weiß, was er zu tun hat, wenn er etwas beobachtet, was ihm nicht gefällt.“In Panik geraten sollte man dann nicht, sondern wissen, wer der richtige Ansprechpartner ist. Pro Seelsorgeeinheit gibt es dafür einen
Präventionsbeauftragten. Im gesamten Dekanat Oberschwaben-Allgäu ist Krimmer selbst dafür verantwortlich. Bei einem Verdachtsfall auf der Ostalb habe man im vergangenen Jahr gesehen: „Das System greift.“
Und im Dekanat OberschwabenAllgäu? „Ich bin jetzt im vierten Jahr Dekanatsreferent. In dieser Zeit gab es noch gar keinen Verdachtsfall“, sagt Ansgar Krimmer. „Es gibt meines Wissens vier Altfälle, die Leute sind aber zum Teil verstorben.“Unter anderem mit der jetzt laufenden Präventionsarbeit kämen Erlebnisse aus der Vergangenheit zur Sprache. „Das hatten wir jetzt in einem Fall.“
Krimmer wertet das als Zeichen, dass sich die Kommunikation nach innen verbessert. Auch wenn es bei der Prävention nicht um Imagepflege gehe, müsse man nun die Außenkommunikation verbessern: „Es muss das Bewusstsein für Eltern da sein, wenn mein Kind in die Jugendgruppe geht, ist jemand geschultes da, der auch dieses Thema im Blick hat.“Die Frage, ob dies zu einer Trendumkehr bei den Austrittszahlen führen wird, verneint Krimmer eindeutig. „Es ist aber wichtig für die, die in der Kirche sind.“