Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Bohren, dübeln, verputzen
Aus der Industrie sind Roboter nicht mehr wegzudenken – Nun sollen sie auch die Baustellen erobern
RAVENSBURG/WALDACHTAL (sz/ dpa) - Eine Baustelle wirkt eher wie das natürliche Terrain von Menschen mit Schutzhelm und Warnweste, weniger wie ein Feld für frei fahrende oder laufende Roboter, die bohren, dübeln, verputzen oder sonstige Arbeiten verrichten. Gerade auf großen Baustellen könnten Handwerker aber in Zukunft häufiger technische Unterstützung bekommen: Mehrere Unternehmen entwickeln Bauroboter mit speziellen Fertigkeiten. Das soll die Kollegen aus Fleisch und Blut entlasten – und die Jobs attraktiver machen.
Wie es auf einer Baustelle künftig zugehen könnte, hat in dieser Woche der US-amerikanische RobotikSpezialist Boston Dynamics demonstriert. Es sei Zeit für „Atlas“, neue Fähigkeiten zu erlernen und selbst Hand anzulegen, schreibt der Hersteller zu einem am Mittwoch veröffentlichten Video, das die Anpackerqualitäten des humanoiden Roboters zeigt.
Atlas konnte bereits über unwegsames Terrain laufen und springen. Jetzt hat der 1,5 Meter große und 89 Kilogramm schwere Roboter auch Greiffinger bekommen. Damit packt er ein Brett, baut sich einen Steg und bringt seinem Kollegen auf dem Gerüst mit schwungvollen Bewegungen die vergessene Werkzeugtasche – inklusive eines filmreifen Abgangs. Nach Einschätzung von Benjamin Stephens, Entwicklungsingenieur bei Boston Dynamics, sei Atlas dem Ziel, reale Aufgaben mit menschlicher Geschwindigkeit auszuführen, nun einen entscheidenden Schritt näher gekommen.
Einen etwas anderen, weniger humanoiden Ansatz verfolgt die Fischer Group aus dem SchwarzwaldÖrtchen Waldachtal. Der Spezialist für Befestigungssysteme präsentierte jüngst den Baubot, einen Befestigungsroboter, der bohrt, die Bohrlöcher reinigt und Dübel setzt – auch in fünf Meter hohen Decken. Und das präziser als ein Mensch es könnte. „Mit diesem Roboter können unsere Kunden körperlich anstrengende Arbeiten minimieren“, sagt Matthias Schneider, Geschäftsführer Digitalisierung bei dem Familienunternehmen.
Auch die Firma Hilti aus dem oberbayerischen Kaufering hat einen semi-autonomen Bohrroboter. Der Augsburger Roboterbauer Kuka wiederum hat Exemplare entwickelt, die im Victoria-und-AlbertMuseum in London ein Faserverbundelement aus Carbon- und Glasfasern gefertigt haben, 3-D-Fassaden für einen Baukonzern aus Belgien
drucken oder Holzplatten fräsen und kleben. „Allgemein ist zu sagen, dass die Automatisierung mittels Roboter im Bausektor noch in den Kinderschuhen steckt“, sagt Alois Buchstab, Baurobotik-Experte bei Kuka. So schickt auch Fischer erstmal nur drei „Baubots“zu Projekten in Deutschland, Österreich und den Niederlanden, bevor das Ganze ausgeweitet werden soll.
„Erst durch Fachkräftemangel, Kostendruck oder steigende Anforderungen in Sachen Nachhaltigkeit ist die Baubranche im Umdenken“, erklärt Buchstab. „Zudem macht Digitalisierung Anwendungen zunehmend möglich.“Aus der industriellen Fertigung sind Roboter nicht mehr wegzudenken. „Der Einsatz auf der Baustelle stellt aber nochmal eine ganz andere Herausforderung dar, wenn es um Automatisierung geht“, erklärt der Fachmann. „Dazu zählen Outdoor-Bedingungen mit wechselhaftem Wetter, fehlendem Strom und ähnlichem, Sicherheitsvorkehrungen, Bedienbarkeit, um nur einige zu nennen.“
Ähnlich äußert sich der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH): „Manuelle Tätigkeiten im Handwerk lassen sich nicht einfach – wie vielfach in der Industrie – durch Automatisierungslösungen oder den Einsatz von Robotern ersetzen.“Sind Leistungen und Produkte individuell auf Kunden zugeschnitten, seien manuelle Fertigung und Ausführung nach wie vor unabdingbar, „weil Menschen deutlich anpassungsfähiger sind und sich auf Gegebenheiten vor Ort deutlich besser einstellen können, als dies Maschinen vermögen“.
Einen Unterschied macht der Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, Thomas Möller, bei der Betriebsgröße. Eine kleine Firma mit fünf Mitarbeitern brauche Roboter nicht. „Die ist dann auch nicht rückständig“, betonte Müller. Beim Bau eines Einfamilienhauses
brauche man schlicht keinen Roboter. Hingegen sei der technologische Fortschritt für größere Betriebe und Baustellen dringend notwendig: „Wir müssen da aus dem Dornröschenschlaf kommen.“So nannte auch Fischer-Experte Schneider einen langen Tunnel als Beispiel für einen „Baubot“-Einsatz: Da müssten Tausende Dübel gesetzt werden.
Möller verweist unter anderem auch auf Seilroboter, die wie ein Spinnennetz über der Baustelle gespannt werden und beim Transport und Setzen von Mauersteinen helfen sollen. „Das sind alles Experimente“, sagt der Hauptgeschäftsführer. Das müsse dringend voranschreiten.
Er kann auch der Argumentation folgen, dass Bauroboter die Arbeit sicherer machen. Das habe sich etwa nach der Flut im Ahrtal gezeigt: „Es ist sicherer, wenn man 20 Meter neben der Abbruchkante stehen kann, wo die Maschine arbeitet.“Die Entwicklung helfe hoffentlich zudem bei der Nachwuchssuche: „Wir werden nur noch Leute gewinnen können, wenn wir ihnen sagen, der Job ist nicht mehr so körperlich anstrengend, du kannst das mit deinem Handy machen“, sagte Möller.
Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt meint grundsätzlich: „Mechanisierung und Digitalisierung können zu Entlastungen oder zu mehr Gesundheitsschutz beitragen. Allerdings dürfen die ersparten Arbeiten nicht wieder von einer anderen Leistungssteigerung oder Arbeitsverdichtung aufgefressen werden.“Sogenannte Exo-Skelette etwa seien gute Hilfen bei schweren Lasten. Allerdings sollten diese Art „Überzieh-Roboter“, die die Muskelkraft mechanisch verstärken, nicht dazu führen, dass dann noch schwerere Gewichte getragen werden.
Der ZDH nennt als andere Beispiele Sensoren für Regenrinnen, damit der Handwerksbetrieb immer über den aktuellen Zustand der montierten Abwasseranlage informiert ist. Dachdecker und Dachdeckerinnen wiederum könnten ihre Gesundheit schonen, wenn eine Drohne das Dach prüft und dafür niemand mehr hinaufsteigen muss. „Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der Verlängerung der Lebensarbeitszeit und des zunehmend schwerer zu deckenden Fachkräftebedarfs ist es auch im Interesse der Handwerksbetriebe, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst lange gesund und fit bleiben.“
Welche Fähigkeiten der humanoide Roboter Atlas von Boston Dynamics bereits hat, sehen Sie unter
www.schwaebische.de/atlas