Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Als der Papst den Comandante traf
Vor 25 Jahren besuchte Johannes Paul II. Kuba und traf dort auf Fidel Castro
MEXIKO-STADT - Das Bild ging damals wegen seiner Einzigartigkeit um die Welt. Fidel Castro steckte im ungewohnten dunklen Anzug, der ihm trotz seiner 71 Jahre eine gewisse Jugendlichkeit verlieh. Der Revolutionär neigte sich – auch wegen des Größenunterschieds – herab zu Papst Johannes Paul II. Die Hände beider Männer liegen ineinander an diesem 21. Januar 1998. Ein ikonisches Bild, das zu einem geschichtsträchtigen Besuch des Oberhauptes der katholischen Kirche auf Kuba passt.
Der Pole Karol Wojtyla besuchte nach dem Ende des Kalten Krieges eine der letzten marxistischen Bastionen der Welt. Er war der erste Papst auf der Insel überhaupt. Für Fidel Castro, der damals schon fast 40 Jahre über Kuba herrschte, war das ein Prestigeerfolg. Fünf Tage dauerte die Visite, deren Höhepunkt eine Messe auf dem Platz der Revolution in Havanna war, dem Aufmarschheiligtum des kubanischen Kommunismus. Der Visite von Johannes Paul II., der ein Faible für Lateinamerika hatte, folgten bis heute zwei weitere Papstbesuche in den Jahren 2012 (Benedikt XVI.) und 2015 (Franziskus). Aber beide reichten in der Bedeutung nicht an jene des polnischen Papstes heran.
Sein Besuch zeigte kurz- und langfristige Veränderungen. Für die katholische Kirche auf der Insel und die Christen, aber auch das Gros der Bevölkerung. Aber rückblickend muss man sagen, dass entscheidende, anhaltende Verbesserungen ausblieben. Die vielen Hoffnungsschimmer verglühten schnell wie Sternschnuppen.
Zwar regiert kein Castro mehr die Insel, aber sie dümpelt noch immer orientierungslos im kapitalistischen Meer umher. Politische Freiheiten werden nach wie vor nicht gegeben, viele Menschen nehmen sie sich inzwischen aber einfach – oder gehen weg. Damals war auch das fast unmöglich, es sei denn man floh. Und wirtschaftlich – nun ja – steht Kuba fast noch schlechter dar als vor einem halben Jahrhundert, auch wenn das kaum vorstellbar ist.
Johannes Pauls Besuch besiegelte damals den Höhepunkt einer schrittweisen Entspannung des Verhältnisses zwischen dem sozialistischen Staat und der katholischen Kirche.
Kurz nach der Revolution 1959 war das Verhältnis zerrüttet. Die neue Führung unter den bärtigen Revolutionären schloss kirchliche Sozialeinrichtungen und Konfessionsschulen. Sich offen zu ihrem Glauben bekennende Christen wurden am Arbeitsplatz benachteiligt.
Die Entspannung begann erst 20 Jahre später und beschleunigte sich nach dem Mauerfall. Kuba war nach 1989 dankbar für Hilfe jeder Art und jeder Herkunft. Denn es war 1998 noch immer eine schwere Zeit auf der Insel, die sich gerade vom wirtschaftlichen Schock des Zusammenbruchs der Sowjetunion und dem folgenden Niedergang der Ökonomie erholte. Und so erhofften sich beide Seiten damals einen Wandel. Kuba wollte mehr Anerkennung und Unterstützung,
der Vatikan wollte mehr Freiheiten für die Kirche und die Menschen erreichen. Und so war eine der spürbarsten Veränderungen schon vor dem Papstbesuch 1998, dass Castro per Dekret vom Dezember 1997 das Feiern von Weihnachten, Neujahr und den Heiligen Drei Königen auf Kuba wieder zuließ. 35 Jahre lang waren es normale Arbeitstage.
Von dem Besuch 1998 ist vor allem ein Satz des Papstes in Erinnerung geblieben: „Kuba möge sich der Welt und die Welt Kuba gegenüber öffnen.“Ein Vierteljahrhundert später ist dieser Impetus von damals fast vollständig verflogen. Fidel Castro ist tot, sein Bruder Raúl hat die Zügel inzwischen abgegeben, aber alles, was sich damals nach dem Papstbesuch zu öffnen begann, ist heute wieder verschlossen.
Die Menschen fliehen, weil ihnen das Internet längst gezeigt hat, was die Welt außerhalb des kommunistischen Eilands noch bereithält. Und seit vielen Jahren hindern die Kubaner ihre Bürger nicht mehr an der Ausreise. Ganz im Gegenteil. Es kommt der Führung fast gelegen, wenn Unzufriedene und potenzielle Protestierer das Land verlassen. Denn das ist die andere Seite der Veränderungen. 1998 gab es kaum Proteste und wenn, dann griff die staatliche Repression. Heute interessiert die unzufriedenen Menschen die Repression kaum noch. Sie gehen auf die Straße, so wie im Sommer 2021, oder sie machen ihrem Ärger in den sozialen Netzwerken Luft.