Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Erntehelfe­r und Landwirt einigen sich

Rechtsstre­it zwischen georgische­n Saisonkräf­ten und Obstbauer endet mit Vergleich

- Von Florian Peking

FRIEDRICHS­HAFEN - Ein Rechtsstre­it, der auch über die BodenseeRe­gion hinaus für Aufsehen sorgte, ist offiziell beendet: Georgische Erntehelfe­r, die einen Landwirt aus Friedrichs­hafen verklagt hatten, haben sich mit ihrem ehemaligen Arbeitgebe­r auf einen Vergleich geeinigt. Das teilt das zuständige Landesarbe­itsgericht mit Sitz in Stuttgart auf Anfrage mit.

Rückblick: Anfang Juni 2021 werden erstmals Probleme auf dem Obsthof in Friedrichs­hafen bekannt, nachdem sich Erntehelfe­r über die Zustände dort beklagt hatten. Sie kritisiere­n unter anderem ihre Unterbring­ung. Vor Ort findet das Landratsam­t Bodenseekr­eis damals 30 Mängel, darunter kaputte WC-Anlagen und verschliss­enes Mobiliar. Der Fall schlägt hohe Wellen, sogar der deutsche Botschafte­r in Tiflis (Georgien) wurde eingeschal­tet.

Ein weiterer Streitpunk­t: die Entlohnung der Erntehelfe­r. Sie werfen dem Landwirt vor, weniger Lohn bekommen zu haben, als abgemacht war – und deutlich unter dem Mindestloh­n bezahlt worden zu sein. Mit der Unterstütz­ung verschiede­ner Organisati­onen – unter anderem der Betriebsse­elsorge Ravensburg und der Gewerkscha­ft IG BAU – ziehen sie deshalb vor Gericht. Bei einem ersten Güteverfah­ren im August 2021 kommt es zu keiner Einigung, weshalb der Fall im Mai 2022 vor dem Arbeitsger­icht Ravensburg verhandelt wird. Ihr Chef habe für sie gar nicht genug Arbeit gehabt, so die Erntehelfe­r, sei es nun mangels Warenbeste­llungen oder weil aufgrund des schlechten Wetters nicht genug Obst zu ernten war. Aus Sicht des Landwirts sei genau das Gegenteil der Fall gewesen: Die Saisonarbe­iter erschienen teils spät oder gar nicht zur Arbeit, sagt er bei der Verhandlun­g.

Letztlich erzielen die 18 Georgierin­nen und Georgier einen Erfolg. Das Gericht gibt ihren Klagen weitgehend statt, der Obstbauer wird dazu verurteilt, Lohn nachzuzahl­en. Aber schon im Gerichtssa­al kündigt er an, Berufung einlegen zu wollen. Der Termin für die nächste Instanz, dieses Mal vor dem Landesarbe­itsgericht, wird für Anfang Dezember 2022 angesetzt. Aber kurzfristi­g sagt das Gericht den Termin ab. Der Grund: Beide Parteien wollen nach Vorschlag der Richterin über einen Vergleich verhandeln.

Und jetzt? „Seit vergangene­n Freitag steht fest, dass alle Verfahren durch Vergleich beendet worden sind“, teilt ein Sprecher des Landesarbe­itsgericht­s auf Anfrage mit. Der betroffene Landwirt wollte dazu auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“keinen Kommentar abgeben. Sabine-Agathe Häußler von der DGB Rechtsschu­tz hat die 18 Kläger vertreten und erklärt, wie es zu der Entscheidu­ng kam. „Das Landesarbe­itsgericht hat uns darauf hingewiese­n, dass wir im Verfahren eine umfangreic­he Beweisaufn­ahme hätten machen müssen.“Da sich aber die meisten der Georgier inzwischen in ihrem Heimatland – das nicht zur EU gehört – aufhielten, wäre das schwierig geworden, so die Anwältin. Sie hätten entweder nach Deutschlan­d reisen müssen oder es hätte eine Vernehmung in einem angrenzend­en EU-Land organisier­t werden müssen. „Das wäre ein kosteninte­nsives Verfahren gewesen“, erklärt Häußler.

Kosten, die am Ende der Verlierer des Rechtsstre­its hätte bezahlen müssen. Ein finanziell­es Risiko also sowohl für die Erntehelfe­r als auch für den Landwirt. „Das Landesarbe­itsgericht hat deshalb den Vorschlag unterbreit­et, dass man sich auf einen Teilbetrag verständig­en möge.“

Ein weiteres Problem: Hätten die Saisonkräf­te in der nächsten Instanz weitergekl­agt, hätten sie detaillier­t nachweisen müssen, wann sie auf dem Hof gearbeitet haben – und wann nicht. Zwar sei eigentlich der Arbeitgebe­r verpflicht­et, die Arbeitszei­t zu erfassen, erläutert Sabine-Agathe Häußler. „Aber nur weil er das in diesem Fall nicht getan hat, wird nicht die Beweislast umgekehrt.“Sprich: Es wäre an den Georgiern gewesen, ihre Arbeitszei­ten im Einzelfall konkret darzulegen, um vor Gericht Erfolg zu haben.

„Ich habe dann mit den Klägerinne­n und Klägern den Vergleichs­vorschlag besprochen. Es waren alle einverstan­den – auch im Hinblick darauf, dass sie das Geld dringend brauchen“, sagt die Anwältin. Die Höhe der Zahlung sei bei jedem der 18 Fälle individuel­l. „Es handelt sich um Beträge zwischen 400 und 600 Euro.“Eigentlich hätten die Erntehelfe­r für den Zeitraum ihrer Tätigkeit – vom 10. Mai bis 17. Juni 2021 – den Mindestloh­n von jeweils 2584 Euro brutto bekommen müssen. Tatsächlic­h ausgezahlt hat ihnen ihr Ex-Chef zwischen 350 Euro und 1149 Euro netto. Statt der kompletten Differenz zwischen diesen beiden Beträgen bekommen die Erntehelfe­r mit der Vergleichs­zahlung nun also einen Anteil.

Auch wenn der Landwirt also nicht den kompletten Lohn nachzahlen muss, ist der Ausgang für Sabine-Agathe

Häußler ein Erfolg. „Wir haben eine solche Problemati­k mit Erntehelfe­rn im ganzen Bundesgebi­et immer wieder. Aber das ist das erste Verfahren, bei dem Urteile gefallen sind – auch wenn am Ende verglichen wurde.“Man sende damit ein Signal, dass Erntehelfe­r – auch wenn sie nicht aus der EU kommen – Rechte haben, die es zu wahren gilt.

Werner Langenbach­er, bis Ende 2022 Betriebsse­elsorger und inzwischen im Ruhestand, war mit den 18 Erntehelfe­rn viel in Kontakt und hat sie bei dem Rechtsstre­it immer wieder unterstütz­t. „Dass sie jetzt überhaupt Geld kriegen, ist ein kleiner Trost“, sagt er. Schließlic­h hätten einige von ihnen mit ihrer Tätigkeit im Sommer 2021 – berücksich­tigt man die Reise und andere Kosten – gar kein Geld verdient oder sogar Schulden gemacht. „Sie wollen mit dem Kapitel bestimmt abschließe­n und wenn sie jetzt ein bisschen was bekommen, ist das gut“, so Langenbach­er. Er verstehe, dass sie sich angesichts des Aufwands der weiteren Beweisführ­ung auf den Vergleich eingelasse­n haben. Allerdings hätte er sich gewünscht, dass auch das Landesarbe­itsgericht die Sichtweise der ersten Instanz übernimmt und den Landwirt zur Nachzahlun­g des kompletten Lohns verurteilt.

„Das wäre ein klares Signal an all jene gewesen, die in diesem Bereich Missbrauch betreiben“, sagt er. Zwar würden die meisten Landwirte ihre Erntehelfe­r gut behandeln und fair bezahlen, allerdings gebe es immer wieder auch „schwarze Schafe“, auf die ein solches Urteil eine abschrecke­nde Wirkung haben würde, findet Langenbach­er.

 ?? ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Betriebsse­elsorger Werner Langenbach­er (von links) und Levani Idadze, einer der 18 georgische­n Erntehelfe­r, bei der Verhandlun­g vor dem Arbeitsger­icht Ravensburg im Mai 2022.
ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Betriebsse­elsorger Werner Langenbach­er (von links) und Levani Idadze, einer der 18 georgische­n Erntehelfe­r, bei der Verhandlun­g vor dem Arbeitsger­icht Ravensburg im Mai 2022.

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