Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Keine Zukunft für Hirschgraben-Open-Air
Vereine bedauern und haben doch Verständnis für das Ende des Ravensburger Festivals
RAVENSBURG - Das HirschgrabenOpen-Air in Ravensburg wird nach drei Jahren eingestellt. Das noch junge Ravensburger Festival hat seit 2020 jedes Jahr im Spätsommer für eine Woche Autorenlesungen, Konzerte und Theater in den Park an der Stadtmauer gebracht. Die Idee aus dem ersten Corona-Jahr bekommt aber vorerst keine Chance, sich unter weiter normalisierten Bedingungen für Veranstaltungen weiter zu etablieren, hat das Kulturamt zusammen mit der Stadtkämmerei entschieden. Die Vereine, die die Konzerte veranstaltet haben, schwanken zwischen Bedauern und Verständnis. Denn ihnen fehlt das Geld, um weitere Flops zu verkraften.
„Das Festival wurde leider nicht so angenommen, wie wir uns das gewünscht haben“, teilte Kulturamtsleiterin Verena Müller auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit. „Und für die geringe Anzahl an Besuchenden sind Aufwand und Kosten im Verhältnis zu hoch. Sehr schade natürlich um die schöne Location in der Innenstadt.“
Die Stadt hat für die letzte Auflage laut Kulturamt 48.000 Euro für das Festival ausgegeben. Mit diesem Geld wurde die Infrastruktur im Hirschgraben geschaffen: Bühne und Stühle, Toilettenwagen, Strom und Wasser, einen Sicherheitsdienst. Als Veranstalter trat die Stadt aber nicht auf:
Das Programm gestaltete täglich jemand anderes. Vereine wie Jazztime, das Kapuziner-Kreativzentrum, die Zehntscheuer, aber auch das Stadtorchester, das Pop-Büro Oberschwaben und Buchhändler Martin Riethmüller von Ravensbuch holten Künstler aller Art nach Ravensburg.
Die Besucherzahl hat sich zwar relativ betrachtet von Jahr zu Jahr gesteigert, wie Zahlen aus dem Kulturamt zeigen. 2020 kamen zur Erstauflage durchschnittlich 71 Besucher je Veranstaltung (776 Zuschauer bei elf Veranstaltungen), im dritten Jahr waren es schon 148 Besucher je Veranstaltung (741 Zuschauer bei fünf Veranstaltungen). Trotzdem war das nicht genug.
Auf die Ausgaben der Stadt hatte der Besucherzuspruch keine Auswirkungen. Dieses Risiko trugen eher die Veranstalter, sie erhielten die Einnahmen aus dem Ticketverkauf um damit Künstler-Honorare, Reisekosten, Gema zu bezahlen. Und sie zahlten nicht selten drauf.
Zum Beispiel der Verein Jazztime, der zuletzt die bundesweit bekannte Bigband Jazzrausch nach Ravensburg geholt hat, die auch schon in der Hamburger Elbphilharmonie aufgetreten ist. Die Gagen bekannter Künstler seien entsprechend hoch, sagt der Jazztime-Vorsitzende Thomas Fuchs. Über drei Jahre seien etwa gleichbleibend wenige Besucher zu den Konzerten von Jazztime gekommen. Er spricht von etwa 130 Zuhörern. Er kann die Entscheidung des Kulturamts verstehen, das Festival nicht fortzuführen.
Warum nicht mehr Zuschauer kamen, kann er sich nicht erklären. „Die Werbung war nicht schlecht“, sagt er.
„Über den Termin am Ende der Ferien könnte man diskutieren. Aber unser Konzert war am Sonntag, da ist man aus dem Urlaub zurück.“Er schwärmt von der „superschönen Atmosphäre“im Hirschgraben, von der professionellen Technik mit tollem Licht und Sound. Er würde sich freuen, wenn die Stadt ein anderes OpenAir-Format ausprobiert.
In diese Richtung geht auch der Wunsch des Kapuziner-Kreativzentrums. „Alle Kulturakteure haben für das Hirschgraben-Open-Air toll an einem Strang gezogen, das sollte man beibehalten“, sagt der Vorsitzende Marcel Martetschläger. Das Festival sei in einer schweren Zeit geboren worden. 2022, als die Lage in der Corona-Pandemie schon besser war, war das Wetter schlecht, und das Kapziner musste sein Konzert mit der Münchner Band Raggabund kurzfristig absagen.
„Um 2023 durchzustarten, hätte man das Budget erhöhen müssen, um die Werbetrommel noch stärker zu rühren“, meint Martetschläger. Auch das Programm hätte dann noch größere Publikumsmagnete bieten müssen. Die Planungssicherheit habe seinem Verein aber gefehlt. „Wir sind finanziell nicht auf Rosen gebettet, wir können uns keinen Flop leisten“, sagt er über die Erwägung, ein viertes Festival zu veranstalten. „Wir tragen die Entscheidung des Kulturamtes mit.“
Auf die Frage, ob drei Jahre ausreichend waren, um das neue Angebot bekannt zu machen, sagt der Geschäftsführer der Zehntscheuer, Michael Borrasch: „Vielleicht hätte es noch Zeit gebraucht.“Aus seiner Sicht ist es aber ebenfalls fraglich, ob es im Sommer 2023 den zündenden Funken gegeben hätte, um das Hirschgraben-Open-Air auf eine erfolgreiche Umlaufbahn zu schießen. Schließlich habe sich das Verhalten potenzieller Zuschauer durch die Pandemie geändert und befinde sich noch immer nicht auf Vor-Krisen-Niveau.
Über die Entscheidung, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen, sagt er: „Es ist die ewige Debatte ums Geld.“Die Veranstaltung sei „natürlich nicht ganz günstig“für die Stadt, weil die Infrastruktur im Hirschgraben extra aufgebaut werden muss. Doch das Festival sei in eine Lücke im Veranstaltungskalender gefallen, die Veranstalter schon über Jahre gesehen hatten: „In Ravensburg gab es im Sommer keine Angebote mit Festivalcharakter im popkulturellen Bereich.“Borrasch erwähnt das Kulturufer in Friedrichshafen, das in diesem Bereich schon lange etabliert sei. „Alle Gäste, die da waren, fanden es schön“, sagt Borrasch und bedauert das Ende des Hirschgraben-Festivals.
Kulturamtsleiterin Verena Müller kann sich auch noch nicht ganz von dem Konzept verabschieden. Sie sagt: „Vielleicht wagen wir ja irgendwann einen neuen Anlauf.“