Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Störenfriede im Magen matt gesetzt
Bösartige Magentumore treten immer seltener auf – Welche Rolle Helicobacter-Bakterien und Antibiotika zur Vorbeugung von Krebs spielen
Wer kennt sie nicht, diese Schmerzen im oberen Bauch gleich unter den Rippen, mit denen der Organismus vor einem „verdorbenen Magen“warnt. Oft handelt es sich schlicht um die Folgen einer überreichlichen Mahlzeit und das Drücken und Zwicken verschwindet nach kurzer Zeit wieder.
Manchmal aber lassen die Schmerzen gleich nach dem Essen nach, nur um ein wenig später umso heftiger im Bauch zu toben. Die medizinische Diagnose lautet dann häufig „Gastritis“. Eine solche Entzündung der Schleimhaut in der Innenwand des Magens ist zwar sehr schmerzhaft, aber normalerweise kein Risikofaktor für Magenkrebs. Viel gefährlicher ist dagegen eine chronische Gastritis, die sich über viele Wochen und Monate hinzieht, in dieser Zeit aber häufig keine typischen Symptome und Schmerzen auslöst: In seltenen Fällen kann eine solche oft unbemerkte Entzündung viel später Magenkrebs auslösen.
In diesem Zusammenhang verbirgt sich sogar eine gute Nachricht: Hinter einer solchen Magenschleimhautentzündung steckt sehr häufig eine Infektion mit Helicobacter-pylori-Bakterien, die unter einem Mikroskop ein wenig kleinen Korkenziehern ähneln. „Bei einer solchen chronischen Gastritis hilft daher oft eine Therapie mit mehreren Antibiotika und einem Medikament, mit dem die Produktion von Magensäure gesenkt wird“, erklärt die Ärztin Susanne Weg-Remers, die den Krebsinformationsdienst im Deutschen Krebsforschungszentrum DKFZ in Heidelberg leitet.
Meist schlägt eine solche Behandlung gut an, heilt häufig das Leiden sogar und senkt so das Krebsrisiko deutlich. Allerdings gilt das natürlich nur, wenn vorher bei einer Magenspiegelung nicht nur eine Gastritis festgestellt wird, sondern auch die Helicobacter-pylori-Bakterien dingfest gemacht werden. Eine Untersuchung
größerer Teile der Bevölkerung auf diese Keime ist jedoch aus nachvollziehbaren Gründen unnötig: Weltweit haben sich rund die Hälfte aller Menschen dieses Bakterium eingefangen, in Deutschland sind bei den über 65-Jährigen rund 70 Prozent aller Frauen und sogar 90 Prozent aller Männer mit Helicobacter pylorum infiziert. Sehr viele von ihnen bemerken ihre Infektion gar nicht und noch mehr haben nie eine Magenschleimhaut-Entzündung. Vor allem aber wird bei den allermeisten Infizierten nie ein Magenkrebs diagnostiziert. Ärztin Susanne Weg-Remers
Trotzdem sind Tests auf das gefährliche Bakterium in bestimmten Fällen durchaus sinnvoll: So hängen rund zehn Prozent aller Magenkrebsfälle in Deutschland mit der Familie und dem engsten Umfeld der
Betroffenen zusammen. Ein bis drei Prozent dieser oft relativ jungen Tumorpatienten haben dabei bestimmte Varianten im Erbgut mitbekommen, die ihre Krankheit stark begünstigen. Betroffene Menschen können über die humangenetische Beratung den Verdacht auf ein erbliches Risiko untersuchen lassen. Früherkennungsuntersuchungen und vorbeugende Operationen können ihnen dann helfen. Bei den restlichen sieben bis neun Prozent gibt es möglicherweise gemeinsame Risikofaktoren im engsten Umfeld, in dem viele Infektionen mit Helicobacter pylorum existieren.
Denn offensichtlich werden diese Bakterien bei engen Kontakten zwischen Menschen in seltenen Fällen durchaus übertragen. Da solche engen Begegnungen in der Familie oder in Wohnungen sehr häufig sind, wächst natürlich das Infektionsrisiko. Und da in kleineren Wohnungen die Kontakte zwangsläufig noch häufiger und intensiver sind, steigt dort – und damit oft auch in ärmeren Kreisen – das Risiko weiter an. Wie so häufig in der Medizin ist Armut also auch hier der Gesundheit alles andere als zuträglich.
Einmal im Körper, scheinen sich Helicobacter-pylori-Bakterien gern dauerhaft einzurichten. Oft bemerken die Betroffenen davon gar nichts oder sehr wenig. Manchmal aber will das Immunsystem des Körpers diese Eindringlinge wieder loswerden. Dann schickt es Botenstoffe aus, die einen Abwehrkampf gegen diese Keime auslösen und koordinieren. Die Diagnose dieser Reaktion lautet dann Magenschleimhautentzündung.
Um die Infektion einzudämmen, geht das Immunsystem oft recht rigoros vor und tötet auch viele Zellen des eigenen Magens. Darauf ist der Organismus im Grunde durchaus eingerichtet und produziert rasch neue Zellen, die den Verlust kompensieren sollen. Auch das ist eigentlich kein Grund zur Sorge, da auch in einem gesunden Organismus immer wieder Zellen sterben, die rasch
’’ Bei einer chronischen Gastritis hilft oft eine Therapie mit mehreren Antibiotika und einem Medikament, das die Produktion von Magensäure senkt.
durch Nachfolger ersetzt werden. Nur werden jetzt viel mehr frische, junge Zellen als zu normalen Zeiten hergestellt. Bei der Produktion des Erbguts dieser Zellen passieren auf Grund enger Kontrollen und guter Sicherheitssysteme zwar extrem wenige, aber eben doch ein paar Fehler. Die allermeisten davon sind relativ harmlos.
Wenn aber wie bei einer anhaltenden Entzündung der Magenschleimheit sehr viele Zellen zugrunde gehen und durch Nachfolger ersetzt werden, häufen sich diese wenigen Fehler. Dadurch wiederum steigt das Risiko, dass Veränderungen im Erbgut entstehen, die der entscheidende Faktor beim Entstehen von Krebs sind. Zum Glück braucht es allerdings meist einige unterschiedliche Veränderungen, bevor eine Zelle vollständig entgleist und sich ein Tumor zu entwickeln beginnt. Eine solche Kombination aus sehr seltenen Veränderungen, von denen noch dazu mehrere unterschiedliche passieren müssen, erklärt gut, weshalb vor allem lang anhaltende Entzündungen der Magenschleimhaut Tumore entstehen lassen und der Krebs häufig erst im Alter auftritt.
„Dazu gibt es noch einige Faktoren, die das Magenkrebsrisiko verstärken können“, erklärt Susanne Weg-Remers. Neben dem Rauchen ist einer davon der Alkoholkonsum, der die Zellen im Magen schädigen oder eine Entzündung der Magenschleimhaut auslösen kann und so das Krebsrisiko steigen lässt. Ebenso lässt reichlich Kochsalz im Essen das Krebsrisiko ähnlich steigen wie eine Ernährung mit sehr vielen tierischen Komponenten von Quark und Butter bis zu Fleisch sowie der häufige Genuss gepökelter Speisen. Schließlich entstehen aus dem Pökelsalz im Magen
Nitrosamine, die das Erbgut verändern und dabei Krebs auslösen können. Darüber hinaus kann besonders bei übergewichtigen Menschen Sodbrennen am Übergang der Speiseröhre zum Magen eine chronische Entzündung auslösen, die langfristig in seltenen Fällen zu Krebs führt. Auch haben Personen nach einer Magenoperation ein etwas erhöhtes Risiko.
Nach diesen vielen Risiken ist es höchste Zeit für eine gute Nachricht: In den letzten Jahrzehnten ist in Mitteleuropa die Häufigkeit von Magenkrebs deutlich gesunken. „Dabei könnte die erfolgreiche Bekämpfung von Helicobacter-pylori-Bakterien und Magenschleimhautentzündungen eine wichtige Rolle spielen“, vermutet die Leiterin des Krebsinformationsdienstes Susanne Weg-Remers. Vorbeugen ist eben doch besser als heilen.