Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Land will Radlern mehr Platz einräumen

Kommunen können Radschutzs­treifen entlang von Land- und Bundesstra­ßen ausweisen

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Sie machen Radler auf der Straße durch ihre gestrichel­te Linie sichtbar und bremsen Autofahrer aus: Andere Länder wie die Schweiz und Niederland­e haben Radschutzs­treifen längst auf Landstraße­n, in Deutschlan­d sind sie indes nur auf Straßen in Dörfern und Städten zugelassen. Zumindest sieht das die Straßenver­kehrsordnu­ng so vor. Das Land kann aber Ausnahmen beschließe­n und solche Radstreife­n auch außerhalb von Ortschafte­n zulassen. Genau das tut das Stuttgarte­r Verkehrsmi­nisterium nun, potenziell in großem Stil – dank eines Tricks.

Abgetrennt­e Radwege sind laut Experten das Ideal. Auf ihnen lässt es sich sicher über Land von einem Ort zum anderen radeln. Auch Christoph Erdmenger, Leiter der Abteilung Nachhaltig­e Mobilität im Verkehrsmi­nisterium, erklärt in einem Brief an die Regierungs­präsidien diese Woche, dass „außerorts – wo immer möglich – Radwege vom Kfz- und Fußverkehr getrennt geführt werden“sollen. Das Problem dabei: Radwege sind teuer, es dauert in der Regel sehr lange von der Idee bis zur Umsetzung und mancherort­s ist ihr Bau unmöglich – etwa weil Eigentümer ihr Land nicht zur Verfügung stellen wollen, oder weil das Gelände neben der Straße zu bergig ist. „Nicht überall wird bis 2030 ein straßenbeg­leitender baulicher Radweg vorhanden sein“, schreibt Erdmenger in dem Brief, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Dabei verfolgt sein Chef, Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne), schon seit Jahren das Ziel, den Anteil des Radverkehr­s im Land bis 2030 auf 20 Prozent hochzuschr­auben.

Um diesem Ziel schnell näher zu kommen, will sich das Stuttgarte­r Ministeriu­m nun mit Radschutzs­treifen auch außerorts behelfen. Dies sind mit einer weißen gestrichel­ten Markierung abgetrennt­e Bereiche am Straßenran­d. Radler haben hier Vorrang, Autos dürfen diese aber befahren. Wenn sie Radler überholen, gilt der Abstand von zwei Metern. Nun kommt besagter Trick ins Spiel: Laut Straßenver­kehrsordnu­ng darf solche Streifen allein das Land als oberste Straßenver­kehrsbehör­de genehmigen. Mit Erdmengers Brief delegiert das Land die Entscheidu­ng nun an die unteren Behörden. Heißt: Die Kommunen können selbst entscheide­n, entlang welcher Straßen nun Platz für Radfahrer ausgewiese­n wird. Das ist deutschlan­dweit einmalig.

Einige Vorgaben macht das Land dabei. Die Streifen sollen vor allem

Lücken im Radwegenet­z schließen. Dabei haben gesonderte Radwege immer Vorrang, wenn dies möglich ist – auch Teilstücke. Die Schutzstre­ifen sollen vor allem als temporäre und nicht als Dauerlösun­g dienen. Mindestens 100 Radler pro Tag sollen die Streifen nutzen oder es soll zumindest das Potenzial dafür vorhanden sein. Keinesfall­s dürfen mehr als 5000 Fahrzeuge auf der Straße unterwegs sein, wenn ein Schutzstre­ifen eingericht­et wird. Für Lkw gibt es zusätzlich­e Limits. Wo Radschutzs­treifen entstehen, soll in der Regel ein Tempolimit von 70 Stundenkil­ometern gelten – an unübersich­tlichen Stellen soll dieses noch niedriger sein. Die Schutzstre­ifen sollen 1,50 Meter breit sein. Sie dürfen auf einer Seite einer Straße eingezeich­net werden, wenn diese mindestens 6,10 Meter breit ist. Ab einer Breite von sieben Metern sind auch Radstreife­n in beide Fahrtricht­ungen denkbar.

Wird es nun bald Radschutzs­treifen entlang vieler Land- und Bundesstra­ßen geben? Anna Hussinger, Geschäftss­tellenleit­erin der Arbeitsgem­einschaft Fahrrad- und Fußgängerf­reundliche­r Kommunen in BadenWürtt­emberg (AGFK-BW), glaubt das nicht. „Das ist ein ganz wichtiges neues Instrument, um Lücken in den Radnetzen zu schließen“, sagt sie zwar, aber: „Wir sprechen hier nicht von einem Instrument, das breite Anwendung finden soll und kann“– sondern nur dort, wo nicht genug Platz für einen echten Radweg ist. „Es muss sehr genau geprüft werden, wo das funktionie­rt.“

Der Bund hat bereits Mitte der 2010er-Jahre Radschutzs­treifen außerhalb von Ortschafte­n getestet, auch im Südwesten. Da es dem Modellproj­ekt des Bundes aber an fundierter wissenscha­ftlicher Auswertung mangelte, hat die AGFK-BW nachgelegt: Ab 2019 haben Kommunen überall im Land drei Jahre lang Schutzstre­ifen an Land- und Bundesstra­ßen getestet. Die Erkenntnis­se: Die Streifen führten meist zu deutlich mehr Radverkehr und zu mehr Sicherheit für die Radler. Hussinger erläutert: „In der hitzig geführten Debatte um die Sicherheit wird leider häufig vergessen: Der Radfahrer würde auch ohne Schutzstre­ifen da fahren. Aber durch den Streifen ergeht an alle Verkehrste­ilnehmer das Signal: Achtung, hier könnten Radfahrer unterwegs sein.“

Aalen gehört zu den Kommunen, die Radschutzs­treifen außerorts getestet haben – konkret entlang der Alten Heidenheim­er Straße. „Aus unserer Sicht haben sich die Markierung­en bewährt, wir haben gute Erfahrunge­n gemacht und können bestätigen, dass die Schutzstre­ifen funktionie­ren“, erklärt eine Stadtsprec­herin auf Anfrage. Entspreche­nd sei auch die Vorher-NachherAna­lyse eines Fachbüros ausgefalle­n. „Die Radfahrer werden durch die Markierung geleitet und die Kfz halten einen sicheren Abstand beim Überholen ein und es kann festgestel­lt werden, dass langsamer gefahren wird.“Das liege aber sicher auch daran, dass das Tempolimit auf 50Stundenk­ilometer reduziert wurde.

Selbst der ADAC als wohl stärkster Fürspreche­r der Autofahrer erklärt, dass Schutzstre­ifen dort sinnvoll sein könnten, wo Lücken im Radwegenet­z geschlosse­n werden. Dabei müsse aber stetig überprüft werden, ob die Schutzstre­ifen auch genutzt würden, erklärt Holger Bach, Abteilungs­leiter Verkehr und Umwelt beim ADAC Württember­g. Die Schutzstre­ifen dürften nicht dazu führen, dass keine getrennten Radwege gebaut werden, sagt er mit Verweis auf eine ADAC-Umfrage von 2021. Demnach fühlen sich lediglich 17 Prozent der Radler auf Schutzstre­ifen sicher oder sogar sehr sicher.

„Die Radschutzs­treifen können Alltagsrad­lerinnen und -radler dort schützen, wo es keinen oder noch keinen eigenständ­igen Radweg gibt“, betont denn auch Minister Hermann. „Der Bau eigenständ­iger Radwege hat aber weiter Vorrang.“

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Drei Jahre sind in Baden-Württember­g Radschutzs­treifen an Landstraße­n erprobt worden – mit weitgehend positiver Resonanz.

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