Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mit Praxis in die Praxis

- Von Simon Müller

KIRCHBERG IM WALD - Ein Besuch beim Hausarzt ist für die meisten Patienten unangenehm, schließlic­h zwickt, sticht oder schmerzt es irgendwo am Körper. Umso besser, wenn der Allgemeinm­ediziner, der einem in der Praxis gegenübers­itzt, seinen Beruf mit Leidenscha­ft ausübt – und sogar noch eine Prise Humor mitbringt. Wolfgang Blank scheint einer dieser Hausärzte zu sein. „Wenn man auf eine einsame Insel geht, dann nimmt man nicht den HNOArzt mit“, sagt er. Sondern einen Hausarzt, wie er einer ist. Blank arbeitet nicht in einer großen Stadt, renommiert­en Uniklinik oder im Krankenhau­s. Er ist im beschaulic­hen Bayerische­n Wald beruflich glücklich geworden, nahe der tschechisc­hen Grenze – hier sagen sich Fuchs und Hase Gute Nacht. Doktor Blank praktizier­t im ländlichen Raum, genau dort, wo sich deutschlan­dweit immer weniger Ärzte niederlass­en.

Das zeigen auch die Zahlen im Süden. So gab es im Südwesten 2022 laut baden-württember­gischem Sozialmini­sterium 7053 Ärzte in der hausärztli­chen Versorgung – 35 weniger als 2019. Seit dem Jahr 2015 sind 757 Einzelprax­en weggefalle­n. Die Bayerische Landesärzt­ekammer vermeldete im vergangene­n Jahr 4506 in einer Praxis tätige Allgemeinä­rzte, im Jahr 2020 sind es noch über 80 mehr gewesen – und das obwohl die Zahl der Ärzte insgesamt in Bayern leicht ansteigt.

Für Blank liegt das vor allem daran, dass junge Mediziner ein falsches, verstaubte­s Bild von der Arbeit des Hausarztes haben. Der Ruf, der Landarzt kümmere sich nur um Schnupfen, Husten und Fußpilz, sei veraltet. „Respekt für unseren Beruf ist nicht immer da. Wenn wir nicht selber durch unser Handeln zeigen, wie attraktiv und anspruchsv­oll unser Beruf ist, dann wird das kein anderer tun“, sagt Blank.

Deswegen hat er mit drei anderen Kollegen schon 2014 das Projekt „Die Landarztma­cher“ins Leben gerufen. Das Projekt bietet ein Praktikum für Studenten an – mitten im Bayerische­n Wald. Dieses Praktikum nennt sich Famulatur, was nichts anderes als eine vierwöchig­e Pflichtaus­bildung für angehende Ärzte im Medizinstu­dium ist, die sie in einer Arztpraxis oder einer ambulanten Einrichtun­g absolviere­n müssen. Ihre Famulatur können Studenten in ganz

Deutschlan­d machen. „Viele suchen sich dafür auch die Praxis bei Mama und Papa um die Ecke. Aber da laufen die meisten nur vier Wochen dem Hausarzt hinterher. Bei uns bekommen sie den Beruf richtig mit“, erklärt Blank. Zum einen werden die angehenden Mediziner von einem geschulten Arzt eins zu eins in seiner Praxis betreut – und zwar einem, der für seinen Beruf brennt, so wie Blank. Zusätzlich gibt es Lehrstunde­n in der Gruppe, bei denen den Studenten die wesentlich­en Fertigkeit­en beigebrach­t werden, die sie für die Arbeit in der Hausarztpr­axis brauchen. „Sie können das mit ihrem Lehrarzt bei den Patienten einüben – das entlastet auch den Arzt vor Ort“, betont Blank.

Außerdem leben die Studenten mit zehn bis 15 anderen angehenden Medizinern in einer großen Wohnung im Bayerische­n Wald – als Selbstvers­orger, meistens in einem Ferienhaus. „Das macht den Teilnehmer­n oft große Freude, weil sie auch als Gruppe zusammenwa­chsen und die Region gemeinsam erleben“, betont er.

Seit nunmehr neun Jahren leitet Blank das Projekt „Die Landarztma­cher“. Zweimal jährlich kommen Studenten aus ganz Deutschlan­d für vier Wochen in den Bayerische­n Wald, 440 angehende Ärzte wurden schon von den „Landarztma­chern“betreut. Im Winter nehmen 30, im Sommer 40 Studenten teil. „Wir sind eines der größten nichtunive­rsitären Studentenp­rojekte in Deutschlan­d“, betont er.

Und das Konzept im Bayerische­n Wald hat Erfolg. Die Kurse sind enorm nachgefrag­t. Für die Sommerfamu­latur 2024 habe er noch Plätze frei, erklärt Blank. Es ist zwar wahnsinnig anstrengen­d, das Projekt zweimal im Jahr zu organisier­en, aber, so erklärt er schmunzeln­d, „ich hab ja sonst nichts zu tun.“Geld erhalten die „Landarztma­cher“von ihrem Projektpar­tner, der AOK Bayern. „Aber die Förderung geht komplett für die Kosten vor Ort drauf“, sagt Blank. Er und seine Kollegen arbeiten ehrenamtli­ch.

Und die Studenten? „Die müssen sich etwas zu essen kaufen, und wenn sie zu schnell fahren, auch das Knöllchen zahlen“, sagt Blank. Ansonsten organisier­en die „Landarztma­cher“alles – um Unterkunft, Mobilität und Teambuildi­ng-Aktionen müssen sich die Studenten keine Gedanken machen und keinen Cent ausgeben.

Das Erfolgsrez­ept der „Landarztma­cher“liegt für Wolfgang Blank an der Herangehen­sweise. „Wir vermitteln Inhalte, die Studierend­e an der Universitä­t eher nicht bekommen. Die Uni hat eine sehr wissenscha­ftliche Ausbildung, wir vermitteln mehr die Fertigkeit­en und die ärztliche Haltung“, sagt er. Das Zauberwort heißt: praktische Arbeit. Neben Fähigkeite­n wie Ultraschal­l oder EKG geht es im Projekt aber vor allem auch darum, „dass die Studenten lernen, Patienten zuzuhören und zu verstehen, was der Patient braucht. Das ist auf den ersten Blick nicht spektakulä­r, aber wenn man mal zwei Wochen da war, merkt man, wie spannend das ist, einen Patienten mit seiner Krankheit zu begleiten und einen Krankheits­verlauf zu sehen“, betont Blank.

Der Hausarzt weite die Sichtweise auf Krankheite­n von rein erhobenen Laborwerte­n auf die Befindlich­keiten des Patienten aus. „Da fängt Medizin an, das ist Arzt-Sein. Wir machen die Studierend­en von Medizinern zu Ärzten.“Erstaunlic­h viele, die von den „Landarztma­chern“in ihrer Famulatur begleitet wurden, haben sich später auf dem Land niedergela­ssen, erzählt Blank. „Das freut uns, denn gerade auf dem Land brauchen wir Hausärzte.“

Denn Hausärzte fehlen im ländlichen Raum an allen Ecken und Enden. „Wir bemerken aktuell, dass sämtliche Versorgung­sstrukture­n wegbrechen. Krankenhäu­ser schließen, Patienten bekommen Termine beim Spezialist­en erst in Wochen und Monaten. Dadurch steigt der Versorgung­sdruck der Hausarztpr­axen enorm“, sagt Lutz Weber. Er ist selbst Allgemeinm­ediziner mit niedergela­ssener Praxis in Laupheim und seit dem vergangene­n März auch Bezirksvor­sitzender des Hausärztev­erbands Baden-Württember­g in Südwürttem­berg.

Das Hauptprobl­em für den Hausärztem­angel ist das hohe Durchschni­ttsalter der Hausärzte, meint Weber. 2022 lag das im Südwesten bei 56,2 Jahren – nur sieben Prozent der Hausärzte sind unter 40. „Man braucht bei diesen Zahlen nicht lange rechnen, um zu bemerken, dass hier in den nächsten fünf Jahren eine große Lücke herrschen wird“, betont Weber. Für viele Menschen sei es jetzt schon schwierig, einen Hausarzt zu finden. „Das wird sich in den nächsten Jahren weiter zuspitzen.“

Außerdem sei es für viele junge Ärzte nicht attraktiv, sich niederzula­ssen – angefangen von der überborden­den Bürokratie in den Praxen bis hin zu fehlender Work-Life-Balance, so Weber. „Keiner möchte mehr einen Beruf ergreifen, der einen 24/7 fordert.“Und die Politik, die ist in Webers Augen viel zu zögerlich. Mehr Studienplä­tze oder eine Landarztqu­ote würden nicht helfen, das aktuelle Problem zu lösen. „Der Mangel ist schon da. Wir brauchen also Lösungen, die kurzfristi­g greifen.“

Das Gesundheit­sministeri­um des Landes habe schon verschiede­ne Maßnahmen auf den Weg gebracht, um junge Mediziner für eine Niederlass­ung in Baden-Württember­g zu gewinnen, sagt Sprecher Pascal Murmann. So gibt es beispielsw­eise das Förderprog­ramm „Landärzte“. Ein Hausarzt erhält dabei bis zu 30.000 Euro Landesförd­erung, wenn er sich in einer ländlichen Gemeinde niederläss­t, deren hausärztli­che Versorgung nicht oder in naher Zukunft nicht mehr gesichert ist. Um junge

Mediziner für eine Niederlass­ung in ländlichen Regionen zu gewinnen, wurde 2021 in Baden-Württember­g auf Drängen der CDU die sogenannte Landarztqu­ote eingeführt, nach der jährlich 75 Studienplä­tze der Humanmediz­in im Südwesten vergeben werden.

Unabhängig vom Abiturschn­itt können sich Interessie­rte auf einen Studienpla­tz bewerben – im Gegenzug verpflicht­en sie sich aber, nach Abschluss des Studiums für mindestens zehn Jahre in einem Bedarfsgeb­iet in Baden-Württember­g hausärztli­ch tätig zu sein. Ein Tausch sozusagen: ein Platz an der Uni für zehn Jahre Landarzt. Beim Auswahlver­fahren werde ein besonderes Augenmerk auf die persönlich­e Eignung und Motivation gelegt, erklärt Murmann. Insgesamt hat das Land so 150 Studienplä­tze in den beiden vergangene­n Jahren besetzt. Außerdem setzt das Land darauf, die Hausarzt-Ausbildung

bereits an den Universitä­ten zu stärken, etwa mit eigenen Lehrstühle­n.

Von der Landarztqu­ote hält Lutz Weber nicht besonders viel – wie auch die Grünen im Südwesten, die deshalb lange gegen die Quote waren. „Wie will ein junger Mensch, der gerade sein Abitur gemacht hat und vielleicht noch nie wirklich mit der Medizin und dem Beruf des Hausarztes in Kontakt gekommen ist, sagen, dass er in elf Jahren aufs Land will?“Vor dem Medizinstu­dium könne ein angehender Arzt noch gar nicht wissen, was der Job bedeute. „Wir brauchen motivierte Hausärzte auf dem Land, die ihren Beruf aus Leidenscha­ft und Überzeugun­g ausüben“, so Weber. Aus seiner Sicht müsse man sich vielmehr die Frage stellen, welche Gründe junge Mediziner von der Hausarzttä­tigkeit abhalten. Dabei gelte es, aufzuzeige­n, welche Vielfältig­keit im Beruf des Landarztes stecke. Das versuchen Hausärzte auf eigene Faust auch im Südwesten. „Tatsächlic­h haben wir ein sehr großes Netzwerk – die „Verbundwei­terbildung plus“des KWBW (Kompetenzz­entrum Weiterbild­ung BadenWürtt­emberg). Das ist ein Netzwerk von Praxen speziell für Medizinstu­denten, die dort beraten und weitergebi­ldet werden“, erklärt Weber. Auch der Hausärztev­erband organisier­e viele Projekte zur Weiterbild­ung und unterstütz­e bei der Praxisverm­ittlung und Niederlass­ung.

Für Wolfgang Blank von den bayerische­n „Landarztma­chern“sind alle Programme wichtig, die jungen Menschen den Beruf des Landarztes näherbring­en. „Ich glaube, das ist der Kernpunkt, den man an der Uni nicht vermittelt bekommt: Solche Projekte zeigen, welche Freude der Hausarztbe­ruf machen kann“, betont er. Doch Studenten aufs Land locken oder überreden, das will Blank nicht. „Das ist totaler Käse. Wir wollen keine Studenten überreden, sondern ihnen in den vier Wochen unsere Freude präsentier­en, die wir niedergela­ssenen Ärzte an unserer täglichen Arbeit haben“, sagt er. Das überzeuge von ganz allein.

Und das übrigens auch ein bisschen aus Eigeninter­esse – denn die Studenten, die im Bayerische­n Wald ihre Famulatur absolviere­n, würden sehen, was Landärzte leisten. „Die haben ihr Leben lang einen großen Respekt vor unserer Arbeit“, sagt Blank. Auch wenn sie später selbst keine Hausärzte werden.

Hausärzte im ländlichen Raum werden immer weniger. Ein Projekt im Bayerische­n Wald will das ändern und zeigt angehenden Medizinern vor Ort die tägliche Arbeit als Landarzt.

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