Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Auf Rohstoff-Reise
Bei seinem Besuch in Südamerika verfolgt Bundeskanzler Scholz vor allem wirtschaftliche Interessen
BOGOTA (KNA) - Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) reist am Samstag auf der Suche nach neuen Partnern nach Lateinamerika. Bei der bis Dienstag dauernden Reise bekommt er die ganze Bandbreite des Spektrums der politischen Linken zwischen Anden und Amazonas zu Gesicht.
In Chile trifft er mit dem jungen Präsidenten Gabriel Boric zusammen, der für einen neuen Typus Linkspolitiker steht. Der ehemalige Studentenführer hat sich entschieden, Menschenrechtsverletzungen offen anzusprechen, egal wo sie passieren – auch in den drei Linksautokratien Kuba, Venezuela und Nicaragua.
In Brasilien kommt es dann zu Gesprächen mit Lula da Silva, der für den alten Präsidententyp steht, der sich beim Gipfeltreffen der Lateinamerika-Staaten CELAC für Loyalität zu den Linksautokratien entschied.
Eines aber eint die Präsidenten Boric, Lula und Argentiniens Alberto Fernandez, mit denen Scholz zusammentreffen wird: Sie haben versprochen, die Menschenrechte der indigenen Bevölkerungen in ihren Ländern zu stärken. Dazu will auch die
Bundesregierung ihren Teil beitragen. „Es ist ein starkes Statement der neuen Regierung, ein Ministerium für indigene Angelegenheiten zu schaffen. Ein Statement für eine inklusive und gerechte Gesellschaft, in der alle Menschen Gehör finden und in der die Lebensgrundlagen aller Bevölkerungsgruppen respektiert werden“, sagt Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD), die in Brasilien am Rande des Scholz-Besuches unter anderem mit der Ministerin für indigene Völker, Sonia Guajajara, zusammentreffen wird. Derweil geht es nicht nur um die Stärkung demokratischer Strukturen in Südamerika, sondern auch um handfeste wirtschaftliche Interessen. Im sogenannten Lithium-Dreieck Argentinien, Bolivien, Chile schlummert mehr als die Hälfte des weltweiten Aufkommens. Der Rohstoff ist wichtig für die Produktion von Akkus für die E-Mobilität oder in Smartphones. Anders als China oder die USA hat die Auto-Nation Deutschland in der Region bislang über interessante Projekte hinaus keinen wirklichen Fuß in der Tür und läuft der Entwicklung hinterher.
Auf einen neuen Aufbruch in der Zusammenarbeit hofft auch Jochen Hellmann, Leiter des Deutschen Akademischen-Austauschdienstes (DAAD) in Brasilien. „Umwelt und erneuerbare Energie sind Themen, denen in Deutschland höchste Priorität eingeräumt wird. Brasilien mit seinen immensen natürlichen Ressourcen und seiner schon heute stark auf erneuerbare Stromgewinnung fokussierten Energiepolitik bietet reichlich Möglichkeiten zur Kooperation“, sagte er.
Auch deshalb haben sich nach Scholz weitere prominente Politiker angesagt: Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) kommen in Kürze ebenfalls erstmals nach Südamerika. In Argentinien trifft Scholz auf Präsident Alberto Fernandez, der sich zuletzt sogar von Papst Franziskus Kritik anhören musste. Er wolle sich zwar nicht in das politische Tagesgeschäft einmischen, sagte das Kirchenoberhaupt aus Argentinien im Interview der Nachrichtenagentur Associated Press, um dann doch zu einem Rundumschlag auszuholen: „Im Jahr 1955, als ich meinen Schulabschluss machte, lag die Armutsquote in Argentinien bei fünf Prozent.“Inzwischen sei rund jeder zweite Argentinier von Armut betroffen. Hinzu komme das hohe Inflationsniveau. „Was ist passiert? Schlechte Verwaltung, schlechte Politik.“
Fernandez beantwortete die Kritik mit einer kleinen Geschichtsstunde: Während der Regierungszeit von Juan Peron (von 1946 bis 1955 und von 1973 bis 1974), auf die der Papst anspielte, sei die argentinische Realität eine andere gewesen. Die folgenden diktatorischen Regierungen seien von einer liberalen und einer konservativen Logik geleitet worden. Sie seien für den Zustand des Landes verantwortlich. Ob das die argentinischen Wähler auch so sehen, wird sich bei der Präsidentschaftswahl im Laufe dieses Jahres zeigen.