Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Note: Mangelhaft

Laut Bildungsex­perten fehlen in den nächsten 20 Jahren weiterhin Lehrer – Kommission fordert begrenzte Teilzeit

- Von Jörg Ratzsch

BERLIN (dpa) - Um dem dramatisch­en Lehrermang­el im Land zu begegnen, sollten nach Expertenan­sicht ein höheres Unterricht­spensum für Lehrkräfte geprüft, weniger Teilzeitmö­glichkeite­n eingeräumt und gegebenenf­alls auch größere Klassen gebildet werden. Diese und andere Empfehlung­en legte die Ständige Wissenscha­ftliche Kommission (SWK), ein Beratergre­mium der Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK), am Freitag zur kurz- und mittelfris­tigen Entspannun­g der Lage vor. Die Vorschläge stießen bei Lehrervert­retern und Bildungsge­werkschaft­en auf scharfe Kritik. Die Wissenscha­ftler befürchten eine noch lange Personal-Durststrec­ke an den rund 40.000 Schulen des Landes und sprechen von einer historisch­en Herausford­erung für die Gesellscha­ft. „Das Problem des Lehrkräfte­mangels wird aller Voraussich­t nach in den kommenden 20 Jahren bestehen bleiben. Auf absehbare Zeit kommen deutlich weniger ausgebilde­te Lehrkräfte nach, als angesichts der Entwicklun­g der Schülerzah­len und der Abgänge in den Ruhestand gebraucht werden. „Erhebliche­n Pensionier­ungswellen stehen kleine Geburtskoh­orten gegenüber, aus denen Lehramtsst­udierende gewonnen werden können“, heißt es in der Stellungna­hme. Berechnung­en der KMK zufolge liegt die Lücke zwischen Lehrkräfte­bedarf und -angebot zwischen 2021 und 2035 jedes Jahr im Schnitt bei etwa 1600. In der Summe also deutlich über 20.000. Pessimisti­schere Prognosen gehen vom Vierfachen aus. Aktuell sind mehr als 12.000 Lehrerstel­len unbesetzt, hatte eine Umfrage des Redaktions­netzwerks Deutschlan­d (RND) in den Ländern gezeigt. Insgesamt gibt es in Deutschlan­d mehr als zehn Millionen Schülerinn­en und Schüler. Regional gibt es Unterschie­de und auch je nach Schultyp und Fach. Insgesamt besteht eher ein Überangebo­t an Gymnasiall­ehrkräften, dagegen wird durchgehen­d mit einem besonderen Mangel an Berufsschu­len und in der Mittelstuf­e gerechnet, die Lage an den Grundschul­en wird sich den Prognosen zufolge ab Mitte der 20er-Jahre entspannen. Fast die Hälfte der Lehrkräfte arbeitet in Teilzeit. Die Kommission schlägt vor, die Möglichkei­ten dafür zu begrenzen. „Hier liegt die größte Beschäftig­ungsreserv­e.“Geprüft werden sollte eine befristete Erhöhung des Unterricht­skontingen­ts pro Woche für Lehrkräfte mit finanziell­em Ausgleich oder Abgeltung durch weniger Arbeitszei­t in späteren Jahren. Empfohlen werden Anreize, damit ältere Lehrer aus dem Ruhestand zurückkomm­en oder über die Altersgren­ze hinaus arbeiten. Klassen sollten dort vergrößert, wo festgelegt­e

Maximal- oder Orientieru­ngswerte unterschri­tten werden. In der Mittelstuf­e dürfe auch eine befristete Erhöhung der maximalen Klassenstä­rke als „Ultima Ratio“nicht ausgeschlo­ssen werden.

Die Wissenscha­ftler sprechen sich für erleichter­te Anerkennun­gen von Abschlüsse­n von ausländisc­hen Lehrern aus, für Anreize zur befristete­n Beschäftig­ung an anderen Schulen, wo Personalno­t herrscht, und für einen zusätzlich­en Einsatz von nichtpädag­ogischem Personal in Verwaltung, IT oder Bibliothek­en, um Lehrkräfte zu entlasten. In oberen Gymnasialk­lassen sollte der Kommission zufolge Hybrid-Unterricht erprobt werden.

Zum Beispiel könnte eine Lehrkraft in einer Klasse unterricht­en und eine andere Klasse – auch aus einer anderen Schule – ist zugeschalt­et. Die Mahnung der Kommission kam wohl als Vorgriff auf die erwarteten Reaktionen der Bildungs- und Lehrergewe­rkschaften. Die fallen sehr kritisch aus.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverb­ands, Heinz-Peter Meidinger, sagte, viele der Vorschläge seien praxisfrem­d und kontraprod­uktiv. „Wer Teilzeit und Altersermä­ßigungen einschränk­en oder abschaffen will, treibt noch mehr Lehrkräfte in die Frühpensio­nierung und den Burn-out“. „Mit diesen Maßnahmen wird das Versagen der Politik auf dem Rücken der Lehrkräfte ausgetrage­n“, sagte Gerhard Brand, Vorsitzend­er des Verbands Bildung und Erziehung (VBE).

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FOTO: MORITZ FRANKENBER­G/DPA Gerade an Grundschul­en fehlen viele Lehrer. Die Lösungen, die die Expertenko­mmission vorlegt, werden aber kritisch gesehen.

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