Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Tödlicher Messerangr­iff hat ein Nachspiel

Attacke im Zug beschäftig­t die Justiz – Umgang mit mutmaßlich­em Täter wirft Fragen auf

- Von Martin Fischer, Sönke Möhl und Bernhard Sprengel

BROKSTEDT (dpa) - Die tödliche Messeratta­cke in einem Regionalzu­g im schleswig-holsteinis­chen Brokstedt und der Umgang der Behörden mit dem mutmaßlich­en Täter haben ein parlamenta­risches Nachspiel. Der Justizauss­chuss der Hamburgisc­hen Bürgerscha­ft wird sich in der kommenden Woche mit dem Fall befassen. In Düsseldorf soll der Rechtsauss­chuss des nordrhein-westfälisc­hen Landtags zu einer Sondersitz­ung zusammenko­mmen. Das Motiv des Tatverdäch­tigen ist unterdesse­n weiter unklar.

Ibrahim A., ein 33 Jahre alter staatenlos­er Palästinen­ser, war in der Vergangenh­eit sowohl in NRW als auch in Hamburg mit Gewaltdeli­kten aufgefalle­n. Erst eine Woche vor der Bluttat im Regionalzu­g war er in Hamburg aus der Untersuchu­ngshaft freigekomm­en.

Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) hatte am Donnerstag diesbezügl­ich bereits Fragen aufgeworfe­n. Auch müsse geklärt werden, „warum Menschen, die so gewalttäti­g sind, noch hier in Deutschlan­d sind“, hatte sie bei einem Besuch in Brokstedt gesagt. Hamburgs Justizsena­torin Anna Gallina (Grüne) hat angekündig­t, am kommenden Donnerstag im Justizauss­chuss zu den Hamburger Aspekten der Tat zu berichten.

Die Fraktionen von SPD und FDP in NRW betonen in ihrem Antrag für eine Sondersitz­ung des Rechtsauss­chusses am kommenden Dienstag, dass A. „ein justizbeka­nnter Mehrfachst­raftäter“sein soll, der in der Vergangenh­eit „insbesonde­re auch in Nordrhein-Westfalen bereits in erhebliche­m Maße auffällig geworden sein soll“. Sie erwarten von der Landesregi­erung „einen umfassende­n schriftlic­hen Bericht zu den Tatvorwürf­en und den Strafverfa­hren, die gegen den mutmaßlich­en Täter in der Vergangenh­eit in Nordrhein-Westfalen aktenkundi­g geworden sind“.

Seit seiner Einreise nach Deutschlan­d 2014 wurden gegen A. mindestens elf Ermittlung­sverfahren eingeleite­t, darunter wegen Körperverl­etzung, Bedrohung, Diebstahls und Drogendeli­kten. Viermal wurde er verurteilt, davon dreimal rechtskräf­tig. Auch zuletzt hatte er wegen eines Messerangr­iffs in Hamburg ein Jahr in Untersuchu­ngshaft gesessen.

Zu den Vernehmung­en des Tatverdäch­tigen wurden keine weiteren Einzelheit­en bekannt. Schon am Donnerstag hatte sich A. nach Angaben von Schleswig-Holsteins Innenminis­terin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) nicht geäußert, sodass man keine Rückschlüs­se auf sein Motiv habe ziehen können. Daran änderte sich – soweit bekannt – auch am Freitag nichts.

Der Verteidige­r des Mannes schloss indes ein terroristi­sches Motiv seines Mandanten aus. „Ich gehe sicher davon aus, dass er kein politische­s oder religiöses oder terroristi­sches Motiv in sich trägt“, sagte

Rechtsanwa­lt Björn Seelbach. Für möglich halte er hingegen, dass der 33-Jährige bei der Tat wütend und außer sich war. Er könne auch psychisch krank sein oder unter dem Einfluss von Drogen gestanden haben.

Außerdem kritisiert­e Seelbach auch die Haftentlas­sung seines Mandanten. Es wäre „besser gewesen, man hätte ihn auf die Entlassung vorbereite­n können“, sagte der Rechtsanwa­lt dem Magazin „Der Spiegel“.

Seelbach zeigte sich von der Entscheidu­ng der Justiz überrascht, seinen Mandanten wenige Tage vor der Tat aus einer Untersuchu­ngshaft wegen eines früheren Körperverl­etzungsdel­ikts zu entlassen. Da der 33Jährige staatenlos­e Palästinen­ser vor seiner Inhaftieru­ng in Hamburg obdachlos gewesen sei, „stand er jetzt auf der Straße“, sagte er. Sein Mandant habe keine Angehörige­n in Deutschlan­d.

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FOTO: DANIEL BOCKWOLDT/DPA Kerzen und Blumen stehen und liegen im Bahnhof Brokstedt in einem Wartehäusc­hen.

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