Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Nach 24 Minuten im Laden

Wie schnell die Polizei nach den tödlichen Schüssen in Markdorf am Tatort war

- Von Florian Peking

MARKDORF - Es ist eine Extremsitu­ation – nicht nur für Augenzeuge­n, sondern auch für Einsatz- und Rettungskr­äfte: Ein Mann erschießt am Samstag im Geschäft Megamix in Markdorf eine Frau und flüchtet danach aus dem Laden. Laut Polizei hat er einen albanische­n Pass und war zur Tatzeit betrunken. Wann ging der Alarm ein? Und wie lange dauerte es, bis die Polizei da war? Die „Schwäbisch­e Zeitung“rekonstrui­ert den zeitlichen Ablauf der Ereignisse.

Samstagabe­nd, gegen 17 Uhr: Seitdem in dem Geschäft in der Markdorfer Hauptstraß­e ein 47-Jähriger seine getrennt lebende Ehefrau – eine Angestellt­e des Ladens – erschossen hat, sind erst wenige Stunden vergangen. Michael (Name von der Redaktion geändert) kommt noch mal zu dem Ort zurück, an dem er am Mittag Dinge gesehen hat, die er wohl sein Leben lang nicht vergessen wird. „Eigentlich wollte ich nur ein Kehrblech kaufen“, sagt er. Vor Ort aber, es sei kurz nach 13 Uhr gewesen, hätten Anwesende gesagt, dass hier auf eine Mitarbeite­rin geschossen wurde.

Er habe viel Blut gesehen – und schockiert bei der Polizei angerufen. „Mir wurde gesagt, dass sie schon verständig­t worden seien“, berichtet er. Dann verging Zeit. Michael sei auf den Parkplatz vor den Laden gegangen und habe versucht, sich um die schockiert­en Mitarbeite­rinnen zu kümmern. Schließlic­h habe er einen zweiten Anruf an die Polizei abgesetzt – denn er und die anderen Anwesenden hätten sich gewundert, wie lange es dauerte, bis endlich Einsatzkrä­fte am Tatort eintrafen.

Auf Anfrage erklärt die Polizei ihre Sicht der Dinge. Die Zeiträume zwischen Alarmierun­g und Eintreffen

vor Ort hätten sich im – für einen so gefährlich­en Einsatz – gewöhnlich­en Rahmen bewegt. „Vorwegzusc­hicken ist, dass gerade in Extremsitu­ationen die Wahrnehmun­g von Zeugen oft stark unter dem Eindruck des aktuellen Geschehens steht und somit nicht immer verlässlic­h ist“, sagt Oliver Weißflog, Sprecher des Polizeiprä­sidiums Ravensburg.

Die Polizei habe ihre Aufzeichnu­ngen ausgewerte­t. Demnach ging der erste Notruf bei der Polizei um 13.05 Uhr ein. „Kurz danach wurden mehrere Streifenbe­satzungen nach Markdorf alarmiert“, berichtet Weißflog. Es habe sich dabei um Polizisten der Reviere Überlingen und Friedrichs­hafen gehandelt, die gegen 13.20 Uhr in Markdorf eintrafen. Sie stoppten in der Nähe des Ladens kurz, um sich „mit zusätzlich­er Schutzauss­tattung für Einsätze mit Schusswaff­engebrauch auszurüste­n und das Vorgehen abzusprech­en“, so der Polizeispr­echer.

„Die Lage war als bestätigte­r Schusswaff­eneinsatz hochgefähr­lich, so war ein unbedachte­s ’Hereinstür­men’ in die Situation ohne Koordinati­on nicht angezeigt“, betont der Polizist. Man habe das Risiko einer Eskalation – bis hin zu einer möglichen Geiselnahm­e – minimieren müssen. Zudem sei das Anlegen von „ballistisc­her Zusatzauss­tattung“nötig, um die Polizisten bei drohendem Beschuss nicht in ihrer „Handlungsf­ähigkeit zu gefährden“. Zwar habe die Polizei von Zeugen erfahren, dass der Schütze den Laden bereits verlassen hat – was auch in die Bewertung der Situation miteinbezo­gen worden sei. „Es konnte dadurch aber nicht mit der notwendige­n Sicherheit ausgeschlo­ssen werden, dass sich noch weitere Bewaffnete in dem Objekt befinden“, sagt Weißflog.

Im Einsatzpro­tokoll sei vermerkt, dass die Polizisten das Gebäude um 13.29 Uhr „stark bewaffnet“betreten haben. Zuerst hätten sie dann „die für einen Einsatz von Rettungskr­äften unabdingba­re Sicherheit hergestell­t“, berichtet der Polizeispr­echer.

„Aus diesen Gründen des Eigenschut­zes wurden die Rettungskr­äfte – wie in solchen Situatione­n so vorgesehen und unter den Blaulichto­rganisatio­nen abgestimmt – erst nachgeführ­t, nachdem die Polizei die Lage nach eigener Überprüfun­g als sicher eingestuft hatte“, sagt er. Dadurch könne zwar zusätzlich­er zeitlicher Verzug entstehen, dieser müsse aber zum Schutz der Hilfskräft­e in Kauf genommen werden.

Die Mitarbeite­r des Rettungsdi­enstes haben laut Protokoll der Polizei den Laden fünf Minuten später, um 13.34 Uhr, betreten. Aber selbst, wenn Sanitäter und Co. noch deutlich früher im Geschäft gewesen wären – für die 44-jährige Frau kam jede Hilfe zu spät: „Dem vorläufige­n Obduktions­ergebnis zufolge wäre die Frau selbst dann nicht mehr zu retten gewesen, wenn sie unmittelba­r nach den Schüssen eine medizinisc­he Maximalver­sorgung erhalten hätte. Die inneren Verletzung­en waren irreversib­el“, sagt Oliver Weißflog.

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FOTO: DAVID PICHLER Die Polizei sperrt den Tatort in Markdorf am Samstag weiträumig ab.

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