Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Opfer einer fast vergessenen Krankheit
Leprakranke wurden jahrzehntelang in Ländern wie Japan von der Gesellschaft ausgesondert – An diesem Sonntag ist Welt-Lepra-Tag
TOKIO (dpa) - Yasuji Hirasawa wird jenen Tag im Dezember 1941, an dem er in eine Lepra-Kolonie zwangseingewiesen wurde, nie vergessen. „Es war kalt und es wehte ein starker Wind“, erinnert sich der 1927 geborene Japaner. Mit 13 Jahren hatte man bei ihm Lepra diagnostiziert. „Uns wurde gesagt, das sei eine Krankheit, die Menschen bekommen, die schlechte Dinge tun. Eine göttliche Strafe“, erzählt der heute greise Mann in einem auf YouTube festgehaltenen Video vor Schulkindern. „Man behandelte uns wie Hunde und Katzen.“
Hirasawa wurde fern seiner Heimat Ibaraki ins „Tama Zenshoen“in Tokio weggesperrt, eine von 13 „Sanatorien“genannten Lepra-Kolonien. Jahrzehntelang lebten er und andere Betroffene isoliert und geächtet vom Rest der Bevölkerung. Es war „wie ein Gefängnis“, ohne die Möglichkeit auf Entlassung. Männer wie Hirasawa durften nur heiraten, wenn sie sich sterilisieren ließen. Wurde eine Frau doch schwanger, musste sie abtreiben. Viele änderten ihre Namen, damit ihre Angehörigen keine Nachteile im Beruf oder bei Heirat hatten.
Japans Staat und seine Gesellschaft haben Menschen wie Hirasawa zu Aussätzigen gemacht. Stigmatisiert bis an ihr Lebensende – und noch darüber hinaus. Obgleich 1941 das erste Medikament zur Behandlung entwickelt worden war, hatte Japans Regierung zwölf Jahre später ein Gesetz zur Zwangsisolation der Leprakranken von 1907 verschärft. Erst 1996 wurde es abgeschafft.
2001 erklärte ein Gericht die jahrzehntelange Isolationspolitik des Staates für verfassungswidrig. „Endlich wurden wir als Menschen anerkannt“, sagt Hirasawa. Japans Regierung entschuldigte sich daraufhin und begann mit Unterstützungszahlungen, sofern die Betroffenen darauf klagten. Doch viele sahen davon ab, da sie fürchteten, dass ihre Krankheit öffentlich wird. 2019 beschloss die Regierung, auch Angehörige von Lepra-Patienten zu entschädigen.
Eine in Europa als ausgerottet geltende und eigentlich leicht heilbare Krankheit sorgt also weltweit weiterhin für Leid und Behinderungen: Lepra. Anlässlich des Welt-Lepra-Tages am 29. Januar weist die Deutsche Lepraund Tuberkulosehilfe (DAHW) darauf hin, dass die Krankheit auch seelisches Leid verursacht, etwa durch Stigmatisierung und Diskriminierung. Viele Erkrankte bekämen zum Beispiel keine Arbeit oder Unterkunft.
Lepra gehört nach bisherigen Erkenntnissen zu den ältesten menschlichen Krankheiten überhaupt. Sie wird von Bakterien verursacht und lässt sich mit Antibiotika gut behandeln. Laut WHO erkranken weiterhin jährlich etwa 200.000 Menschen, vor allem in Indien und Brasilien. Wichtig ist eine frühzeitige Behandlung, um leprabedingte Behinderungen zu verhindern. Unbehandelt kann die chronische Infektion zu schweren körperlichen Behinderungen und schweren Haut-, Augen- und Nervenschädigungen führen. Die Todesrate ist gering, aber laut DAHW leben weltweit zwei bis drei Millionen Menschen mit leprabedingten Behinderungen. „Wie überall auf der Welt sind nicht nur die Lepra-Erkrankten, sondern auch ihre Familien von Vorurteilen und Diskriminierung betroffen“, beklagt Nao Hoshino, Direktorin des auf Betreiben der Betroffenen entstandenen nationalen Lepra-Museums, das unweit des „Tama Zenshoen“als Erinnerungs- und Aufklärungsstätte dient.
Als das Isolationsgesetz in Japan abgeschafft wurde, lebten noch rund 5400 Menschen in den Lepra-Kolonien des Inselreiches. Viele Betroffene, darunter auch Hirasawa, blieben auch danach dort, viele aus Angst vor der andauernden Diskriminierung. Andere versuchten, sich wieder in Japans Gesellschaft einzugliedern, doch kehrten sie am Ende oft wieder in die Kolonien zurück. „Das Durchschnittsalter der 927 dort heute noch lebenden Menschen beträgt 87,6 Jahre“, erklärt Hoshino.
Nur wenige der einst an Lepra Erkrankten sind bereit, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Einer, für den der Kampf gegen Diskriminierung und Vorurteile zur Lebensaufgabe wurde, ist Hirasawa. Die Hoffnung des greisen Japaners ruht auf der jungen Generation. So hat das Lepra-Museum einige seiner in YouTube-Videos festgehaltenen Auftritte zum Beispiel vor Schulkindern auf der Museums-Webseite verlinkt. Dort erzählt er von jahrzehntelangem Leiden, klärt auf und appelliert an die Zuhörer, gesellschaftliche Missstände in Japan zu beenden.
Die Begegnungen dort geben manchen der noch lebenden Bewohner der einstigen Lepra-Kolonien ein klein wenig Hoffnung, dass sich Japans Gesellschaft ändert. Für die meisten Betroffenen kommt das rechtliche und gesellschaftliche Umdenken jedoch zu spät. Selbst nach dem Tod bleibe ihnen eine Beisetzung in der Heimat verwehrt. „Einzig der Rauch“aus den Krematorien, so erzählt Hirasawa, könne heimkehren.