Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Im Rausch der Orchesterfarben
Das Royal Philharmonic Orchestra, Vasily Petrenko und Pianist Jan Lisiecki begeistern im GZH
FRIEDRICHSHAFEN - Ein britisches Spitzenorchester, ein herausragender Solist, ein renommierter Dirigent und Klangfarben aus England, Norwegen und Russland lockten am Mittwochabend zu einem umjubelten Konzert ins voll besetzte GZH: Das Royal Philharmonic Orchestra (RPO) London ist mit seinem Chefdirigenten Vasily Petrenko und dem kanadischen Pianisten Jan Lisiecki derzeit auf Deutschlandtournee und präsentierte das farbenreiche Klavierkonzert von Edvard Grieg und die gewichtige fünfte Symphonie von Sergej Prokofjew.
Der 46-jährige Vasily Petrenko ist nach seiner Ausbildung in Russland früh nach England gegangen, hat 15 Jahre das Royal Liverpool Orchestra und ebenso das Oslo Philharmonic Orchestra geleitet. Seit vergangener Saison ist der jugendlich wirkende Dirigent mit der plastischen Körpersprache Chef des RPO. Seine Engagements in Russland lässt er wegen des Krieges derzeit ruhen, für die russische Musik aber ist er, wie das Konzert zeigte, ein leidenschaftlicher Botschafter. Das Konzert wurde eröffnet mit einer Ouvertüre „Die Wespen“von Ralph Vaughan Williams. Auch wenn die Streicher und Bläser um die Wette zu schwirren scheinen, ist das für das gesamte Orchester effektvolle Stück des Engländers kein Naturgemälde, sondern Schauspielmusik zu einer Komödie von Aristophanes: ein prächtiger Einstieg!
Mit 27 Jahren wirkt Jan Lisiecki, der kanadische Pianist mit polnischen Wurzeln, immer noch schlaksig und jugendlich, eng verbunden mit dem Orchester, dem Dirigenten und natürlich der herrlichen Musik von Grieg. Sein Spiel ist kraftvoll in den mächtigen Passagen, dabei stets rund und leuchtend, ohne zu knallen. Zur pianistischen „Pranke“kommt die wunderbare Anschlagskultur in den leisen Passagen, den zauberisch gnomenhaften Episoden oder dem feinen Gespinst des langsamen Satzes. Der romantische Geist in seinem
Wechsel von Empfindung und brausendem Sturm entsteht bei Lisiecki ganz natürlich; Petrenko trägt ihn mit dem vollen Orchester oder der Poesie einzelner Soloinstrumente. Aus temperamentvollem Springtanz entwickelt sich schließlich ein mit breitem Pinsel dargebotenes mitreißendes Finale, auf das der Solist in der Zugabe mit dem fein gesponnenen cis-Moll-Nocturne von Chopin antwortet.
Das vielschichtige Hauptwerk nach der Pause ist Sergej Prokofjews fünfte Symphonie aus dem Jahr 1944, die positive Stimmung, aber auch Zerrissenheit und Tragik widerspiegelt. Petrenko arbeitet mit seinem Orchester die großen Linien und Themen heraus, die hymnischen Explosionen, das wilde Pulsieren und Säbelrasseln, aber auch die herzzerreißende Lyrik im langsamen Satz. Das Orchester wird für ihn zum Instrument, auf dem er souverän alles ausschöpfen kann. Wie selbstverständlich der Klangkörper musiziert, zeigt sich in der Khatchaturian-Zugabe, wenn Petrenko zu seinen Schlagzeugern wandert und selbst mit der Schellentrommel wirbelt – wie magisch verbunden mit seinem Konzertmeister!