Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Die jetzige Version flunkert munter drauf los“
Die Software ChatGPT sorgt weltweit für Furore – Doris Weßels, Expertin für Künstliche Intelligenz, erklärt, wie diese funktioniert und wo ihre Grenzen sind
Frau Professor Weßels, ChatGPT ist derzeit in aller Munde. Verstehen Sie den Hype um dieses Softwareprogramm?
Ja, das kann ich nachvollziehen. Denn es gibt so ein paar Besonderheiten: Erstens, dass es bis heute kostenlos ist. Zweitens, man kann sich einfach mit Handynummer und Mailadresse registrieren und landet dann auf einer Website, die extrem reduziert ist. Es gibt nur ein Feld, bei dem man seine Frage, seinen Schreibauftrag eingeben kann. Und dann legt das System schon los. Das Ganze ist als Chat angelegt, sodass sehr schnell der Eindruck entsteht, als würde man mit einem Menschen kommunizieren. So etwas gab es bislang noch nie. Und drittens – die Leistungssteigerung beziehungsweise Schnelligkeit von ChatGPT, die jetzt schon enorm ist und mit jeder neuen Version zunehmen wird. Das alles in Summe hat zu diesem Hype geführt.
Was kann ChatGPT? Was ist das Faszinierende daran?
Es ist eine völlig andere Qualität von Interaktion mit Software und es kann beeindruckend gut mit Text umgehen. ChatGPT ist wie ein Servicebutler, der alles liefert – vom Rezept über die wissenschaftliche Abhandlung bis zum Liebesbrief. Zugleich ist es auch eine Art Erklärmaschine. Wenn man eine GoogleSuche macht, bekommt man verschiedene Treffer mit den einzelnen Links. Bei ChatGPT können sie kommunizieren – und das auf einem sehr hohen Niveau und sogar in deutscher Sprache.
Wo steckt denn Ihrer Meinung nach das Potenzial dieser KI?
KI-Experte Jonas Andrulis von Aleph Alpha in Heidelberg hat schon im vergangenen Jahr gesagt, dass Künstliche Intelligenz die nächste industrielle Revolution ist, die alle Branchen betreffen wird. ChatGPT ist ein Tausendsassa-Tool mit unglaublicher Einsatzbreite, wie die vielen Anwenderberichte beweisen. Es gibt kaum Aufgabenstellungen, für die diese Software nicht grundsätzlich geeignet erscheint.
Wird es Bereiche geben, in denen ChatGPT kreativ schaffenden Menschen in naher Zukunft den Job kostet?
Ja, zumindest wird es Veränderungen in diesen Tätigkeitsbereichen geben. Wir haben mit ChatGPT eine eigene kleine Schreibfabrik zu Hause, die zugleich auch sehr kreativ ist. Wir können uns Geschäftsideen vorschlagen lassen oder Slogans für Kampagnen. Technisch gesehen macht das Programm ja einen Remix aus der unglaublich großen Zahl von Trainingsdaten, die da drinstecken. Die Texte, welche dabei herauskommen, sind statisch plausibel. Aber – und das ist ganz wichtig: ChatGPT ist wie ein Kind, das rasant wächst. Seit dem Start am 30.11.2022 haben wir schon zwei neue Versionen erlebt.
Glauben Sie, dass diese KI die Arbeit von Schriftstellern, Komponisten, Songschreibern oder Bildenden Künstlern irgendwann ersetzen wird?
Wir haben das schon erlebt. So soll es zum Beispiel im Bereich des OnlineJournalismus bei Bloomberg News in den USA bereits Entlassungswellen gegeben haben durch die Nutzung von KI-gestützten Schreibwerkzeugen. Sie basieren auf früheren Versionen dieses KI-Sprachmodells.
Autoren beispielsweise bringen Humor oder Spannung in ihre Texte. Kann ChatGPT so etwas auch?
Aber ja doch. Sie geben ein, ich hätte gerne einen Text zu diesem oder jenem Thema, starte oder ende mit einer Anekdote, baue einen Witz ein, formuliere das in amüsanter Art und Weise und so weiter. Das Programm wird den Text dann genau so formulieren. Eine Besonderheit dabei ist, dass, wenn man denselben Schreibauftrag mehrfach anfordert, jedes Mal ein anderes Ergebnis herauskommt. Das heißt: Wenn einem der formulierte Text nicht gefällt, dann einfach nochmal versuchen. Man kann also per Knopfdruck immer wieder eine neue Variante generieren.
Stimmt es, dass das Programm auch auf Informationen aus dem Internet zugreift?
Nein, im Moment greift es nur auf Informationen zu, die in den Trainingsdaten stecken. Die letzte Aktualisierung mit Daten war im Jahr 2021. Das System kennt die Welt danach also nicht. Eine Hintergrundsuche im Internet findet bislang nicht statt, aber daran arbeitet man bereits. Dazu muss man wissen: Die Firma Microsoft hat ja viel Geld in ChatGPT investiert und bereits angekündigt, dass sie dieses Programm mit ihrer Suchmaschine Bing vernetzen will und vermutlich auch mit ihren weiteren Produkten wie etwa den Office-Produkten.
Was ist denn mit dem Wahrheitsgehalt der Informationen dieser KI? Angeblich soll das Programm in einem Moment brillant und im nächsten extrem dumm sein.
Im Moment ist das größte Manko, dass die jetzige Version von ChatGPT munter drauf los flunkert. Man kann auf den ersten Blick nicht sehen, was stimmt und was nicht. Die Software beschert uns extrem Kluges und Wahres sowie Dummes und Unwahres – und das in einer beliebigen Mischung. Das muss man wissen. Sprich, wir müssen Informationen entsprechend kontrollieren, bevor das etwa unter unserem Namen veröffentlicht wird.
Wo sind die Chancen, wo die Risiken?
Eine Chance ist, dass mit ChatGPT jeder von uns eine kleine Schreibfabrik zur Verfügung hat. Diese Fabrik ist wie ein virtueller Schreibpartner, der die eigene Produktivität steigern kann. Denn man bekommt mehr Inspiration durch diesen Assistenten. Studierenden beispielsweise, die Probleme mit dem Schreiben haben, kann solch ein Werkzeug durchaus helfen. Das größte Risiko ist, wie schon gesagt, wenn man nicht prüft, was herauskommt und alles blind glaubt. Ein weiteres Risiko ist, dass man sich von der Software zu sehr leiten lässt. Also, sich der Mensch zu stark zurücknimmt.
Gibt es Bereiche, in denen die menschliche Intelligenz der künstlichen überlegen ist?
Das ist eine schwierige Frage. Man kann mit Sicherheit sagen, dass wir Menschen Intuition haben, derer wir uns gar nicht immer so bewusst sind. Wenn wir in bestimmten Situationen im sogenannten Bauchhirn spüren, dass hier etwas falsch, gut oder weniger gut ist, dann sollten wir dieser Intuition auch folgen. Das kann KI garantiert nicht.
Haben Sie keine Befürchtung, dass die Menschheit durch die KI irgendwann verblödet?
Ich habe seit der Veröffentlichung von ChatGPT und der zunehmenden Leistungssteigerung die Sorge, wie wir das sinnvoll im Bildungsbereich einsetzen. Das gleiche gilt auch für uns als Gesellschaft. ChatGPT ist wie ein Hammer. Ich kann ihn benutzen, um einen Nagel in die Wand zu schlagen. Wenn ich den Hammer aber gegen eine Person richte, kann ich sie verletzen. Aus meiner Sicht hätte sich die Gesetzgebung schon längst mit den Auswirkungen von KI beschäftigen müssen. Denn hier werden ja gravierende urheberrechtliche Fragestellungen berührt. Nur ein Beispiel: Welcher Name steht unter einem Text, der mithilfe von KI geschrieben wurde? Im Wissenschaftsbereich wird KI bereits als Co-Autor genannt. Die Fragen sind nur: Wie gehen wir damit um? Ist das erlaubt oder nicht erlaubt? Benötigen wir nicht eine Kennzeichnungspflicht beim Einsatz von KITextgeneratoren?