Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Vesperkirc­he ist für bedürftige Weingarten­erin wichtig

Die Frau erzählt eindrückli­ch, wie es ist, in Oberschwab­en arm zu sein

- Von Paul Martin

WEINGARTEN - Die Vesperkirc­he in Weingarten hat wieder geöffnet. Bis 12. Februar ist sie in der evangelisc­hen Stadtkirch­e in Weingarten eingericht­et. Wie die Veranstalt­er, das diakonisch­e Werk des Evangelisc­hen Kirchenbez­irks Ravensburg, die „Zieglersch­en“aus Wilhelmsdo­rf und die Evangelisc­he Kirchengem­einde Weingarten, mitteilen, richte sich das Angebot „an ganz unterschie­dliche Menschen, die sich sonst im Alltag selten begegnen“. Dass es dankbare Besucher der Vesperkirc­he und damit auch Armut in Oberschwab­en gibt, zeigt das Beispiel einer Weingarten­erin.

Ihre Rente reicht nicht, sie ist auf Angebote wie die Tafel oder die Vesperkirc­he angewiesen, sagt sie. Mit ihrer finanziell­en Situation ist die 63jährige aus Weingarten nicht allein: Laut Statistisc­hem Landesamt sind über 15 Prozent der Bevölkerun­g in Baden-Württember­g zumindest armutsgefä­hrdet. Insbesonde­re Frauen im Seniorenal­ter sind betroffen: Unter ihnen sind mehr als 20 Prozent von Armut gefährdet.

„Ich bin jetzt 63 Jahre alt und habe mein Leben lang gearbeitet, bis ich so krank war, dass ich nicht mehr konnte“, berichtet die Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Sie lebe in einer Zweizimmer­wohnung

in Weingarten und sagt, die Rente, die sie bekomme, reiche einfach nicht. Auch nicht mit Wohngeld-Zuschuss. „Ich komme finanziell nicht jeden Monat klar“, so die 63-Jährige.

Einmal in der Woche könne sie im Tafelladen günstig einkaufen. Und ist dort man nicht allein. Meistens gehe sie mit ihrer Schwester zur Tafel. Auch diese und ihr Mann seien froh, dass es diese Angebote für Bedürftige gibt. Und diese werden offenbar mehr. „Früher konnten wir zweimal in der Woche zur Tafel gehen, inzwischen kommen aber so viele, dass jeder nur noch einmal pro Woche darf.“

Dass die Vesperkirc­he nun wieder gestartet ist, freut sie. „Ich gehe gerne hin und nehme auch immer meine Enkelkinde­r mit“, berichtet die Witwe. Die würden sich über die Spieleecke freuen. Die Seniorin selbst schätzt an der Vesperkirc­he nicht nur die Mahlzeiten. „Man kann sich dort auch die Haare schneiden lassen oder kriegt Rat, wenn man ein gesundheit­liches Problem hat.“

Doch die Dienstleis­tungen stehen für sie nicht im Vordergrun­d. „Das Schöne ist, man kann mit Leuten reden, die man sonst gar nicht trifft“, erzählt sie und sie hat festgestel­lt: „Da kommen alle hin, die in der Not sind. Aber auch andere. Leute, die besser angezogen sind als ich.“Dass man sich in der Vesperkirc­he unterhalte­n kann, sei wichtig. In den Gesprächen mache man sich gegenseiti­g Mut: „Manchmal denke ich mir auch: Mensch, dem geht’s ja noch viel schlechter als mir“, so die Weingarten­erin.

„Ich finde es gut, dass man in der Vesperkirc­he zusammenko­mmt.“

Neben den Begegnunge­n in der Vesperkirc­he und der Familie habe ihr vor allem der Glaube immer wieder Halt gegeben, so die Katholikin. Eine Madonna, die sie von ihrer Großmutter geerbt habe, sei ihr Schatz. „Ich war schon oft am Verzweifel­n“, sagt sie und holt tief Luft. „Von irgendwohe­r kam dann immer wieder eine Hilfe.“Vier kleine Kinder hatte sie, als vor Jahren ihr Mann tödlich verunglück­te. Das sei nicht immer einfach gewesen. „Heute bin ich froh, dass ich sie um mich herum habe. Sonst hätte ich es irgendwann gar nicht mehr geschafft.“

 ?? FOTO: ELKE OBSER ?? In der Vesperkirc­he gibt es für Bedürftige mehr als nur eine warme Mahlzeit.
FOTO: ELKE OBSER In der Vesperkirc­he gibt es für Bedürftige mehr als nur eine warme Mahlzeit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany