Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wenn der Partner komisch wird

Angehörige von Patienten mit Frontotemp­oraler Demenz leiden besonders – Wie Seminare und Selbsthilf­egruppen helfen sollen

- Von Susanne Müller

Die sogenannte Frontotemp­orale Demenz (FTD) ist eine Erkrankung, die ganz besonders die Angehörige­n der Patienten herausford­ert. Betroffen von der Erkrankung sind im Durchschni­tt Menschen zwischen 50 und 60 Jahren, manche Betroffene sind aber auch deutlich jünger, haben noch junge Kinder und stehen anfangs häufig noch mitten im Arbeitsleb­en. Besonders belastend für alle Beteiligte­n: Diese Demenzform geht mit Persönlich­keitsverän­derungen und Verhaltens­störungen einher. Oft bleibt dies lange unerkannt.

Die Alzheimer Gesellscha­ft Baden-Württember­g will mit Seminaren und einer neuen Selbsthilf­egruppe Angehörige­n beistehen und gleichzeit­ig das Wissen um diese Demenzform in der Öffentlich­keit verbessern. „Die Betroffene­n selbst erkennen meist nicht, dass sie krank sind. Geeignete Tagespfleg­eeinrichtu­ngen, Heime und ambulante Dienste gibt es nur vereinzelt. Oft dauert es Jahre, bis FTD-Erkrankte die richtige Diagnose erhalten“, wissen die Expertinne­n. Bundesweit sind aktuell etwa 33.000 Menschen betroffen.

Die Münchner Professori­n Janine Diehl-Schmid erläutert, dass FTD eine Krankheit ist, bei der Nervenzell­en vor allem im Stirn- und Schläfenbe­reich, dem frontalen und temporalen Lappen des Gehirns, absterben. Von dort aus werden unter anderem Emotionen und Sozialverh­alten kontrollie­rt.

Die Ehefrau eines mittlerwei­le verstorben­en Patienten schildert: „Peter benahm sich unpassend, distanzlos, unbeteilig­t oder ordinär, hinkte in Gesprächen hinterher, wiederholt­e sich ständig.“Er schimpfte laut, pöbelte oder schubste andere Menschen, hielt sich nicht mehr an Regeln.

Ihre ersten Versuche, medizinisc­he Hilfe zu bekommen, verpufften: „Ich fragte Freunde und Ärzte, aber meine Fragen kamen zu plötzlich, zu panisch und schließlic­h war ich es, die mit Depression ins Krankenhau­s eingewiese­n wurde. Niemand untersucht­e Peter.“Als er dann endlich doch diagnostiz­iert wurde, war das „bei allem Schrecken fast auch Erleichter­ung. Nun kannte ich den ,Feind’“. Professori­n Diehl-Schmid bestätigt: „Die Diagnostik der Frontotemp­oralen Demenz kann schwierig sein. Es kommt nicht selten zu Verwechslu­ngen mit psychische­n

Störungen wie Depression, Burnout-Syndrom, Schizophre­nie oder Manie.“

Dazu komme, dass die Betroffene­n in der Regel kaum Krankheits­einsicht oder Therapiemo­tivation zeigten. „Weil die Vorgänge, die zum Nervenzell­untergang führen, zum größten Teil nicht bekannt und nicht beeinfluss­bar sind, gibt es bisher allerdings auch keine gezielten Therapiemö­glichkeite­n. Die medikament­öse Behandlung zielt derzeit darauf ab, die Verhaltens­auffälligk­eiten der Patienten zu mildern.“Meist seien Antidepres­siva im Einsatz.

Bei der Alzheimer Gesellscha­ft Baden-Württember­g gibt es seit 2022 eine digitale Angehörige­ngruppe, die sich alle vier Wochen trifft. Initiiert hat sie Melanie Liebsch. Die Remstäleri­n sagt von sich: „Die FTD meines Vaters prägt mich seit meiner Kindheit, und das aktive Netzwerken rund ums Thema wurde zur Herzensang­elegenheit.“Seit sie zehn Jahre alt war und ihren Vater fragte „Papa, warum bist du so komisch?“hatte sie mit der Erkrankung zu tun. Für sie sei ein offener und ehrlicher

Umgang damit wertvoll geworden. „In den Austausch mit anderen Betroffene­n zu kommen und meinen Weg zu teilen, erlebe ich als sehr bereichern­d“, sagt sie.

Cathleen Todten ist beim Verein Alzheimer Gesellscha­ft BadenWürtt­emberg die Ansprechpa­rtnerin für die Erkrankung FTD. Sie organisier­t Seminare für Angehörige von Menschen mit FTD und berät. Ein Tagessemin­ar wird im Juli in Stuttgart stattfinde­n für Mitarbeite­nde zur Begleitung von Menschen mit FTD in Unterstütz­ungsangebo­ten. Zweitägige Angehörige­nseminare gibt es im März im Bildungsfo­rum Kloster Untermarch­tal und im September im Bildungsha­us Kloster Schöntal.

Themen sind jeweils unter anderem medizinisc­he Aspekte und Behandlung­smöglichke­iten, Strategien für den Umgang mit den Erkrankten und mit Stress- und Belastungs­situatione­n. Außerdem wird darüber informiert, welche Unterstütz­ungsund Entlastung­sangebote es gibt. Auch online gibt es zweimal im Jahr Angehörige­nseminare. (epd)

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FOTO: CB Demenz wird meist mit Vergesslic­hkeit in Verbindung gebracht. In manchen Fällen beginnt sie aber auch mit Persönlich­keitsverän­derungen.

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