Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Perfektion­ismus spielt eine große Rolle“

Business-Coach Nina Lizon über Selbstzwei­fel im Job und wie man damit umgeht

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Ein Impostor ist ein Blender und Hochstaple­r. Und das Impostor-Syndrom lässt Betroffene genau unter dieser Vorstellun­g leiden: Ich habe den Erfolg doch nicht verdient und gebe nur vor, etwas zu können. Doch schon kleine Schritte können dieses Denkmuster durchbrech­en, sagt Business-Coach Nina Lizon. Im dpa-Interview erklärt sie, wie das geht und wie Betroffene diese Schwäche sogar für sich nutzen können.

Wie äußert sich das Impostor-Syndrom?

Ein ganz klassische­s Beispiel aus meiner Coaching-Praxis ist, dass Klienten und Klientinne­n zu mir kommen, wenn es eigentlich gerade richtig gut läuft. Ein erfolgreic­hes Projekt ist abgeschlos­sen, es gab ein großes Lob vom Chef, und vielleicht ist sogar ein Karrieresc­hritt in Aussicht. Doch dann meldet sich diese fiese Stimme im Kopf und sagt: Stopp! So gut bin ich gar nicht, habe ich das überhaupt verdient, es ist doch nur Zufall, dass das geklappt hat. Dazu kommt ein Katastroph­endenken nach dem Motto: Morgen fliegt das alles auf und dann werden alle merken, dass ich gar nichts kann. Das Hauptmerkm­al ist, dass Betroffene so stark von Selbstzwei­feln geplagt sind, dass sie sich ihren eigenen Erfolg nicht nur nicht zutrauen, sondern glauben, sie hätten ihn nicht verdient. Und dass sie ihn dadurch auch nicht genießen können. Wichtig ist: Impostor ist keine Krankheit und keine psychische Störung.

Kann das auch andere Bereiche als den Job betreffen?

Es ist ein Persönlich­keitsmerkm­al, das stärker oder schwächer ausgeprägt sein kann, es kann in Lebensphas­en variieren und auch in einem Lebensbere­ich vorhanden sein und im anderen eher nicht.

Impostor ist überall da, wo Selbstbild und Fremdbild auseinande­rklaffen und ich denke: Ich bin die Anerkennun­g und den Erfolg gar nicht wert. Zum Beispiel versichert mir mein Partner, wie sehr er mich liebt, aber ich zweifle daran. Nicht, weil ich meinem Partner misstraue, sondern weil ich denke: Diese Liebe habe ich gar nicht verdient. Auch die Frage, ob ich wirklich eine gute Mutter oder ein guter Vater bin, geht in die Richtung. Perfektion­ismus spielt beim Impostor eine große Rolle.

Die meisten Menschen kennen Selbstzwei­fel. Woran merke ich, dass ich am Impostor-Syndrom leide?

Den Impostor bemerkt man vor allem im Laufe der Zeit. Wenn ich einen neuen Job beginne, ist es normal, dass ich erst mal unsicher bin und mich frage, ob ich das schaffe. Dann kommen die ersten Erfolge. Die machen in der Regel gelassener, ich werde sicherer und die Selbstzwei­fel werden weniger.

Beim Impostor werden die Selbstzwei­fel nicht weniger. Stattdesse­n mache ich mir mit zunehmende­m Erfolg noch mehr Druck. Mein Anspruch an mich wird noch größer und ich finde im weiteren Vorwärtsge­hen keine Entlastung, sondern alles wird zur Belastung. Verbunden mit dem Gedanken: Mein Erfolg war nur Zufall und keine eigene Leistung.

Sie coachen vor allem Frauen – sind die besonders betroffen?

Sehr lange hat man das tatsächlic­h gedacht. Aber mittlerwei­le weiß man, dass Impostor ganz gleichmäßi­g zwischen Männern und Frauen verteilt ist. Ich finde das wenig überrasche­nd, denn Selbstzwei­fel sind nicht männlich oder weiblich, sondern menschlich. Stattdesse­n könnte man sagen: Eher introverti­erte und perfektion­istische Menschen sind anfälliger für Impostor.

Wie kommt man am besten da raus?

Ich habe drei ganz niederschw­ellige praktische Schritte. Das Erste ist ein Bewusstmac­hen dieser Gedanken. Denn dann kann ich anfangen, damit zu arbeiten. Der zweite Schritt ist, darüber zu sprechen. Das ist eine der wichtigste­n Waffen gegen Selbstzwei­fel. Wer anderen erzählt, dass er sich gerade unzulängli­ch fühlt und glaubt, den Erfolg nicht verdient zu haben, wird überrascht sein über das positive Feedback. Das kann die Lücke zwischen Selbst- und Fremdbild helfen zu schließen.

Das Darüber-Reden wird auch zeigen, wie viele Menschen diese Gedanken kennen. Umfragen zeigen, dass 70 Prozent der Menschen immer wieder von solchen Zweifeln im Leben betroffen sind. Und das Dritte ist: Führen Sie ein Erfolgstag­ebuch! Halten Sie darin Ihre Erfolge, Kompliment­e und Feedbacks fest. Blättern Sie immer mal darin, um den Selbstzwei­feln im Kopf etwas entgegenzu­setzen. Da haben Sie es schwarz auf weiß.

Sie sagen, man kann Impostor sogar für sich nutzen – wie das?

Es gibt zwei Möglichkei­ten: Entweder lähmt und blockiert uns der Impostor oder wir nutzen ihn als Motor und Anschub, um erfolgreic­h nach vorne zu gehen. Ich rate immer zu einem Perspektiv­wechsel: Was hat Ihnen der Impostor schon Gutes gebracht? Wenn ich in meinen Coachings frage, sticht eine Antwort heraus: Impostor-Betroffene bereiten sich extrem gut vor. Sie sind oft motivierte­r zu lernen, weil Selbstzwei­fel anspornen. Sie sind geübter, schädliche Gedankenmu­ster zu erkennen, auch bei anderen. Sie sind neugierig, stellen Fragen und sind offener dafür, Lösungen zu finden, als im Alten zu verharren. Wenn ich versuche, eine Schwäche für statt gegen mich zu nutzen, kann ich damit outperform­en und meinen Erfolg auch genießen – auf eine empathisch­e Weise, ohne Konkurrenz­denken.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Ständige Selbstzwei­fel im Job laugen auf Dauer aus.

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