Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Den Anschluss verpasst

- Von Wolfgang Mulke wirtschaft@schwaebisc­he.de

Die führenden Wirtschaft­sforscher malen ein düsteres Bild von der Wohlstands­entwicklun­g. Die Wachstumsc­hancen sind in den kommenden Jahren, wenn nicht Jahrzehnte­n zu schwach, um das bisherige Niveau zu halten. Anders gesagt: Deutschlan­d hat den Anschluss an die Besten verpasst.

Die großen Fehler wurden schon vor vielen Jahren begangen und bisher nur in Ansätzen korrigiert. Die bestehende Infrastruk­tur, zum Beispiel Straßen und Schienen, verfällt zusehends, weil die Politik den finanziell­en Aufwand für die Modernisie­rung lange scheute. Eine frisch sanierte Bahnstreck­e bringt halt weniger Wählerstim­men als soziale Wohltaten. Auch aus der Abhängigke­it von fossiler Energie wollte sie sich nicht lösen. Jetzt gibt es in Form hoher Energiepre­ise und notwendige­r Ausgaben für die Versorgung­ssicherhei­t die Quittung dafür. Dazu komme eine überborden­de Bürokratie und Besitzstan­dswahrung sowie Mängel im Bildungssy­stem. Die Liste der Versäumnis­se ließe sich um weitere Punkte verlängern. Nur hilft lamentiere­n nicht weiter.

Vielmehr sollten sich die Anstrengun­gen auf eine Beseitigun­g der Wachstumsb­remsen konzentrie­ren. Die Ampel ist hier mit starken Ambitionen in ihre Amtszeit gestartet. Einiger Elan ist längst verpufft und bei wichtigen Fragen in einer gegenseiti­gen Blockade gelandet, wie der Streit um Atomkraft, Straßenbau oder Fracking zeigt. Dort, wo die wirtschaft­lichen Chancen von Morgen entstehen, geschieht zu wenig. Die Digitalisi­erung schreitet nur langsam voran und die Bürokratie bremst die dringend benötigte Innovation­skraft der Wirtschaft aus, zu viele junge Leute bleiben ohne Schulabsch­luss. Und über absehbare Probleme wie der Altersvors­orge oder den fehlenden Arbeitskrä­ften wird zwar gesprochen, nicht jedoch adäquat reagiert.

Womöglich steckt hinter der Ignoranz die Überzeugun­g, dass eine jahrzehnte­lang so starke Volkswirts­chaft über ausreichen­de Potenziale verfügt. Diese Hoffnung wird sich als trügerisch erweisen, wenn das Reformtemp­o nicht erheblich zunimmt. Die Analyse der Ökonomen sollte als Warnung begriffen werden, dass es nicht so bleiben kann, wie es ist. Es gibt daher keine Zeit mit ideologisc­hen Kleinkrieg­en zu verlieren. Das kann sich das Land nicht länger leisten.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany