Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Den Anschluss verpasst
Die führenden Wirtschaftsforscher malen ein düsteres Bild von der Wohlstandsentwicklung. Die Wachstumschancen sind in den kommenden Jahren, wenn nicht Jahrzehnten zu schwach, um das bisherige Niveau zu halten. Anders gesagt: Deutschland hat den Anschluss an die Besten verpasst.
Die großen Fehler wurden schon vor vielen Jahren begangen und bisher nur in Ansätzen korrigiert. Die bestehende Infrastruktur, zum Beispiel Straßen und Schienen, verfällt zusehends, weil die Politik den finanziellen Aufwand für die Modernisierung lange scheute. Eine frisch sanierte Bahnstrecke bringt halt weniger Wählerstimmen als soziale Wohltaten. Auch aus der Abhängigkeit von fossiler Energie wollte sie sich nicht lösen. Jetzt gibt es in Form hoher Energiepreise und notwendiger Ausgaben für die Versorgungssicherheit die Quittung dafür. Dazu komme eine überbordende Bürokratie und Besitzstandswahrung sowie Mängel im Bildungssystem. Die Liste der Versäumnisse ließe sich um weitere Punkte verlängern. Nur hilft lamentieren nicht weiter.
Vielmehr sollten sich die Anstrengungen auf eine Beseitigung der Wachstumsbremsen konzentrieren. Die Ampel ist hier mit starken Ambitionen in ihre Amtszeit gestartet. Einiger Elan ist längst verpufft und bei wichtigen Fragen in einer gegenseitigen Blockade gelandet, wie der Streit um Atomkraft, Straßenbau oder Fracking zeigt. Dort, wo die wirtschaftlichen Chancen von Morgen entstehen, geschieht zu wenig. Die Digitalisierung schreitet nur langsam voran und die Bürokratie bremst die dringend benötigte Innovationskraft der Wirtschaft aus, zu viele junge Leute bleiben ohne Schulabschluss. Und über absehbare Probleme wie der Altersvorsorge oder den fehlenden Arbeitskräften wird zwar gesprochen, nicht jedoch adäquat reagiert.
Womöglich steckt hinter der Ignoranz die Überzeugung, dass eine jahrzehntelang so starke Volkswirtschaft über ausreichende Potenziale verfügt. Diese Hoffnung wird sich als trügerisch erweisen, wenn das Reformtempo nicht erheblich zunimmt. Die Analyse der Ökonomen sollte als Warnung begriffen werden, dass es nicht so bleiben kann, wie es ist. Es gibt daher keine Zeit mit ideologischen Kleinkriegen zu verlieren. Das kann sich das Land nicht länger leisten.