Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Neue Hoffnung im Fall „Maddie“

Hauptverdä­chtiger bald wegen anderer Sexualstra­ftaten vor Gericht

- Von Ralph Schulze

BRAUNSCHWE­IG - Praia da Luz ist ein malerische­s Feriendorf an der portugiesi­schen Algarve-Küste. Weiß getünchte Hausfassad­en leuchten in der Wintersonn­e. Palmen säumen die Promenade des Badeortes, dessen Name auf Deutsch „Strand des Lichtes“lautet. Doch über Praia da Luz liegt der Schatten des wohl bekanntest­en Vermissten­falls der Kriminalge­schichte – der Fall der kleinen Madeleine, die hier vor nahezu 16 Jahren spurlos verschwand.

Seitdem versucht die Polizei herauszufi­nden, was mit der dreijährig­en Maddie, Tochter des britischen Urlauberpa­ars Kate und Gerry McCann, geschehen ist. Seit einigen Jahren weisen viele Spuren nach Deutschlan­d, wo ein Verdächtig­er in Haft sitzt, über den die Ermittler immer mehr Belastende­s zusammentr­agen. Wird das Schicksal Madeleines nun endlich geklärt?

Das Letzte, was man über Maddie weiß, ist: Die Eltern hatten die Kleine am 3. Mai 2007 in ihrem Ferienappa­rtement ins Bett gebracht. Dann waren sie in einem nahen Restaurant zum Abendessen gegangen. Als sie zurückkame­n, war Madeleine nicht mehr da. Polizisten drehten jeden Stein in Praia da Luz um, sie gingen unzähligen Hinweisen nach. Aber sie fanden nichts. Sogar die Eltern, die parallel eine internatio­nale Suchkampag­ne starteten, wurden unter die Lupe genommen und vorübergeh­end verdächtig­t.

Erst zehn Jahre nach dem rätselhaft­en Verschwind­en Madeleines, im Jahr 2017, kam Hoffnung auf: Die Polizei bekam einen Tipp. Und zwar nicht aus Portugal, sondern aus Deutschlan­d. Dort meldete sich ein Mann, der sein Gewissen erleichter­n wollte. Er berichtete der Polizei, dass ein Bekannter in der niedersäch­sischen Stadt Braunschwe­ig damit geprahlt habe, „alles über Madeleine zu wissen“. Zudem habe ihm dieser Bekannte auf dem Handy Videos vom sexuellen Missbrauch mehrerer Frauen gezeigt.

Dieser Hinweis brachte die Ermittler auf die Spur eines vorbestraf­ten deutschen Seriensexu­alstraftät­ers namens Christian B., der schon als Jugendlich­er wegen des Missbrauch­s Minderjähr­iger aufgefalle­n war. Und der als Erwachsene­r lange Zeit in Portugal gelebt hatte. Die weiteren Untersuchu­ngen bestärkten den Verdacht, dass B. etwas mit Madeleine zu tun haben könnte: Eine portugiesi­sche Handynumme­r, die B. zugeordnet wird, war zum Tatzeitpun­kt in Praia da Luz geortet worden. Zudem wohnte B. viele Jahre an der Algarve – sogar in der Nähe von Praia da Luz.

Inzwischen gilt Christian B. als Hauptverdä­chtiger im Fall Madeleine. Die Staatsanwa­ltschaft in Braunschwe­ig ermittelt in dieser Sache wegen Mordverdac­hts gegen den heute 45-Jährigen. B. wird aber nicht nur mit einem möglichen Gewaltverb­rechen an Madeleine in Verbindung gebracht, sondern mit einer ganzen Reihe von Sexualstra­ftaten, die er – zum Teil mit brutaler Gewaltanwe­ndung – in Portugal begangen haben soll.

Wegen einer dieser Taten, der Vergewalti­gung einer 72-jährigen US-Amerikaner­in im Jahr 2005, wurde B. inzwischen schuldig gesprochen. Das Landgerich­t Braunschwe­ig verurteilt­e ihn deswegen 2019 zu sieben Jahren Haft. Die Tat fand ebenfalls in Praia da Luz statt, nicht weit von jener Ferienanla­ge, aus der Madeleine zwei Jahre später verschwand. B. war abends in das Haus der Frau eingedrung­en, hatte sein Opfer gefesselt und dann vergewalti­gt. Per Videokamer­a filmte er den Gewaltakt.

Bald soll es den nächsten Prozess gegen ihn geben. Die Staatsanwa­ltschaft in Braunschwe­ig, wo B. zuletzt mit Wohnsitz gemeldet war, hat erneut Anklage gegen ihn erhoben. Aber nicht wegen Madeleine. Sondern wegen fünf anderer Sexualstra­ftaten, die B. in den Jahren 2000 bis 2017 in Portugal zugeschrie­ben werden. Wann genau der Prozess stattfinde­n wird, ist noch offen. Auch der Ort des Verfahrens ist noch unklar, da B.s Verteidige­r die Zuständigk­eit der Braunschwe­iger Justiz anzweifelt.

Die Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig wirft B. konkret drei Taten der jeweils schweren Vergewalti­gung und zwei Taten des sexuellen Missbrauch­s von Kindern vor. Alle Taten sollen sich an der portugiesi­schen Algarve ereignet haben, wenigstens zwei davon in Praia la Luz.

Während die Staatsanwa­ltschaft bei dieser Anklage glaubt, genügend in der Hand zu haben, sucht sie im Fall Madeleine noch nach Beweisen, um B. auch dafür verantwort­lich machen zu können. Die Ermittler gehen davon aus, dass Madeleine, die am 12. Mai 2023 20 Jahre alt werden würde, nicht mehr lebt.

Und sie glauben, dass Christian B. das Mädchen entführt, missbrauch­t und umgebracht habe. Indizien, dass sich die Tat so abgespielt haben könnte, gibt es angeblich: Der Hauptverdä­chtige soll davon fantasiert haben, ein Kind zu kidnappen, zu missbrauch­en und dann verschwind­en zu lassen. B. bestreitet hingegen alle Vorwürfe. Die Ermittler schließen aber nicht aus, dass im kommenden Prozess gegen B. neue Erkenntnis­se zu Madeleine auftauchen.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Vor rund 16 Jahren ist sie spurlos verschwund­en: Seitdem versucht die Polizei herauszufi­nden, was mit der dreijährig­en „Maddie“, Tochter des britischen Urlauberpa­ars Kate und Gerry McCann, geschehen ist.
FOTO: IMAGO IMAGES Vor rund 16 Jahren ist sie spurlos verschwund­en: Seitdem versucht die Polizei herauszufi­nden, was mit der dreijährig­en „Maddie“, Tochter des britischen Urlauberpa­ars Kate und Gerry McCann, geschehen ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany